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Brandenburg: Mit Volldampf in die Revolution

Der Siegeszug von „Panzerkreuzer Potemkin“ begann 1926 in Berlin. Im Babylon war er erstmals wieder in der damaligen Version mit Orchester zu sehen

Popcorn-Kino? Im Gegenteil! Denn abgesehen davon, dass es Mitte der 20er hierzulande noch kein Popcorn gab: Revolutionärer Elan und knisternde Snacks passen nicht zusammen. Statt passiv-gemütlichen Konsumierens also dies: „Ein Taumel packt die Menschen, die auf der Leinwand und die vor ihr. Warum hat man so lang gewartet? Aber jetzt ist es ja da, jetzt begehren sie auf, jetzt geht es endlich los. Und die Leute vor der Leinwand jubeln, sie klatschen denen auf der Leinwand zu. In die grausame, triumphierende, hämmernde, scheußliche Musik hinein klatschen sie, wie jetzt die auf der Leinwand auf die Offiziere eine tolle, groteske Jagd anfangen, sie hervorholen aus albernen Verstecken, sie über Bord schmeißen in die fröhlich hochspritzende See, einen nach dem anderen, den mickrigen Schiffsarzt darunter, seinen Kneifer ihm nach.“

Lion Feuchtwanger hat mit dieser Szene aus seinem Roman „Erfolg“ ein eigenes Kinoerlebnis beschrieben, leicht kaschiert, bricht doch bei ihm die Revolte auf einem Schiff namens „Orlow“ aus, nicht wie bei Sergej Eisenstein auf dem Panzerkreuzer „Potemkin“. Gut möglich, dass der damals in Berlin lebende Autor sogar einer Vorstellung im Apollo-Theater in der Kreuzberger Friedrichstraße 218 beiwohnte, wo der Film – eine Tafel erinnert daran – am 29. April 1926 seinen Siegeszug durch die Welt antrat. Das war ziemlich genau drei Jahre, bevor das Kino Babylon am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz eröffnet wurde. Dort stand der Film am gestrigen Montag auf dem Programm, vom Metropolis Orchester Berlin unter der Leitung von Burkhard Götze zur Originalmusik des 1930 verstorbenen Filmkomponisten Edmund Meisel begleitet – Beginn einer Reihe zum sowjetischen Film. Anlass ist der 100. Jahrestag der Oktoberrevolution.

An der durchschlagenden, von Feuchtwanger eindringlich geschilderten Wirkung, die „Panzerkreuzer Potemkin“ bei der Moskauer Premiere noch nicht beschieden war, hatte gerade die von Meisel für die deutsche Version komponierte Musik erheblichen Anteil. Nacherlebbar ist dieser ansteckende revolutionäre Rausch heute, über 90 Jahre danach, wohl nur bedingt, aber die cineastisch-musikalischen Voraussetzungen sind gegeben, wieder weitgehend im Urzustand, unverfälscht von den Verstümmelungen durch die Zensur, denen gerade dieser Film ausgesetzt war, und erstmals wieder mit der „grausamen, triumphierenden, hämmernden, scheußlichen Musik“, ganz wie 1926.

Schon 2005, 100 Jahre nach der von Eisenstein ins Bild gesetzten Revolte auf dem Linienschiff „Knjas Potjomkin Tawritscheski“, war auf der Berlinale eine restaurierte Fassung gezeigt worden, mit einer vom Komponisten Helmut Imig rekonstruierten Musik. Die Orchesterversion war verloren gegangen, Grundlage der Rekonstruktion war ein von Meisel angefertigter Klavierauszug. In ihm sei schon viel angedeutet worden, etwa wo Hörner einsetzen, schildert Imig seine Arbeit.

Allerdings wurde auf der Berlinale die Moskauer Urversion gezeigt, die am 21. Dezember 1925 im Bolschoitheater uraufgeführt worden war, im Rahmen der Feiern zum 20. Jahrestag der Revolution von 1905. Zum zweiten Todestag Lenins am 21. Januar 1926 war sie einmalig auch im Berliner Schauspielhaus zu sehen – noch ohne eigene Musik und ohne Kürzungen, sodass die Partitur zur Berlinale-Version etwas ergänzt werden musste.

Im Apollo-Theater – und nun wieder im Babylon, mit der originalen, nach der Rekonstruktion erstmals live aufgeführten Musik – bekam man stattdessen eine Version zu sehen, die im Auftrag des auf Proletarisches spezialisierten Prometheus-Verleihs von Regisseur Phil Jutzi leicht gekürzt worden war. Auch der staatlichen Zensur waren nach Szenen zum Opfer gefallen, in der ersten Instanz war der Film kategorisch verboten worden. Doch wusste der Verleih die Öffentlichkeit zu mobilisieren, hatte Mitglieder der Zensurkommission wie den Theaterkritiker Alfred Kerr auf seiner Seite. Auch Eisenstein war nach Berlin gekommen, um seinem Werk durch die Klippen der Zensur zu helfen, er korrespondierte auch mit Meisel über die Musik, selbst eher reserviert, der Komponist begeistert, wie der Filmhistoriker Werner Sudendorf es beschreibt.

Dem revolutionären Elan des Films vermochten diese ersten Schnitte noch nichts zu nehmen, wie die Reaktionen des Publikums zeigten. „Wir waren durch Eisensteins Film alle wie elektrisiert“, erinnerte sich die Filmhistorikerin Lotte H. Eisner. Eine „Orgie der Zustimmung“ erlebte der Maler Hans Richter im „Alhambra“ am Ku’damm, und selbst Joseph Goebbels fand den Film „fabelhaft gemacht“. Die Auseinandersetzungen um das Revolutionsepos endeten damit freilich nicht, mündeten vielmehr in neuem Verbot, neuen Kürzungen, neuer Freigabe. Zuletzt blieb nur ein Torso übrig, wie Theaterkritiker Herbert Ihering schrieb: „Die neue Bearbeitung ist schlimmer als die oft belächelten Klassikerausgaben für höhere Schulen und Töchterpensionate.“

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