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Freiwillige suchen die Rehkitze, um sie vor den Mähdreschern zu schützen. 

© dpa

Mit Drohne und Wärmebildkamera: Rettet Bambi

Rehkitze verenden bei der Mahd häufig in den Mähdreschern. Zwei Ehrenamtler suchen deshalb die Felder in der Uckermark mit einer Drohne ab.

Angermünde - Konzentriert blickt Frank Neumann auf das kleine Display vor sich, während seine Drohne in 50 Metern Höhe fast lautlos über einem Feld nahe Angermünde (Uckermark) schwebt. „Stopp“, ruft er plötzlich in das Funkgerät. Seine Frau Marina Stolle, die suchend durch das teils hüfthohe dichte Gras läuft, bleibt sofort stehen. „Dreh dich nach rechts, dann noch drei Schritte. Jetzt müsstest du es sehen“, sagt Neumann. Und tatsächlich fischt seine Partnerin kurze Zeit später ein etwa katzengroßes, drei bis vier Wochen altes Rehkitz aus dem üppigen Grün.

Vorsichtig, aber beherzt

„Das sind Fluchttiere, da müsst ihr beherzt zugreifen und nicht zögern“, erklärt Stolle umstehenden Helfern, während sie das zappelnde und laut rufende Jungtier in einer grauen Klappbox verstaut. Dann legt die erfahrene Rehkitz-Retterin noch etwas Gras von dem Platz dazu, auf dem das Kitz gerade noch gelegen hatte. Ohnehin ist sie äußerst vorsichtig, berührt das Tier nur mit Handschuhen, um sicherzugehen, dass kein menschlicher Geruch am Fell hängen bleibt. „Denn dann würde die Mutter es nicht mehr annehmen“, erklärt sie.

In den frühen Morgenstunden zieht die Rehkitzrettung Brandenburg durch die Felder. 
In den frühen Morgenstunden zieht die Rehkitzrettung Brandenburg durch die Felder. 

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Jährlich fallen unzählige Rehkitze, Junghasen und bodenbrütende Wildvogelarten der Wiesenmahd zum Opfer. „Die jungen Kitze werden von den Muttertieren zum Schutz vor Feinden im hohen Gras versteckt, meist in der Nähe von Wäldern oder Hecken. Die Mutter kommt nur zum Säugen oder Säubern vorbei“, erklärt Anja Sibilski, Sprecherin des Brandenburger Landesjagdverbandes. Gerade in den ersten Lebenswochen hätten die Jungtiere noch keinen natürlichen Fluchtinstinkt, drückten sich bei Gefahr flach auf den Boden. Dadurch würden sie auch von Landwirten leicht übersehen und landeten im Mähwerk der Landmaschine, ergänzt Konstantin Birr.

Neun Kitze in 14 Hektar Gras

Der Bauer aus dem uckermärkischen Frauenhagen hat die ehrenamtlichen Rehkitz-Retter Neumann und Stolle zu sich geholt, weil er nicht will, dass die Jungtiere durch seine Mäh-Technik qualvoll sterben. „Der Anblick ist einfach grauenhaft. Zudem vergiften Tierkadaver das zu erntende Grünfutter für meine Pferde und Rinder“, sagt Birr. Im vergangenen Jahr hat er gemeinsam mit den beiden Ehrenamtlern und freiwilligen Helfern neun Rehkitze auf seinen Feldern vor der Mahd gerettet und die Aktion deshalb in diesem Jahr wiederholt. 14 Hektar Luzernegras wollen im Morgengrauen abgesucht werden. Letztlich finden die Retter erneut neun Kitze.

Rehkitz in einer Wiese. 
Rehkitz in einer Wiese. 

© dpa

An Neumanns Drohne ist eine Wärmebildkamera befestigt. Die im Vergleich zur Lufttemperatur warmen Tiere sind auf dem Display deutlich als heller Punkt zu erkennen, werden von den Helfern eingesammelt und nach der Mahd eine Stunde später wieder an der Stelle ausgesetzt, wo sie gefunden wurden. „Die moderne Technik erleichtert die Suche ungemein. Im vergangenen Jahr retteten wir immerhin 52 Kitze vor dem sicheren Tod im Mähwerk“, sagt der hauptberufliche Schachlehrer aus Dallgow-Döberitz (Havelland). „Als meine Frau vor acht Jahren begann, Rehkitze vor der Mahd zu retten, tat sie das nur durch das Ablaufen der Felder zu Fuß und mit bloßem Auge.“ Das sei sehr zeitaufwendig und nicht effektiv genug gewesen, sagt der Drohnenpilot.

Großer Zuspruch der Freiwilligen

Beide verzichteten auf Urlaub und sparten auf die hochwertige und teure Technik, mit der sie seit drei Jahren unterwegs sind. Die Flüge können exakt einprogrammiert werden, so dass keine Ecke einer abzusuchenden Fläche ausgelassen wird. Im April dieses Jahres haben Stolle und Neumann mit acht Mitstreitern den Verein „Rehkitzrettung Brandenburg“ gegründet. 

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Auf der Internetseite können sich freiwillige Helfer zu Suchaktionen wie bei Landwirt Birr anmelden. „Der Zuspruch ist groß, wir schaffen gar nicht alle potenziellen Aufträge“, sagt Neumann. Der Landesjagdverband hat jetzt ein brandenburgweites Verzeichnis ehrenamtlicher Rehkitz-Retter auf seine Internetseite gestellt und sucht weitere Drohnenpiloten. „So zwei Dutzend stehen da jetzt schon drauf, darunter auch immer mehr Jäger, die ja unter anderem auch Naturschützer sind“, betont Sibilski.

In einer Kiste sind die Rehkitze vor dem Mähdrescher sicher. 
In einer Kiste sind die Rehkitze vor dem Mähdrescher sicher. 

© dpa

Aus Tierschutzsicht sei die Absuche der Felder per Drohne durchaus sinnvoll, denn wenn Kitz oder Hase in das Mähwerk geraten, seien sie nicht unbedingt sofort tot. „Sie verenden qualvoll“, bestätigt Christiane Schröder, Geschäftsführerin des Brandenburger Naturschutzbundes (NABU). Das Thema an sich sei nicht neu, die vorsorgliche Absuche allerdings auch nicht selbstverständlich. „Früher sind Mitarbeiter des jeweiligen Landwirtschaftsbetriebes vor den Mähdreschern hergelaufen, um versteckte Jungtiere zu finden“, weiß Schröder.

Manche Bauern haben wenig Verständnis

Es gebe durchaus Bauern, bei denen das Engagement der Rehkitz-Retter auf völliges Unverständnis stoße, macht Stolle deutlich. Sie selbst hat Landwirte zur Rede gestellt, bei denen sie Überreste getöteter Kitze auf den Feldern entdeckte und die daraufhin nur mit einem Schulterzucken reagiert hätten. „So etwas muss bestraft werden“, meint sie. Landwirt Birr sei das komplette Gegenteil. Er lasse bei Mahd oder Ernte Randstreifen als Rückzugsorte für Tiere stehen, lobt die Tierretterin, die auch bei anderen Bauern ein allmähliches Umdenken bemerkt hat. (dpa)

Jeanette Bederke

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