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In Brandenburgs Kindertagesstätten und Schulen sollen mehr gesunde Lebensmittel aus regionaler Herstellung auf den Tisch. Das Anliegen des neu gegründeten Ernährungsrates Brandenburg steht sogar im Kenia-Koalitionsvertrag.

© Ralf Hirschberger/dpa

Mehr über Essen nachdenken: Ernährungsrat will eine Ernährungswende in Brandenburg

In Brandenburg hat sich ein Ernährungsrat gegründet – der erste in einem Flächenland. Er will Politik und Verbraucher dazu bewegen, mehr über bewusstes Essen und regionale Versorgung nachzudenken.

Potsdam - Auf ihrem Biohof in Werder (Havel) grasen Wasserbüffel auf Naturschutzflächen, werden Hühner in Mobilställen gehalten. Der Hof, den Rahel Volz mitgegründet hat, ist momentan noch ein Nebenerwerb. Eigentlich ist sie Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Internationale Beziehungen, befasst vor allem mit Frauen- und Menschenrechtsthemen. Aber Ernährung ist der 44-jährigen Mitinitiatorin des ökologischen Werderaner Vereins „Stadt Land Move“ schon lange ein Anliegen oder, wie es auf der Homepage des Biohofes heißt: „Essen ist ihre Leidenschaft.“ Nun koordiniert Volz den Ernährungsrat Brandenburg, der am Montagabend in Potsdam gegründet wurde und Brandenburg kritisch auf den Teller schauen und in Zeiten des Klimawandels auch eine Ernährungswende einleiten will.

Das Anliegen des Gremiums könnte man als Umkehrung des berühmten Brecht-Zitats so interpretieren: Vor dem Essen soll erst wieder die Moral kommen. Und das ohne, dass der Ernährungsrat Moralpredigten halten will. „Es geht uns beispielsweise nicht darum, konventionelle gegenüber ökologischer Landwirtschaft abzuwerten“, sagt Rahel Volz. In Zeiten, in denen auch Brandenburger Bauern mit ihren Treckern nach Berlin rollen, um gegen die Verschärfung der Düngeverordnung und das Insektenschutzprogramm der Bundesregierung zu protestieren, ist das ein wichtiges Signal: Der Ernährungsrat soll keine Interessenvertretung einer bestimmten Lobby sein, sondern ein Bindeglied, sagt Rahel Volz. So eine Vernetzung gebe es bislang nicht. Egal ob Landwirte, Verbraucher, Schulen, Kitas, Caterer oder die Politik, die die Rahmenbedingungen schaffe – der Ernährungsrat will mit allen ins Gespräch kommen – unter anderem auf der Grünen Woche, die am Freitag in Berlin beginnt. Quasi alles vom Acker bis zum Teller wollen die Ernährungsräte in den Blick nehmen, seien es Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft, faire Löhne in den Großküchen, Lebensmittelverschwendung, Dumpingpreise für Nahrung, wie sie Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) angeprangert hat, oder auch falsche Ernährungs- und Konsumgewohnheiten sowie Lebensmittelsicherheit.

Rahel Volz ist Politikwissenschaftlerin, Hofbetreiberin und nun auch Koordinatorin des neuen Brandenburger Ernährungsrates, der gestern zu Workshops eingeladen hatte.
Rahel Volz ist Politikwissenschaftlerin, Hofbetreiberin und nun auch Koordinatorin des neuen Brandenburger Ernährungsrates, der gestern zu Workshops eingeladen hatte.

© Andreas Klaer

Dass sowohl das Verbraucherschutz- als auch das Landwirtschaftsministerium seit dieser Legislatur von Grünen-Politikern geführt werden, sieht Volz durchaus als Vorteil. Sie hofft, dass die Anliegen des Ernährungsrates so auf offene Ohren stoßen – schließlich wird das Gremium bereits im rot-schwarz-grünen Koalitionsvertrag erwähnt. „Die Koalition will in Abstimmung mit dem Ernährungsrat Brandenburg eine Ernährungsstrategie in der Region erarbeiten“, heißt es darin. Unter anderem soll das Mittagessen in Kitas und Schulen aus gesunden Lebensmitteln mit einem hohen regionalen, ökologischen Anteil bestehen, definieren die Koalitionäre ein Ziel, das auch der Ernährungsrat anstrebt. Eine Servicestelle Schulverpflegung existiert bereits in Brandenburg, aber der Rat will weitere Ideen einbringen. Eine Regio-Woche wie in Berlin, bei der 50.000 Schüler an über 275 Berliner Schulen mit bio-regionalen Mahlzeiten versorgt wurden, könnte sich Volz auch gut in Brandenburg vorstellen. Der Anstoß für die Schulaktion in Berlin kam vom dortigen Ernährungsrat. Der neu gegründete Brandenburger Rat ist der erste in einem Flächenland. In der Mark existieren bislang die regionale Ernährungsräte Havelland und Prignitz-Ruppin sowie einer in Ostbrandenburg. In anderen Städten und Regionen, etwa in Potsdam, dem Fläming, dem Spreewald und im Barnim seien solche Gremien im Aufbau, sagt Volz, die sich dann über den Ernährungsrat auf Landesebene vernetzen können.

Volkskrankheiten mit ernsten Auswirkungen

Zur Auftaktveranstaltung der Nahrungsnetzwerker in Potsdam kamen waren zwar nicht die Minister, aber die Staatssekretärinnen aus beiden Häusern. „Unsere Gesellschaft muss sich noch viel stärker damit auseinandersetzen, mit welch hohem Aufwand unsere Lebensmittel nicht nur unter ökonomischen, sondern vor allem auch unter ökologischen Aspekten hergestellt werden“, sagt Verbraucherschutzstaatssekretärin Anna Heyer-Stuffer. Auch der gesundheitliche Aspekt spiele dabei eine wichtige Rolle. „Diabetes und Übergewicht entwickeln sich zu Volkskrankheiten mit ernsten Auswirkungen. Vor allem Kinder und Jugendliche sollen wissen, welche Lebensmittel ihrem Körper guttun“, so Heyer-Stuffer.

„Wir wollen den Anteil des Ökolandbaus deutlich erhöhen und regionale Wertschöpfungsketten stärken“, zitiert, Landwirtschaftsstaatssekretärin Silvia Bender aus dem Koalitionsvertrag. Ein EU-zertifiziertes Qualitätssiegel für regionale Produkte will Kenia entwickeln, zudem ein eigenes Förderprogramm zum Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten. „Sicherer Absatz durch mehr regionale und ökologische Produkte in der Kita- und Schulverpflegung soll den Landwirten zudem die dringend notwendige Kontinuität und Planungssicherheit liefern“, sagt Bender. Das ist ganz nach dem Geschmack von Besseresserin und Hofbetreiberin Rahel Volz und ihren Mitstreitern.

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