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"Mehr Demokratie wagen": AfD darf mit Willy Brandt werben

Die Anzeige gegen Brandenburgs AfD-Parteichef Andreas Kalbitz wegen eines umstrittenen Wahlplakats war erfolglos.

Potsdam - Bei der Landtagswahl vor acht Wochen lag die SPD in Brandenburg knapp vor der AfD. Dennoch hat die SPD womöglich wider Willen zum 23,5-Prozent-Erfolg der Rechtspopulisten beigetragen – indem bei AfD-Wählern eine Botschaft eines prominenten SPD-Mannes verfing. Umso ärgerlicher für die SPD: Die umstrittene Wahlwerbung der AfD mit Spruch und Bild von Willy Brandt, der Ikone der Sozialdemokratie, ist zulässig. Die Strafanzeige eines SPD-Mitglieds und Brandt-Verehrers aus Norddeutschland gegen Brandenburgs AfD-Chef Andreas Kalbitz wegen der „Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener“ ist erfolglos geblieben.

Keine Ermittlungen

„Mehr Demokratie wagen“ – mit dem Leitspruch des auch in der DDR beliebten früheren Kanzlers und langjährigen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt warb die AfD im Wahlkampf. „Die Äußerung des Willy Brandt wurde von der AfD-Partei als Wahlkampfziel deklariert. Eine Verunglimpfung bzw. besonders schwere Beleidigung des Andenkens eines Verstorbenen kann hierin nicht gesehen werden“, heißt es in der Begründung der Staatsanwaltschaft, die den PNN vorliegt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam bestätigte am Montag auf Anfrage, dass „von der Aufnahme von Ermittlungen abgesehen wurde“, so ein Behördensprecher. Zur Begründung könne die zuständige Staatsanwältin erst am Dienstag Auskunft geben.

Die Berufung auf Willy Brandt sei „ein grober Missbrauch und schlicht obszön“, hatte der langjährige Bundespräsident Wolfgang Thierse dieser Zeitung gesagt. „Willy Brandt hätte für Rechtspopulisten nur eines übrig gehabt: abgrundtiefe Verachtung“, twitterte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).

Besonders in der Brandenburger SPD, die um den Machterhalt zittern musste, beschleunigte die Willy-Vereinnahmung den Puls. Er verbitte sich den Missbrauch der Person Brandts, hatte der märkische Generalsekretär Erik Stohn erklärt und mitten im Wahlkampf die Gegenaktion „Wir sind Willy“ gestartet. Mit 2500 roten Plakaten, die die Aufschrift trugen: „Wir wollten die Freiheit. Wir haben sie erkämpft. Sorge dafür, dass sie bleibt“, samt Hashtag #wirsindwilly konterte die SPD die AfD-Provokation.

Insgesamt 400 Willy-Plakate hatte die AfD nach eigener Aussage ausschließlich in Potsdam-Mittelmark aufgehängt. „Willy Brandt, der sich sein Leben lang für die Demokratie und den Zusammenhalt eingesetzt hat, wird missbraucht“, erklärte SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke bei der Präsentation des Gegenplakats. „Wenn die Feinde von Demokratie und Zusammenhalt, wenn die, die hetzen, polarisieren und teilweise offen rechtsextremistische Positionen vertreten, diese Symbole missbrauchen, dann stellen wir uns dagegen.“

Die SPD, die in Umfragen zeitweise hinter den Rechtspopulisten lag, fokussierte sich im Wahlkampf schließlich auf die Abgrenzung von der AfD. Am Ende wurde Woidkes SPD mit 26,2 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der AfD mit 23,5 Prozent. Auf Platz drei kam die CDU mit 15,6 Prozent, gefolgt von den Grünen mit 10,8 und den Linken mit 10,7 sowie BVB/Freie Wähler mit fünf Prozent.

Der 74 Jahre alte SPD-Mann aus Norddeutschland, ein gestandener Sozialdemokrat und langjähriger Gewerkschafter, findet es trotz des knappen Wahlsiegs der märkischen Sozialdemokraten skandalös, dass die Justiz seiner Anzeige keine Beachtung schenkte – und hat noch eine kleine Resthoffnung, dass er doch noch Recht bekommt.

Denn nicht nur gegen Andreas Kalbitz ist er vorgegangen. Auch gegen Brandenburgs AfD-Geschäftsführer Lars Hünich erstattet der SPDler, der aus Angst vor Anfeindungen seinen Namen nicht in der Zeitung geschrieben sehen möchte, eine Anzeige: Am 28. August, gut zwei Wochen, nachdem er Kalbitz angezeigt hatte und ebenso unter Berufung auf Paragraf 189 des Strafgesetzbuches, der die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener unter Strafe stellt. Der Anzeigeerstatter bezieht sich dabei auf Aussagen Hünichs vom 8. August, wonach Brandt für das stehe, was seine Partei wolle. Ob die Prüfung dieser zweiten Anzeige schon abgeschlossen ist, konnte die Staatsanwaltschaft am Montag nicht sagen, sondern verwies auf Auskunft am Dienstag.

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