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Brandenburg: Mehr als nur Ziffern

Brandenburg will die Halbjahreszeugnisse an Grundschulen abschaffen und durch ein Gespräch ersetzen In Berlin dürfen die Eltern mitentscheiden, ob Zensuren vergeben werden

Potsdam - „Das ist ein weiterer Schritt in Richtung Kuschelpädagogik“, sagt Gordon Hoffmann. Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion aus Perleberg hatte auf eine Anfrage im brandenburgischen Parlament bestätigt bekommen, dass die Landesregierung die Halbjahreszeugnisse in den Grundschulklassen drei und vier abschaffen will. „Ersetzt werden sollen sie durch ein sogenanntes ,Entwicklungsgespräch‘“, sagte Hoffmann am Mittwoch dieser Zeitung. Seiner Ansicht nach würde die rot-rote Landesregierung nach der gerade beschlossenen Abschaffung der Noten in den zweiten Klassen mit diesen Plänen, die „nicht per Gesetz, sondern per Verordnung durchgeführt werden, die Eltern entmündigen“.

Denn Eltern wollten „richtige Zeugnisse mit richtigen Noten“, sagte Hoffmann, „weil die eine akzeptierte Form der Rückmeldung über den Leistungsstand des Kindes sind“. So hätten sich bei entsprechenden Befragungen mehr als drei Viertel für Zensuren ausgesprochen.

Doch nicht alle denken wie der CDU-Mann aus Perleberg. Erst vor wenigen Tagen haben Kinderschutzbund und Bildungsgewerkschaft GEW heftig die Initiative der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien (CDU) kritisiert, die am liebsten die von ihren Vorgängern eingeführte notenfreie Grundschule wieder abschaffen möchte. Die Annahme, dass Kinder ohne Ziffernnoten nicht ausreichend lernen, sei längst überholt, heißt es in der Stellungnahme des Kinderschutzbundes: „Im Gegenteil: Studien belegen, dass gerade in der Grundschule Ziffernnoten die Leistungsmotivation beeinträchtigen () Sie verstärken Leistungsängste und behindern die Lernfreude.“

Wer Inklusion und individuelle Förderung von Kindern mit unterschiedlichen Hintergründen und Ausgangspositionen ernst nehme, könne sie nicht einfach gleichbehandeln, sagen viele Bildungsexperten. Genau dies geschehe aber bei der Vergabe von Zensuren. Außerdem suggerierten Ziffernnoten „eine mathematische Genauigkeit, die angesichts der vielen Aspekte, die in die Notengebung einfließen, eine Illusion ist“ meint Brandenburgs grüne Bildungspolitikerin Marie Luise von Halem: „Individuelle Lernstandsbeschreibungen können wesentlich detaillierter auf Fähigkeiten, Fortschritte und individuelle Stärken eingehen.“ Die Grünen unterstützen deshalb die geplante Änderung der Grundschulverordnung in Brandenburg.

Diese sieht die Einführung standardisierter „indikatororientierter“ Zeugnisse zum Schuljahresende in den Fällen vor, wo sich Eltern gegen Zensuren entscheiden. Zudem teilte das Bildungsministerium mit, dass „ab dem Schuljahr 2020/21 beziehungsweise 2021/22 anstelle der Halbjahreszeugnisse der Jahrgangsstufen drei und vier ein individuelles Gespräch der Klassenlehrkraft mit den Eltern über den Leistungsstand ihres Kindes stattfinden“ wird. Dem hätte der Landeselternrat bereits zugestimmt, sagte eine Sprecherin des Bildungsministeriums dieser Zeitung.

Das würde tatsächlich heißen, dass es keine Halbjahreszeugnisse mehr gibt – auch nicht an Schulen, wo die Eltern sich für Zensuren und gegen verbale Leistungseinschätzung ausgesprochen haben.

In Berlin dürfen Eltern darüber übrigens selbst entscheiden. Paragraf 21, Absatz 1 der Grundschulverordnung sagt: „In den Jahrgangsstufen drei und vier wird das am Ende des jeweils ersten Schulhalbjahres zu erteilende Zeugnis, sofern es sich um eine verbale Beurteilung handelt, durch ein schriftlich zu dokumentierendes Gespräch mit einem Erziehungsberechtigten ersetzt, wenn dies mindestens zwei Drittel der stimmberechtigten Erziehungsberechtigten einer Klasse beschließen oder ein entsprechender Beschluss der Schulkonferenz vorliegt.“

Laut Elternsprecher entscheiden sich aber auch in Berlin die meisten Erziehungsberechtigten für Zensuren.

Ob Zeugnis oder Gespräch, sagt Berlins Bildungsministerin Sandra Scheeres (SPD), wichtig sei eine regelmäßige Information an die Eltern: „Eine kontinuierliche und zeitnahe Rückmeldung zur Lernentwicklung und zum Leistungsstand ist pädagogisch, lernpsychologisch und fachlich unverzichtbar.“

Das wissen auch die Lehrer in Brandenburg. „Wichtig sind die Kinder und nicht irgendwelche ideologischen Grabenkämpfe“, sagt eine Lehrerin aus Cottbus, die ihren Namen nicht nennen will: „Allerdings fände ich es gut, wenn wie in Berlin die Eltern selbst entscheiden könnten, ob sie Zeugnisse oder ein Gespräch haben wollen.“ Der Vater eines Potsdamer Grundschulkindes hat sehr gute Erfahrungen mit den indikatororientierten Zeugnissen gemacht. „Die sind viel aussagekräftiger als Noten“, sagt er.

CDU-Politiker Gordon Hoffmann dürfte das nicht gerne hören. Für ihn steht fest: „Wenn wir bei der nächsten Wahl an die Regierung kommen, werden wir die guten alten Zensuren wieder einführen.“

Sandra Daßler

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