zum Hauptinhalt
In Brandenburg herrscht Ärztemangel.

© dpa

Medizinischer Grenzfall: Debatte um polnische Abschlüsse deutscher Mediziner

Dürfen Ärzte, die in Polen studiert haben, hier praktizieren? Ein neues Rechtsgutachten geht davon aus.

Berlin/Potsdam - Brandenburgs Abgeordnete werden diese Woche erneut über die polnischen Abschlüsse deutscher Mediziner diskutieren – ein Rechtsgutachten dürfte sich auf diese Debatte erheblich auswirken. Das 15-seitige Schreiben, das dieser Zeitung vorliegt, hat der EU-Rechtsexperte Stefan Korte verfasst, der als Jura-Professor an der TU Chemnitz lehrt. In dem Gutachten heißt es, die Studienabschlüsse in Deutschland und Polen seien auch ohne die polnischen Zertifikate „Lek“ und „Stasz“ gleichwertig, die beiden Zusatztitel also für Ärzte in Deutschland unnötig. Setzt sich Kortes Auffassung durch, müssten dutzende angehende Mediziner doch noch in Deutschland zugelassen werden. Hunderte andere werden wohl wie geplant weiter in Polen studieren.

Wie berichtet, erteilen hiesige Behörden seit Sommer 2019 deutschen Absolventen polnischer Medizinstudiengänge nicht mehr automatisch die Approbation. Grund dafür ist die EU-Richtlinie über die Berufsqualifikationsanerkennung, die nun so ausgelegt wird, dass die in Polen vorgeschriebenen Zertifikate „Lek“ und „Stasz“ verpflichtend zum Studium gehören: In Polen studierende Bundesbürger bräuchten demnach diese Titel, um in Deutschland als Ärzte zu arbeiten. Beim „Lek“ geht es um polnisches Recht, „Stasz“ ist ein 13-monatiges Praktikum.

In Kortes Gutachten heißt es sinngemäß, diese Titel seien nur in Polen nötig, auch weil die dort studierenden Deutschen ohnehin ein obligatorisches „Praktisches Jahr“ in deutschen Kliniken absolvieren. Der Jurist schreibt, es gelten die EU-weite Niederlassungsfreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit, da „im Zielstaat die Anerkennung eines Teils der im Herkunftsstaat erforderlichen Berufsqualifikationen ausreicht, um eine berufliche Tätigkeit dort auszuführen“.

Vater von betroffenem Studenten gab Gutachten in Auftrag

Das Gutachten hatte der Berliner Jörg Heynemann in Auftrag gegeben. Der Anwalt ist Vater eines betroffenen Studenten. Sein Sohn habe im Juni 2019 seine Abschlussprüfung in Polen bestanden, das vorgeschriebene „Praktische Jahr“ in Deutschland absolviert und sei trotzdem nicht als Arzt zugelassen worden.

In Brandenburgs Gesundheitsministerium wird schon über das Gutachten diskutiert. Ministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) sagte kürzlich, sie wolle das Problem zügig lösen, verwies aber auf die Bundesregierung. Eigentlich sind für Approbationen die Bundesländer zuständig, doch nicht nur Potsdam, auch Hamburg und Berlin wünschen sich klare Bundesvorgaben: Weil es sich um eine EU-Richtlinie handele, die nationale Regierungen vereinbart hatten, sollten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und sein Amtskollege in Warschau die Richtlinie neu interpretieren oder überarbeiten lassen. Polens Gesundheitsministerium hatte deutschen Ämtern bereits mitgeteilt, dass „Lek“ und „Stasz“ keine Bedingung für die Berufsbezeichnung „Arzt“ seien, sondern nur für die Berufspraxis in Polen.

Vor allem in kleinen Kommunen fehlen Mediziner

In Brandenburg herrscht Ärztemangel, insbesondere in kleineren Kommunen fehlen Mediziner. Die Lage verschärft sich nun womöglich. Das Asklepios-Klinikum Uckermark, das in Schwedt den Brandenburger Nordosten versorgt, könnte wegen des Zulassungsstreits die über Jahre erprobte deutsch-polnische Kooperation beenden. Das bestätigte Rüdiger Heicappell, der Ärztliche Direktor in Schwedt. Der Asklepios-Konzern kooperiert seit 2013 mit der Pommerschen Medizinischen Universität in Stettin. Dort werden pro Jahr 100 Männer und Frauen im englischsprachigen Medizin-Studiengang ausgebildet, darunter viele Deutsche.

Selbst für den Fall, dass zum polnischen Studium andere Rechtsauffassungen herrschten, schreibt Jura-Professor Korte, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten: Die modifizierte EU-Richtlinie gelte erst seit Frühjahr 2019 – da hätten zahlreiche Bundesbürger schon Jahre in Polen studiert. Die Studenten konnten sich demnach „nicht auf die neue Rechtslage einstellen“, es fehlten also Härtefall- und Übergangsregeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false