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Gemischtwarenhandel. Den Polenmarkt gut 70 Kilometer nordöstlich von Berlin gibt es seit Anfang der 90er-Jahre.

© Christian Vooren

Markt für Schnäppchenjäger in Hohenwutzen: Alles und billig

Wurst, Waffen oder Brautkleider: Auf dem Polenmarkt Hohenwutzen werden Schnäppchenjäger nicht nur vor Weihnachten fündig

Die ältere Dame weiß, was sie tut. Die Bustür ist kaum offen, da steht die Frau schon auf dem Gehweg, mit kleinen, eiligen Schritten zieht sie den graublauen Trolley hinter sich her, der ihr bis zum Bauchnabel reicht und farblich gut zu ihren Haaren passt. Sie hat keine Zeit zum Reden, der Trolley ist leer und das muss sich ändern. Zwischen Bustür und ihr Ziel – eine kleine, versteckte Konditorei ums Eck – passt gerade noch eine schnelle Zigarette. Sie raucht nicht ganz bis zum Ende, doch Nachschub ist nicht weit. Aber erst mal drei Stücke Kuchen: Mandel, Kaffee und etwas, das aussieht wie Bienenstich. Zwei Minuten später eilt sie mit gekrümmtem Rücken weiter zum Eingang der großen Markthalle. Der Händler begrüßt sie bereits mit Handschlag: „Ich habe, was du bestellt hast.“ Dann verschwinden beide.

Heute ist nicht viel los auf dem Polenmarkt Hohenwutzen, gut 130 Kilometer nordöstlich von Potsdam. Es ist Dienstagmorgen, Wind und Nieselregen wechseln sich ab. Im Sommer und an Wochenenden reihen sich die Kunden in den Gängen auf wie auf einer Perlenkette. Sie kommen mit Reisebussen, wie die Dame mit dem Trolley, oder fahren mit dem eigenen Auto. In anderthalb Stunden ist man zum Beispiel von Berlin aus vor Ort. Bei so einem Hundewetter kommen allerdings eher nur Profis. „Oma und Opa fahren nicht gern, wenn alles glatt ist“, sagt Martin in gebrochenem Deutsch. Er verkauft Zigaretten, um ihn herum stapeln sie sich meterhoch. Vier Euro für eine große Schachtel, auf der anderen Seite der Grenze zahlt man etwa das Doppelte. „Der Januar ist der schlimmste Monat, da ist gar nichts los“, klagt er. Jetzt, im Dezember kämen immerhin noch ein paar Kunden fürs Weihnachtsgeschäft. Unweigerlich stellt man sich vor, wie die Enkel an Heiligabend das Schleifchen um die Stange Marlboro lösen, die unterm Christbaum lag. Den gäbe es ein paar Meter weiter für sechs Euro.

Den Polenmarkt knapp hinter der Grenze gibt es seit Anfang der 1990er-Jahre, als nach der deutschen Wiedervereinigung die Grenzen geöffnet wurden. Erst boten nur einige wenige Händler ihre Waren auf dem Gelände der alten Papierfabrik an, heute besteht der Markt aus mehr als 700 Ständen, fünf Restaurants, neun Imbissständen, diversen Cafés und Konditoreien, einigen Friseursalons und einer Tankstelle. Im November 2012 wäre es damit beinahe auf einen Schlag vorbei gewesen. Ein Feuer in den frühen Abendstunden zerstörte damals den Großteil der Stände. Doch die Händler ließen sich davon nicht beeindrucken, bereits im folgenden Frühjahr war alles wieder aufgebaut.

Bräuchte der Markt eine Überschrift, sie müsste „Alles & billig“ lauten. Vor allem Letzteres etikettieren die Verkäufer gern auf Schildern und Leuchtreklamen, obwohl es offensichtlich ist. Es gibt so ziemlich nichts, was es nicht gibt. Eine Halle voller Gardinen, ein Zelt, in dem sich Kinderwagen stapeln, Scheibenwischer, Pornos auf DVD und die Puhdys auf CD. Deutscher Schlager dudelt in Dauerschleife. In einer Ecke hängen Fan-Shirts von Eminem bis Landser, einer seit Jahren aufgelösten Neonazi-Band. Draußen steht eine Armada an Gartenzwergen und Plastikweihnachtsmännern – wohl ebenfalls für den Vorgarten bestimmt. Eine Frau verkauft neonpinke Reizwäsche, auf der „sexy“ steht. Ein paar Meter weiter bietet ein Mann statt Reizwäsche Reizgas an, außerdem Armbrüste, Gaspistolen, Schlagringe, Kevlarwesten, Klappmesser. So ziemlich alles an diesem Stand wäre beim Nachbarn in Deutschland illegal. Im Obergeschoss der Markthalle bietet jemand Voltaren-Salbe, Küchenmesser und Wasserkocher an. McGyver würde es hier gefallen. Ein wenig abseits wirbt eine Art Baracke im Schaufenster mit Brautkleidern für 100 Euro, die unterscheiden sich allerdings auch erst auf den zweiten Blick von der Meterware in der Gardinenhalle.

An diesem Dienstag lassen sich die wenigen, vorwiegend älteren Kunden von diesem Kuriositätenkabinett nur wenig beeindrucken. Sie kommen wegen anderer Dinge: Wurst, geräucherter Fisch, Käse, Gurken. Die Preise entsprechen etwa denen in deutschen Discountern, dafür bekommt man hier frische Ware in guter Qualität.

Das wissen auch Anita und Bernd zu schätzen, ein Ehepaar um die 60 aus Ahrensfelde. Etwa alle vier Wochen sind sie auf dem Polenmarkt, und das schon seit Jahren. Früher fuhren sie nur wegen des günstigen Benzins rüber, der Liter kostet immer noch rund 20 Cent weniger als an deutschen Tankstellen. Wenn sie schon mal da sind, kaufen sie Zigaretten für die ganze Familie ein, gelegentlich besuchen sie noch einen der Friseure. „Für 5,50 Euro schneidet einem in Deutschland niemand die Haare“, sagt Anita.

Es ist diese Treue vieler Kunden über Jahre hinweg, die auch die Händler zu schätzen wissen. Margot Matner ist 79 Jahre alt und erledigt gerade ihren Weihnachtseinkauf. An einem Stand draußen lässt sie drei Enten einpacken. Je eine für Tochter und Sohn, eine für sich selbst. Vor Kurzem hat sie eine neue Hüfte bekommen, deshalb räumt der Verkäufer ihr kurzerhand einen Teil seiner Auslage frei, damit sie sich setzen kann. Ihr Ehemann besorgt derweil das Gemüse. Und weil er selbst schlecht zu Fuß ist, hat er sich mal eben ihre Krücken geliehen. Der Verkäufer eilt ihm hinterher, bringt ihn zum Parkplatz und anschließend Margot Matner ihre Krücken zurück. Er versichert sich, dass sie den Weg alleine schafft und packt ihr zum Abschied noch eine Handvoll Konfekt in die Tüte. Bis zum nächsten Mal, ganz bestimmt.

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