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Bisherige Erkenntnisse gehen davon aus, dass der Brandenburger Verfassungsschutz die Mordserie des NSU-Trios (Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, v.l.) hätte verhindern können.

© F. Doebert/dpa

Linke stellt Verfassungsschutz auf den Prüfstand: Gutachten: Brandenburg hat keine Konsequenzen aus NSU-Skandal gezogen

Beim Verfassungsschutz Brandenburg ist nichts Grundlegendes seit Auffliegen des NSU-Terrortrios geschehen, zeigt ein neues Gutachten. Die Linke will nun handeln.

Potsdam - Die Linksfraktion im Landtag will noch vor Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses Konsequenzen bei Verfassungsschutz und Polizei ziehen. Anlass ist ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtags. Das 172 Seiten starke Papier kommt zu dem Ergebnis, dass Brandenburg anderen Bundesländern klar hinterherhinkt bei Maßnahmen, die ein vergleichbares Versagen der Sicherheitsbehörden wie beim NSU-Terrortrio verhindern sollen. Im Klartext: Bislang ist beim Verfassungsschutz nichts Grundlegendes geschehen, nur an einzelnen Stellschrauben bei der Polizei wurde gedreht. Immerhin, darauf verweist das Gutachten, sei 2013 in die Landesverfassung eine Anti-Rassismus-Klausel verankert worden.

"Landesregierung sah im Verfassungsschutz keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf"

Trotz der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages habe die Landesregierung bislang keine Änderungen an „der Sicherheitsarchitektur als Reaktion auf das Bekanntwerden des NSU“ vorgenommen, heißt es in dem Gutachten. „Die Landesregierung sah auch insbesondere im Bereich des Verfassungsschutzes keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Dies gilt sowohl für die parlamentarische Kontrolle als auch für den Einsatz von V-Leuten.“

In Auftrag gegeben worden war das Gutachten vom Parlamentarischen Geschäftsführer der Linksfraktion, Thomas Domres, noch vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses. Der soll die Verwicklungen des Brandenburger Verfassungsschutzes in den Skandal um das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden bei den Morden des Neonazi-Terrortrios überprüfen. Als Domres das Gutachten angefragt hatte, war ein Ausschuss wegen des lange anhaltenden Widerstandes der SPD noch nicht absehbar und sollte ursprünglich in dem koalitionsinternen Zwist von Rot-Rot um die Aufarbeitung als Argumentationshilfe dienen. Die braucht es nun nicht mehr, dennoch soll das Gutachten in den Ausschuss einfließen. „Wir wollen aber nicht abwarten, bis der Ausschuss seine Arbeit erledigt hat“, sagte Domres den PNN. Vielmehr wolle die Linke prüfen, welche jahrelang versäumten Änderungen bereits jetzt vorgenommen werden können.

Das 172 Seiten starke Papier flankiert auch – ungeplant – die Anhörung zweier Experten bei der zweiten Ausschusssitzung am kommenden Freitag. Heinrich Amadeus Wolff, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth und Ralf Alleweldt, Professor an Brandenburgs Polizeifachhochschule in Oranienburg, werden zur Sicherheitsarchitektur des Landes seit 1990 befragt.

Regeln zum Einsatz von V-Leuten bleiben hinter Neuregelungen zurück

Nach dem Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes ist eine „Modernisierung der gesetzlichen Grundlagen des Verfassungsschutzes“ sowie für den umstrittenen Einsatz von V-Leuten wie etwa in Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Thüringen in Brandenburg nach dem Auffliegen des NSU 2011 noch „nicht erfolgt“. Die in Brandenburg bestehenden Regeln zum Einsatz von V-Leuten bleiben „deutlich hinter den Neuregelungen im Bundesrecht oder gar hinter denen in Thüringen zurück“.

Das gilt bei Kontrolle des Verfassungsschutzes durch den Landtag, konkret durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) und die sogenannte G10-Kommission, die Überwachungsmaßnahmen überprüft. Die Befugnisse des Parlaments seien nach dem NSU-Skandal bislang nicht verändert oder erweitert worden. Im Gutachten heißt es dazu: „So fehlen wichtige Elemente, wie sie etwa im Bund oder in einigen Ländern inzwischen geregelt worden sind.“ Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen hätten Regelungen, die viel weiter reichen würden. Selbst Bayern und Baden-Württemberg „verfügen über moderne und recht weitgehende Kontrollregelungen“, stellt das Gutachten fest. Brandenburg stehe bei der parlamentarischen Kontrolle „hinter den genannten Länder und dem Bund zurück“. Selbst bei der Möglichkeit zur öffentlichen Sitzung der PKK, wozu es bislang nur einmal als letzter Abwehrversuch der SPD gegen einen Untersuchungsausschuss kam, gebe es in anderen Bundesländern wie Berlin weiter reichende Regelungen.

Aber: relativ erfolgreiche Arbeit des Verfassungsschutzes

Auch bei der Kontrolle der Finanzen des Verfassungsschutzes hinkt Brandenburg hinterher, während im Bund ein Vertrauensgremium und in anderen Bundesländern die PKK Mitspracherechte hat. Der Parlamentarische Beratungsdienst empfiehlt dem Landtag daher eine Änderung der Landeshaushaltsordnung oder des Verfassungsschutzgesetzes, damit die PKK künftig beim Wirtschaftsplan der Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums mitreden kann.

Dass Brandenburg die Strukturen bislang nicht angetastet hat, liegt offenbar auch an der strikten Ausrichtung und relativ erfolgreichen Arbeit des Verfassungsschutzes – im Kampf gegen Rechtsextremismus, aber auch bei der Aufklärungsarbeit. Zudem war Brandenburg auch Vorreiter bei der Überprüfung von Mordfällen, in deren Zuge einige Taten neu als rechtsmotiviert eingestuft wurden.

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