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Der Verein Opferperspektive stellte einen leichten Rückgang an rechten und rassistischen Angriffen fest (Symbolbild).

© dpa

Update

Leichter Rückgang bei rechter Gewalt: Mehr Frauen und Mädchen unter den Opfern

253 Opfer rechter und rassistischer Angriffe hat der Verein Opferperspektive 2020 in Brandenburg erfasst. Die Beratungsstelle geht von einer hohen Dunkelziffer aus.

Potsdam - April 2020: In Werder (Havel) beleidigen zwei deutsche Nachbarn drei tschetschenische Schülerinnen nahe der dortigen Gemeinschaftsunterkunft mit rassistischen und antimuslimischen Beschimpfungen und drohen, ihren Hund auf sie zu hetzen. Zwei jugendliche Bewohner der Unterkunft eilen den Mädchen zur Hilfe, worauf einer der Angreifer versucht, einen der schwarzen Jugendlichen mit einem Messer zu verletzen und ihn dann mit der Faust zu Boden schlägt. Die Jugendlichen können den Angriff abwehren, ohne dass es zu schweren Verletzungen kommt. So schildert der Potsdamer Verein Opferperspektive einen Vorfall aus dem Vorjahr, der deutlich macht: In Brandenburg sind nicht selten Kinder und Jugendliche rechtsextremen und rassistischen Angriffen ausgesetzt, die Zahl der weiblichen Opfer nimmt zu. 

26 Prozent der Opfer sind Frauen und Mädchen 

Der Anteil der Frauen und Mädchen unter den Opfern rechter und rassistischer Gewalt sei auf 26 Prozent gestiegen, sagte Geschäftsführerin Judith Porath am Donnerstag bei der Vorstellung der Bilanz für 2020. Dies sei der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre. 49 Attacken auf Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum seien bekanntgeworden. „Da hat eine Enttabuisierung stattgefunden“, sagt Porath. Die Vorfälle reichten von Angriffen auf Spielplätzen über die beschriebenen Beleidigungen nahe einer Flüchtlingsunterkunft bis hin zu Attacken auf Schwangere, denen Einkaufswagen in den Bauch geschoben würden. Mehr als jede dritte von rechter Gewalt selbst oder als Zeuge betroffene Person (39 Prozent) sei minderjährig gewesen. Mehr als 30 Prozent der direkt Attackierten waren Kinder und Jugendliche. Brandenburgs Grüne fordern deshalb, einen Antidiskriminierungsbeauftragten an Schulen einzusetzen. 

130 Gewalttaten wurden insgesamt gezählt 

Insgesamt registrierte die landesweit tätige Opferperspektive im Vorjahr weniger rechte und rassistische Angriffe. 2020 seien 130 Vorfälle gemeldet worden, zwölf weniger als 2019, so Porath. Womöglich sei das auch auf die coronabedingten Kontaktbeschränkungen zurückzuführen, weil es so weniger Begegnungen und damit Tatgelegenheiten gegeben, der Verein zugleich von weniger Fällen erfahren habe. Von den 2020 registrierten Angriffen seien insgesamt 253 Menschen betroffen gewesen. In die Statistik des Vereins fließen polizeibekannte Fälle ein – aber nicht nur. Der Verein nimmt wie der Name schon sagt die Perspektive der Opfer ein und registriert auch solche Vorfälle, die von diesen als rechtsextremistisch oder rassistisch eingestuft werden, auch wenn sie in der Polizeistatistik (die für politisch motivierte Kriminalität wird kommenden Freitag vorgestellt) nicht unter der Kategorie auftauchen. Wie etwa jene beiden versuchten Tötungsdelikte am 22. Mai in Guben (Spree-Neiße): „Die Täter setzten in beiden Fällen ihr Auto als Waffe ein, um Geflüchtete zu überfahren. Die Angegriffenen konnten sich jeweils im letzten Moment retten“, schreibt die Opferperspektive in ihrem Jahresbericht. „Entgegen der Einschätzung der Polizei, die eine rechte Tatmotivation verneint, obwohl die Täter Bezüge zur rechten Szene haben, wertet die Beratungsstelle die Fälle als eindeutig rassistisch motiviert.“

Eine explizitere Zuordnung durch die Polizei fordert der Verein auch hinsichtlich der Bewegungen gegen die Corona-Maßnahmen, insbesondere gegen das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes. Diese seinen „geprägt durch offenen Antisemitismus und andere Verschwörungserzählungen“ und müssten als „politisch motivierte Kriminalität rechts“ und nicht als „sonstige“ gewertet werden. 

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Die meisten Vorfälle gab es in der Uckermark und in Potsdam

Regional gibt es starke Unterschiede. Schwerpunkt war im vergangenen Jahr die Uckermark mit 18 Angriffen, darunter waren zwölf Fälle allein in Prenzlau. Dann folgen die Landeshauptstadt Potsdam mit 15 und Cottbus mit zwölf Fällen. In Südbrandenburg sei die Zahl rechter und rassistischer Gewalttaten entgegen dem Trend zum leichten Rückgang insgesamt gestiegen. Einen starken Rückgang verzeichnet hingegen der Kreis Oberhavel (2020: sieben; 2019: 18). In Potsdam steche die hohe Zahl rassistisch motivierter Angriffe im Wohnumfeld hervor. Neun ereigneten sich demnach in unmittelbarer Umgebung des Wohnortes der Betroffenen. Beispiel: Im Stadtteil Schlaatz bedrohte ein Nachbar im September eine schwarze Frau an ihrer Wohnungstür mit einem Hammer. 

Marion Kaufmann

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