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Weniger wert? Seiteneinsteiger sind im brandenburgischen Bildungssystem unverzichtbar, bestätigt selbst Bildungsministerin Britta Ernst. Doch wenn es um die Bezahlung geht, ist ihr Ressort knallhart.

© Julian Stratenschulte/dpa

Lehrermangel in Brandenburg: Lehrer zweiter Klasse

In Brandenburg fehlen Lehrer. Das Land will daher Hochschulabsolventen überzeugen, ins Klassenzimmer zu wechseln. Einigen von ihnen droht jetzt allerdings finanzielles Ungemach: Sie müssen zu viel gezahltes Gehalt zurückzahlen - weil sie falsch eingruppiert wurden. Das Ministerium spricht Einzelfällen und einem gängigem Verfahren.

Potsdam - Ohne sie geht an Brandenburgs Schulen nichts mehr: 21 Prozent der Lehrer im Land sind Seiteneinsteiger ohne Lehramtsabschluss. Um den Pädagogenbedarf abdecken zu können, wirbt das Bildungsministerium des Landes um die Hochschulabsolventen anderer Fachrichtungen, die ins Klassenzimmer wechseln wollen. Doch nun droht einigen dieser rund 2320 Quereinsteiger finanzielles Ungemach. Sie bekommen rückwirkend schlechtere Arbeitsverträge und müssen zu viel gezahltes Gehalt an das Land zurückzahlen.

Der monatliche Gehaltsunterschied: 339,33 Euro

In einem Schreiben des Staatlichen Schulamtes Brandenburg/Havel, das den PNN vorliegt, ist so ein Fall dokumentiert. Einem Diplom-Volkswirt, der an der Universität Potsdam seinen Abschluss gemacht hat und nun an einer Grundschule unterrichtet, wird darin mitgeteilt, dass seine Eingruppierung fehlerhaft gewesen sei. Ursprünglich sei er nach Entgeltgruppe E 10 zuzüglich Angleichungszulage, Tarifstufe 1, bezahlt worden. „Diese Eingruppierung ist fehlerhaft“, heißt es in dem Schreiben der Behörde. Mit seiner Ausbildung verfüge der Lehrer nicht über die fachlichen Voraussetzungen zum Unterrichten in mindestens einem Schulfach der Grundschule. Insofern sei er künftig in die Entgeltstufe E 9, Tarifgruppe 1, einzugruppieren. Der monatliche Unterschied zwischen E 10 und E 9 laut Tabelle des Ministeriums: 339,33 Euro. Rückwirkend müsste der Lehrer, der zum aktuellen Schuljahr seinen Dienst antrat, somit rund 1800 Euro an das Land zurückzahlen.

Die Gewerkschaft rät, die Einstufung rechtlich prüfen zu lassen

Die Rückstufung sei korrekt, erklärt das Bildungsministerium auf PNN-Anfrage. Sie betreffe zudem nur Einzelfälle, eine genaue Zahl der Betroffenen gebe es derzeit nicht. Um keinen Unterrichtsausfall zu riskieren und die Seiteneinsteiger schnell ins System zu bringen, könnten die Schulämter zum Zeitpunkt der Einstellung nur eine Prognose aufgrund ihrer Erfahrung treffen, wie der Tarifvertrag auf den Einzelnen anzuwenden sei, erklärt Sprecher Ralph Kotsch. Die nachfolgende Überprüfung der Arbeitsverträge nehme das Ministerium vor. „Fehlerhafte Eingruppierungen, aufgrund einer abweichenden lehrerbildungsrechtlichen Bewertung der Hochschulbildung, sind zu korrigieren“, so Kotsch, und zwar binnen einer Frist von sechs Monaten. Wichtig bei der Bewertung sei, ob die fachlichen Inhalte des Studiums weitgehend den Inhalten in einem Lehramtsstudium entsprechen. Der Tarifvertrag, also die Eingruppierung und Bezahlung, sei bindend, es gebe keinen Ermessensspielraum. Es gebe aber auch den anderen Fall, betont Kotsch: Seiteneinsteiger wurden ursprünglich zu niedrig eingestuft. Sollte sich bei der Überprüfung zeigen, dass ihre Qualifikation eine höhere Tarifstunde verlange, werde natürlich auch das nachträglich geändert. Die Alternative, „auf Nummer sicher“ zu gehen und bei Vertragsabschluss stets die niedrigste Entgeltgruppe zu Grund zu legen, erscheint aus Sicht des Ministeriums „nicht plausibel“.

„Die Schulämter müssen personell besser ausgestattet werden", fordert dagegen Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die einige der Seiteneinsteiger vertritt. Dass die Schulämter auf die Schnelle auch einmal eine Fehleinschätzung treffen, sei angesichts der knappen Personallage dort verständlich. Den Betroffenen könne er nur raten, ihre Eingruppierung rechtlich prüfen zu lassen, so Fuchs.

Dem großen Berg Arbeit stehe ein kleiner Berg Gehalt gegenüber

Zumal die Quereinsteiger verglichen mit anderen Lehrern ohnehin deutlich niedrigere Gehälter bekämen, heißt es in einem Schreiben von Betroffenen an die PNN. „Das Land wirbt pensionierte Lehrkräfte zur zeitweisen Rückkehr und es ermuntert Akademiker aus anderen Studienfächern zum Quereinstieg“, heißt es darin. „Viele sogenannte Seiteneinsteiger sind diesem Ruf gefolgt und haben ihre Jobs gekündigt, um den beruflichen Neuanfang zu wagen.“ Dieser Schritt erfordere viel Mut und Idealismus. Sie hätten häufig dieselbe Stundenzahl zu unterrichten wie ihre Kollegen und in der unterrichtsfreien Zeit nicht nur Vorbereitungen für die Klasse zu leisten, sondern auch Qualifizierungen. Doch dem großen Berg Arbeit stehe nur ein kleiner Berg Gehalt gegenüber.

Im Haus von Bildungsministerium Britta Ernst (SPD), die erst kürzlich bei ihrer Pressekonferenz nach 100 Tagen im Amt einräumte, dass Seiteneinsteiger unverzichtbar für die Unterrichtsabdeckung sind und bessere qualifiziert werden sollen, sieht man das anders. Die Einkommen für Seiteneinsteiger ohne Lehrerausbildung seien überdurchschnittlich hoch. Einstiegsgehälter von rund 2750 Euro (Entgeltgruppe 9) und 3090 Euro (Entgeltgruppe 10), die sich bereits nach einem Jahr um rund 280 beziehungsweise 310 Euro erhöhen, seien „durchaus gut“.

Die Akademiker mit Berufserfahrung fühlen sich dennoch als Lehrer zweiter Klasse. „Aus Sicht der brandenburgischen Bildungspolitik sind Seiteneinsteiger für das Abarbeiten der Schulstunden gerade qualifiziert genug, doch für eine anerkennende Bezahlung erkennt die Politik die Seiteneinsteiger als Lehrkräfte nicht an“, beklagen sie.

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