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Brandenburg: Lebenslänglich für die Eltern von Dennis

Landgericht Cottbus sieht den Vorwurf des Mordes in Tateinheit mit Misshandlung als erwiesen an

Von Sandra Dassler

Cottbus - Geweint haben sie erst am Ende des letzten Verhandlungstages, als ihnen ihr Anwalt das Urteil erläuterte. Angelika und Falk B. müssen für viele Jahre ins Gefängnis. Das Cottbuser Landgericht verurteilte sie gestern wegen Mordes und Misshandlung ihres Sohnes Dennis, dessen Leiche im Juni 2004 in der Tiefkühltruhe der elterlichen Wohnung in Cottbus entdeckt worden war, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Nach 14 Prozesstagen und der Anhörung von etwa zwei Dutzend Zeugen und drei Gutachtern sah es die Große Strafkammer als erwiesen an, dass Angelika und Falk B. ihren 1995 geborenen Sohn vernachlässigten, misshandelten und ihm die angemessene Nahrung verweigerten. Kurz vor Weihnachten 2001 starb er deshalb an körperlicher Schwäche, Auszehrung und eklatantem Energie- und Eiweißmangel. „Akut verhungert ist Dennis nicht“, sagte der Vorsitzende Richter Roland Bernards in der Urteilsbegründung. Dennis sei vielmehr qualvoll und langsam gestorben.

Das Gericht folgte damit dem Antrag des Staatsanwalts Tobias Pinder, der gefordert hatte, beide Eltern wegen gemeinschaftlichen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ebenso wie er sahen auch die Richter das Mordmerkmal der Grausamkeit erfüllt: Angelika und Falk B. hätten aus einer „gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung heraus“ dem Kind nur sporadisch Nahrung und Flüssigkeit gegeben. Obwohl sie durchaus hätten erkennen können, dass Dennis immer schwächer wurde, hätten sie keine Hilfe geholt.

Die 44-jährige Angelika B. habe sich häufig mit ihrem 38-jährigen Ehemann darüber gestritten, ob man mit Dennis zum Arzt gehen müsse. Das zeige, dass die Eltern durchaus wussten, in welcher Gefahr der Junge schwebte. Da sie somit auch seinen möglichen Tod billigend in Kauf nahmen, sei der Tatbestand „Mord durch Unterlassen“ erfüllt.

Es sei ausgeschlossen, dass Dennis an einer Krankheit starb. Fotos zeigten, dass er schon eineinhalb Jahre vor seinem Tod nur noch Haut und Knochen war. Strafmildernde Umstände konnte das Gericht nicht erkennen. Der Junge habe über Monate, wahrscheinlich sogar über Jahre körperliche und seelische Qualen erlitten und dies bewusst wahrgenommen.

Die Verteidiger von Angelika und Falk B. kündigten unmittelbar nach dem Urteil Revision an. Sie hatten eine milde Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge gefordert. Ihrer Ansicht nach haben Angelika und Falk B. zwar ihre Elternpflichten fahrlässig vernachlässigt, den Jungen jedoch nicht töten wollen. Vor allem hätte es keinen gemeinsamen Tatbeschluss gegeben, das Kind verhungern zu lassen.

Zur Urteilsverkündung waren Medienvertreter aus ganz Deutschland nach Cottbus gereist. Der „Fall Dennis“ hatte bundesweit Aufsehen erregt – auch, weil das Verschwinden des Kindes weder Verwandten, Bekannten noch Nachbarn aufgefallen war. Vor allem aber waren die Behörden in die Kritik geraten. Das Jugendamt hatte die sozial schwache Familie seit vielen Jahren betreut. Drei Kinder waren von Angelika B. zur Adoption freigegeben worden, acht lebten zum Zeitpunkt des Todes von Dennis in ihrem Haushalt. Der Vorsitzende Richter sprach in seiner Urteilsbegründung mehrfach vom „Versagen der Behörden“ und meinte damit vor allem das Schulamt. Dennis hätte im Sommer 2001 eingeschult werden müssen. Als die Eltern der Aufforderung nicht nachkamen, ihn zur ärztlichen Untersuchung zu bringen, prüfte der zuständige Schulrat lediglich, ob er gegen die Eltern ein Bußgeld verhängen sollte. Ein Jahr lang nahm die Behörde ohne jede Nachfrage bei den Eltern hin, dass Dennis nicht in der Schule erschien. „Hätte das Amt damals mehr als nichts getan, könnte Dennis möglicherweise noch leben“, sagte der Richter gestern. Ein Jahr später ließen sich die Schulbehörden mit der Erklärung von Angelika B. abspeisen, dass Dennis im Krankenhaus in Berlin sei. Zwei Jahre lang glaubte man ihr, ohne ein einziges Mal beim Krankenhaus nachzufragen.

Die Hauptschuld für den Tod des Jungen liege jedoch zweifelsfrei bei den Eltern, befand das Gericht. Beide träfe auch die gleiche Schuld. Falk B. habe zwar heimlich versucht, dem Jungen zu helfen – ihn beispielsweise abgebunden, wenn er ans Bett gefesselt war –, aber letztlich keinen Streit mit seiner Ehefrau haben wollen. Das Motiv für die Tat sahen die Richter in der Befürchtung von Angelika B., man könne ihr die anderen Kinder wegnehmen, wenn herausgekommen wäre, wie es um Dennis stand. Nun wird sie die Entwicklung dieser Kinder mindestens fünfzehn Jahre lang nur vom Gefängnis aus verfolgen können.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Angeklagten bleiben vorerst auf freiem Fuß. Das Gericht sieht keine Fluchtgefahr.

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