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Landgericht Potsdam: Fernöstliche Weisheiten

Der Streit zwischen dem Journalisten Hans-Rüdiger Karutz und der Politikerin Saskia Ludwig (CDU) soll nun mit einem Vergleich beigelegt werden. Für den Richter war zum Ende eines offensichtlich: Um Geld ging es in diesem Streit nicht.

Potsdam - Der Hauptgewinner in diesem kuriosen Rechtsstreit sitzt auf der Richterbank: Sascha Beck hält zum Auftakt des Verfahrens Karutz gegen Ludwig, Publizist gegen Politikerin, einen ungewöhnlichen Vortrag – und befriedet damit das Zivilverfahren, ebnet den Weg für einen Vergleich, der längst hätte geschlossen werden können, weit vor dem Termin am Potsdamer Landgericht. Hans-Rüdiger Karutz, Ex-Chefreporter der „Welt“, wirft der CDU-Landtagsabgeordneten Saskia Ludwig vor, ihn um 8925 Euro geprellt zu haben. Die beiden hätten mündlich vereinbart, dass Karutz Ludwig im Bundestagswahlkampf 2017 berät. Ludwig bestreitet das. Aus ihrer Sicht ist kein Vertrag zustande gekommen, gab es nur ein Vorstellungsgespräch. Aus Karutz’ Sicht habe er in dem Gespräch bereits erste Dienste erbracht.

„Ich glaube, dass beide Parteien aus ihrer jeweiligen Sicht recht haben“, sagt Richter Beck. Jeder könne aus seiner Perspektive entweder davon ausgehen, dass durch das mündliche Einvernehmen bereits ein Vertrag zustande gekommen ist – oder eben nicht. Der Fall sei deshalb „alles andere als glasklar“. Nur eines sei für ihn offensichtlich: Es gehe bei dem Streit gar nicht um Geld, sondern um Reputation.

In Saal 12 des Landgerichts sitzen sich am Montagmorgen zwei Personen gegenüber, denen es tatsächlich in erster Linie um eines geht: um ihren Ruf. Darum, nicht als Lügner dazustehen. Auf der einen Seite nimmt Hans-Rüdiger Karutz neben seinem Anwalt Platz. Karutz, früher DDR-Korrespondent und Leiter des Berliner Büros der „Welt“, sei „einer der großen bürgerlichen Journalisten“, erklärt sein Rechtsbeistand Peter-Michael Diestel, als letzter Innenminister der DDR und erster CDU-Fraktionschef im Brandenburger Landtag nach der Wende selbst kein Unbekannter.

Fernöstliche Weisheit im Potsdamer Landgericht

Auf der anderen Seite sitzt, neben ihrem Anwalt, Saskia Ludwig, selbst einige Zeit bis September 2012 Chefin der CDU-Landtagsfraktion. Die Golmerin ist immer noch Landtagsmitglied. Im Vorjahr wollte sie als Direktkandidatin im Wahlkreis 61 den Sprung in den Bundestag schaffen – und, so schilderte es Karutz, dabei seine Expertise im Umgang mit Medien nutzen. Der 76-Jährige war nach seiner Darstellung am 15. Juni 2017 von Ludwig als Wahlkampfberater angeheuert worden, für ein Monatssalär von 3000 Euro. Zwei Tage nach dem von Ex-„Bild“-Chefredakteur Herrmann Tiedje vermittelten Treffen im Café „Heider“ habe ihm Ludwig per Mail und ohne Begründung mitgeteilt, dass sie seine Hilfe doch nicht brauche. Unmittelbar nach der Absage hatte Karutz der CDU-Politikerin angeboten, die Angelegenheit mit einem Vergleich – gegen eine Zahlung von 2000 Euro – zu bereinigen. Ludwig lehnte ab, schlug vor, Karutz’ Aufwendungen im Zusammenhang mit dem „Bewerbungsgespräch“ zu erstatten. Sie werden sich nicht einig, denn derjenige, der auf den anderen zugeht, würde damit einräumen, dass seine Darstellung falsch ist.

Richter Sascha Beck versucht es also mit fernöstlicher Weisheit. Von einem japanischen Kollegen, der am Gericht hospitiere, habe er gelernt, dass man selbst der unterlegenen Partei die Möglichkeit geben müsse, ihr Gesicht zu wahren. Zwei Menschen, die beide dem bürgerlichen Lager angehörten, könnten Streit vielleicht auch als etwas Fruchtbares sehen, meint der Richter. Er wolle Saskia Ludwig nicht mit Hillary Clinton vergleichen, die bis heute davon ausgehe, dass sie die US-Präsidentenwahl 2016 verlor, weil vor der Wahl die E-Mail-Affäre öffentlich wurde. Er könne aber Verständnis dafür aufbringen, dass Ludwig an ihrer Position festhalten wolle. Die Berichterstattung zum Fall Karutz sei zu einem für Ludwig ungünstigen Zeitpunkt erschienen. Die PNN hatten den Fall im August 2017 öffentlich gemacht – da war der Versuch von Karutz, sich außergerichtlich und ohne Öffentlichkeit mit Ludwig zu verständigen, schon gescheitert. Im Zuge der Berichterstattung war auch bekannt geworden, dass für Ludwigs Team beim DAK-Firmenlauf ein 37-jähriger Polizist in der Azubi-Klasse angetreten war und den zweitplatzierten Gymnasiasten um seinen Sieg brachte. Im September verlor Ludwig bei der Bundestagswahl gegen ihre SPD-Kontrahentin Manja Schüle.

„Ich habe einen extrem klugen Kollegen“

Genauso habe er aber Verständnis für Karutz, der als langjähriger Reporter ebenfalls um seine Reputation fürchte. Der Angst habe, dass am Abschluss seines langen, erfolgreichen Berufslebens ein negativer letzter Eindruck bleibe.

Was dann folgt, erinnert ein bisschen an eine Aufführung des Ohnsorg-Theaters. Tür auf, Tür zu, Tür auf, Tür zu. Insgesamt vier Mal treten die beiden Anwälte von der Hauptbühne ab, verhandeln im Hinterzimmer. Um am Ende die Weisheit des Richters zu loben und keine Anträge zu stellen. Das Verfahren ruht, beide Parteien wollen einen Vergleich ausarbeiten und einreichen. In diesem muss auch festgehalten werden, wer die Verfahrenskosten von mindestens 1300 Euro trägt. Über den Inhalt des Vergleichs – das ist Kern der Vereinbarung – soll Stillschweigen gewahrt werden. Dementsprechend äußern sich Ludwig und Karutz nicht selbst nach dem Termin. Dafür liegen sich die Anwälte verbal in den Armen. „Ich habe einen extrem klugen Kollegen“, sagt Diestel zu Moser. „Wir werden uns einigen“, sagt Moser zu Diestel. Und Gerichtssprecherin Sabine Dießelhorst sagt zu den fernöstlichen Fähigkeiten ihres Kollegen Beck: „Das war eine Sternstunde der Justiz.“

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