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Außenministerin Annalena Baerbock beim Grünen-Parteitag in Cottbus.

© Bernd Settnik/dpa

Update

Landesparteitag der Grünen: Baerbock rechnet mit 40.000 Geflüchteten in Brandenburg

Brandenburgs bekannteste Grüne, Außenministerin Annalena Baerbock, verteidigt beim Landesparteitag in Cottbus Waffenlieferungen an die Ukraine.

Cottbus - In 20 Minuten Laufentfernung kommen sie an. Frauen, Kinder, die vor dem Krieg aus der Ukraine geflohen sind, und am Cottbuser Bahnhof versorgt werden. Es sei gut, dass dieses dritte deutsche Drehkreuz für Geflüchtete eingerichtet worden sei, sagt Annalena Baerbock in der wenige Kilometer von dem Ankunftsort entfernten Cottbuser Stadthalle. "Nur sieben Autostunden liegen zwischen Cottbus und der polnisch-ukrainische Grenze", macht sie deutlich. Über Cottbus können  bis zu 2500 Geflüchtete täglich nach Deutschland in Sicherheit gebracht werden. Jeden Tag fahren bis zu sechs Shuttle-Züge der Deutschen Bahn von Wroclaw ohne Zwischenstopp nach Cottbus.

Brandenburgs bekannteste Grüne ist am Samstag zum Landesparteitag in die Lausitzstadt gekommen, um über Putins Krieg gegen die Ukraine zu sprechen. Als Außenministerin, als märkische Bundestagsabgeordnete und frühere Grünen-Landes- und Bundesvorsitzende, "als Mensch, der in Brandenburg lebt".  Zum Auftakt spielt die Grüne Blaskapelle die ukrainische und die Europahymne. 

40.000 Geflüchtete in Brandenburg erwartet 

Brandenburg müsse sich darauf einstellen, 40.000 Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen, sagt Baerbock, die als Kanzlerkandidatin in Potsdam direkt gegen Olaf Scholz (SPD) angetreten war und nun mit ihm in der Ampel-Koalition nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor ungeahnten Herausforderungen steht. In der gesamten Europäischen Union werden laut Baerbock acht bis zehn Millionen Geflüchtete ankommen. "Wir werden sie alle aufnehmen", verspricht sie. Transatlantische Staaten wie Kanada hätten dabei Unterstützung zugesagt. 

In Cottbus fordert sie die "unverzügliche Einstellung dieses barbarischen Krieges" und macht gleichzeitig die Grenzen der deutschen Außenpolitik deutlich. "Wir können militärisch nicht eingreifen, so furchtbar das ist", sagt Baerbock. Denn es könne sonst nicht ausgeschlossen werden, dass europäische Nachbarn in den Krieg hineingezogen werden, weil sie Nato-Gebiet sind. 

"Deswegen müssen wir alles tun, was wir sonst tun können, um die Ukraine zu unterstützen", so Baerbock. Dazu zählten auch Waffenlieferungen an die Ukraine – für einige in der selbsternannten Friedenspartei Bündnis 90/Die Grünen ein schwieriger Umstand. Doch Widerspruch für den Kurs bekommt Baerbock auf dem hybriden Landesparteitag nicht. 

"Wenn die Welt sich ändert, muss auch Politik sich ändern, sonst macht man Politik vorbei an der Realität", sagt sie. Die Delegierten in der Cottbuser Stadthalle applaudieren. Parteimitglieder, die den Stream verfolgen, lassen Herzchen und Sonnenblumen über den Bildschirm wabern.  Der Vorzeigepolitikern aus dem eigenen Landesverband fällt niemand in den Rücken. Debatten oder gar Kritik an der Bundeslinie im Ukraine-Krieg gibt es nicht, zumindest nicht auf offener Bühne.

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Auch Nouripour verteidigt Waffenlieferungen 

"Wir liefern Waffen in Ukraine. Das hatten wir nicht vor, aber die Ukraine hat ein Recht auf Selbstverteidigung", sagt auch der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour bei seiner Parteitagsrede in Cottbus. "Wir tun jetzt Dinge, die wir so nicht machen wollten", so Nouripour. Aber der Krieg in der Ukraine lasse keine andere Wahl. 

Die Grünen seien immer die "Anti-Putin-Partei" gewesen - und klar gegen Nordstream 1 und 2. Die Vorgänger-Bundesregierungen aus SPD und CDU hätten ein Haus hinterlassen, das nicht gut bestellt sei. Den schlechten Zustand der Bundeswehr, den ungenügenden Netzausbau nennt Nouripour. Vor allem aber: Die massive Abhängigkeit von fossiler Energie aus Russland. 

Landesvorsitzende kritisiert Koalitionspartner SPD und CDU

Spätestens an diesem Punkt wird das große Dilemma deutlich, in dem sich die Brandenburger Grünen, seit 2019 gemeinsam mit SPD und CDU in Regierungsverantwortung, befinden. Die Brandenburger Landesregierung will angesichts des Ukraine-Kriegs die endgültige Stilllegung von zwei Blöcken des Kohlekraftwerks Jänschwalde in der Lausitz verschieben, wie Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD)  in einem Brief an den Grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorschlug. 

Sie sei entsetzt, wie die Debatte in Brandenburg laufe, sagt die Co-Landesvorsitzende der Grünen, Julia Schmidt, in ihrer Rede. SPD und CDU hätten sich darin überboten, wer am schnellsten den Kohleausstieg in Frage stelle. „Lieber Dietmar Woidke, der Kohleausstieg 2038 ist keine Antwort, wir müssen jetzt handeln“, sagt sie in Richtung von Brandenburgs SPD-Regierungschef. 

Besonders mit der SPD seien die Debatten schwierig. „Ihr könnt mir glauben, die sind wirklich genervt von uns und wir werden weiter nerven“, verspricht Schmidt den Parteimitglieder. Anstatt den Kohleausstieg 2030 in Frage zu stellen, müssen der von Vorgängerregierungen verschlafene Ausbau erneuerbarer Energien endlich vorangebracht werden. 

Die rund 100 Delegierten stimmten am Samstagnachmittag einer eine Resolution gegen den Krieg sowie einem Antrag des Landesvorstands zum Thema Energie zu. Darin wird eine Versorgung in Brandenburg mit 100 Prozent erneuerbaren Energien gefordert. Bis zum Jahr 2035 soll Brandenburg klimaneutral sein. 

Was wird aus dem Tempolimit? 

Ein weiterer Brandenburger Grüner sitzt dabei an einer wichtigen Schaltstelle. "Wir können gerne über das Wie des Kohleausstiegs reden, aber nicht über das Ob", sagt Michael Kellner am Rande des Parteitages. Der Bundestagsabgeordnete aus der Uckermark, früherer Bundesgeschäftsführer der Grünen, ist inzwischen parlamentarischer Staatssekretär bei Klimaschutz- und Wirtschaftsminister Habeck.

Warum die Grünen gerade jetzt, wo angesichts des Krieges eine Reduktion des Energieverbrauchs helfen würden, das Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen nicht wieder auf die Tagesordnung heben? "In der Koalition gibt es zu dem Thema unterschiedliche Meinungen", sagt Kellner nur. Omid Nouripour hingegen verspricht in Cottbus: "Der Kampf um das Tempolimit geht natürlich weiter." 

Baerbock spricht nicht über das Tempolimit, aber über die Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden. "Wir sehen, dass die Sanktionen treffen, weil Putin plötzlich fordert, Energie in Rubel zu zahlen", sagt sie. Dem dürfe man nicht nachgeben. "Die Verträge sind in Euro geschlossen und werden auch in Euro bezahlt. Wir machen dieses Spiel nicht mit."

Grüne Jugend fordert Energieembargo 

Und dann kommt sie doch, die Kritik. "Die aktuellen Sanktionen sind nicht hart genug, die Situation in der Ukraine wird immer dramatischer", sagt Charlotte Unnerstall, politische Geschäftsführerin der Grünen Jugend Brandenburg. "Deswegen müssen wir uns für die härtest möglichen Sanktionen und ein Energieembargo einsetzen", fordert sie. Auch mit der rot-schwarz-grünen Landesregierung hadern die jungen Parteimitglieder. "Klimaplan und Klimacheck sind ein wichtiger Grundstein für aktiven Klimaschutz in Brandenburg", so Tammo Westphal. "Doch ein klares Bekenntnis der Landesregierung zur 1,5-Grad-Grenze? Fehlanzeige!", konstatiert das Mitglied der Grünen Jugend.

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