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Kreisreform in Brandenburg: Kreisreform-Gegner sammelten fast 130 000 Unterschriften

Die erste Hürde in ihrem Kampf gegen die Kreisreform hat eine Initiative locker genommen. Statt 20 000 kamen gleich 130 000 Unterschriften zusammen. Ministerpräsident Woidke hält an der Reform trotzdem weiter fest.

Potsdam - Die Gegner der Kreisreform haben am Dienstag rund sechs Mal mehr Unterschriften eingereicht als eigentlich notwendig. Genau 129 464 Bürger hätten innerhalb von 100 Tagen unterschrieben, teilte der Verein Bürgernahes Brandenburg bei der Übergabe der Kisten an Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) in Potsdam mit.

"Die Brandenburger wollen keine Zwangsreform ihrer Kreise und Kreisfreien Städte", sagte CDU-Landeschef Ingo Senftleben zu dem zentralen Reformvorhaben der rot-roten Landesregierung. Man erwarte jetzt einen Stopp der Reform. Es müssten neue Gespräche auf Augenhöhe mit den Kommunen stattfinden.

Woidke: "Wir halten an unserem Ziel fest, zur Kommunalwahl 2019 die neuen Verwaltungsstrukturen umzusetzen"

Woidke äußerte sich nach der Übergabe wenig beeindruckt. "Die Landesregierung steht allen Diskussionen aufgeschlossen gegenüber. Ein grundsätzliches Nein, wie es die Gegner fordern, ist jedoch für die Zukunft unseres Landes deutlich zu wenig", erklärte Woidke.

"Wir halten an unserem Ziel fest, zur Kommunalwahl 2019 die neuen Verwaltungsstrukturen umzusetzen", sagte Woidke. Damit sollten auch die Kreise gestärkt und die bisher kreisfreien Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel von etwa der Hälfte ihrer Kassenkredite entlastet werden. Auch könnten so Kultureinrichtungen wie das Landeskunstmuseum Cottbus/Frankfurt (Oder) gesichert werden.

Auch Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) hielt an dem Vorhaben fest: "Das Sammeln von Unterschriften lässt den Reformbedarf nicht verschwinden. Wäre es anders, würde ich als erster meine Unterschrift leisten."

Christoffers (Linke): Man werde auf Dialog setzen

Linken-Fraktionschef Ralf Christoffers sagte, man werde weiter auf Dialog setzen. Es gebe Bewegungsspielraum, meinte er. Als mögliche Ansatzpunkte nannte er die Verschuldung der kreisfreien Städte oder einen zusätzlichen Ausgleich für Landkreise ohne direkte Grenze zu Berlin. Der kommunalpolitische Sprecher und Vize-Chef der SPD-Fraktion, Daniel Kurth, sagte, man nehme die Sorgen und Nöte der Menschen, die unterschrieben haben, ernst. "Da gehen wir nicht drüber hinweg, sondern da hören wir zu."

Landtagspräsidentin Stark kündigte an, die Unterschriften nun prüfen und amtlich zählen zu lassen. Sie gehe aber davon aus, dass die Hürde von 20 000 Unterschriften überwunden wurde. Dann wird sich der Landtag mit dem Ansinnen befassen. Sollte er wie erwartet den Wunsch der Reformgegner ablehnen, wollen diese ein Volksbegehren starten. Dazu sind 80 000 Unterschriften in Amtsstuben oder per Briefwahl notwendig. Lenkt der Landtag weiter nicht ein, wäre ein Volksentscheid möglich. Dann müssten allerdings rund eine halbe Million Bürger gegen die Reform stimmen.

Die Kreisreform ist eines der Kernprojekte der Koalition. Sie will damit die Verwaltung auch bei einer sinkenden Bevölkerungszahl in den berlinfernen Regionen leistungsfähig halten. Die derzeitigen Pläne sehen vor, dass es künftig nur noch neun Landkreise und eine kreisfreie Stadt gibt - bislang sind es 14 Kreise und vier kreisfreie Städte.

Opposition und Bürgermeister bisher kreisfreier Städte gegen Kreisreform

Gestützt wurde die Volksinitiative von mehreren Oppositions-Parteien und auch den Bürgermeistern der bislang kreisfreien Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel. "Diese Anzahl von Unterschriften in so kurzer Zeit ist ein überwältigendes Signal der Menschen an die Landesregierung", sagte Brandenburgs Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU).

Die überwältigende Unterstützung widerlege die Aussagen der Landesregierung, dass es besonders die kreisfreien Städte seien, die gegen die Reform kämpften, meinte der Oberbürgermeister von Cottbus, Holger Kelch (CDU). Frankfurts Stadtoberhaupt Martin Wilke (parteilos) forderte, dass die Landesregierung bereits jetzt neue Ideen vorlege. (dpa)

HINTERGRUND: Direkte Demokratie in drei Schritten 

  

Potsdam - Im Land Brandenburg können Bürger selbst Anträge in den Landtag einbringen - oder sogar Gesetze erlassen. In der Verfassung sind dafür drei Schritte vorgesehen: Zunächst die Volksinitiative, dann das Volksbegehren und schließlich der Volksentscheid.

Für die VOLKSINITIATIVE gegen die Kreisreform waren zunächst 20 000 Unterschriften notwendig, die binnen eines Jahres einfach auf der Straße gesammelt werden konnten. Die Initiatoren gehen davon aus, dass sie binnen 100 Tagen fast 130 000 Unterschriften bekommen haben. Damit muss sich nun der Landtag mit dem Anliegen beschäftigen.

Sollte das Ansinnen nicht angenommen werden, kann das VOLKSBEGEHREN als zweite Stufe folgen. Dafür müssen 80 000 Bürger in Rathäusern oder per Briefwahl ihre Unterschrift abgeben. Bislang gab es im Land Brandenburg 13 Volksbegehren, dabei wurde in den meisten Fällen die erforderliche Unterschriftenzahl nicht erreicht. Zuletzt scheiterte etwa ein Volksbegehren gegen Windräder im Wald. Erfolg hatte dagegen ein Begehren, wonach sich die Landesregierung für ein umfassenderes Nachtflugverbot am künftigen Hauptstadtflughafen einsetzen sollte.

Lehnt der Landtag auch das Ansinnen eines Volksbegehrens ab, kann es zum VOLKSENTSCHEID kommen. Dabei muss an einem festgesetzten Wahltag nicht nur die Mehrheit mit «Ja» stimmen, sondern auch mindestens ein Viertel aller Wahlberechtigten. Dies wären gut eine halbe Million Brandenburger ab 16 Jahren. In der Geschichte Brandenburgs gab es seit der Wende keinen Volksentscheid auf Grundlage dieser Gesetzesregelungen.

Rochus Görgen

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