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Kreisreform im Landtag: „Es geht nur um Machtgewinne“

Duell im Landtag zur Kreisreform: Ein Experte bestärkt das Projekt von Woidkes Regierung, eine Praktikerin ergreift Partei für die Kritiker.

Potsdam - Es sollte ein vertrauliches Treffen sein. Es war eigentlich für den gestrigen Dienstag zwischen Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und dem CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben vereinbart. Erst am Wochenende hatte Woidke der Union im Konflikt um die umstrittene Kreisgebietsreform „einen Dialog“ angeboten. Den PNN hatte er am Rande seiner Auslandsreise in London gesagt: „Er weiß, dass ich gesprächsbereit bin.“

Zunächst einmal aber wurde nun der Termin mit Senftleben doch kurzfristig abgesagt. Vielleicht aus Sorge, weil Woidke mit diesem Timing kurz vor den Klausuren der Landtagsfraktionen von SPD und Linken in dieser Woche nur neue Irritationen in den Reihen der Koalition riskiert hätte? Schon jetzt rumort es in beiden Parteien und Fraktionen. Bei der SPD noch stärker als bei den Linken; im Landtag gibt es im Grunde nur ein Thema: Wird die Kreisreform in Brandenburg gecancelt, so wie bereits im rot-rot-grün regierten Thüringen? Es verdichten sich die Signale, dass es längst nur noch um ein möglichst gesichtswahrendes Rückzugsgefecht geht. Am Montag hatte das Parlament mit den förmlichen parlamentarischen Beratungen der Gesetzentwürfe begonnen, mit einer Anhörung des Innenausschusses zur Funktionalreform, mit der den neuen Großkreisen bisherige Landesaufgaben übertragen werden sollen. Dort war das Regierungs-Projekt von allen Landräten und Oberbürgermeistern verrissen worden. Am Dienstag wurden nun – der zweite Teil – Experten und Gewerkschaften gehört. Und auch da hagelte es wieder Kritik: Der Bund deutscher Forstleute, die IG Bau und der Personalrat des Landesbetriebes Forst lehnten die Reform ab, weil entgegen früherer Ankündigungen fast nur noch Forststellen vom Land auf die Kreise übergehen sollen, 320 der 360 Stellen insgesamt. Es sei keine Funktionalreform, sondern nur eine Forstreform, so der Tenor.

Aber siehe da, erstmals seit Ewigkeiten trat öffentlich auch ein vehementer Befürworter der Reform auf, zu deren Vätern er einst zählte: Der Wissenschaftler Jörg Bogumil von der Ruhruniversität Bochum hatte 2011 bis 2013 als Experte in der Brandenburger Enquete-Kommission des Landtages mitgearbeitet, die klar eine Kreis- und Funktionalreform empfahl. Und Bogumil zerpflückte – was SPD und Linke bislang vergeblich versuchen – die Kritik an der Reform. Und zwar so, dass es CDU–Abgeordnete wie Henryk Wichmann kaum auf den Stühlen hielt: „Frechheit!“ Ob in Thüringen oder jetzt in Brandenburg, sagte Bogumil, „wir erleben eine populistische, unselige Diskussion um Gebietsreformen“, die eine sachliche Vorbereitung und Auseinandersetzung unmöglich mache. Dabei seien beide Länder „Nachzügler“, während die nötigen Reformen in den anderen Ostländern umgesetzt wurden. „Die Opposition hat auf Fundamentalopposition umgestellt. Es geht nur noch um kurzfristige Machtgewinne. Es geht nicht um Inhalte.“ 

Er bestärkte die Regierungskoalition, diese Reform nicht abzublasen. „Wenn es dieser Landesregierung nicht gelingt, diese Reform durchzuziehen, wäre das ein großes Problem für das Land.“ Denn die Probleme, die die Reform nötig machen – etwa die Demografie – würden ja weiterexistieren. „Diese Reform ist nicht der große Wurf. Aber es ist immer noch eine gute Reform“, sagte Bogumil. Und er wies die Kritik etwa der Kommunalebene zurück, dass von der Funktionalreform kaum etwas übrig sei, kaum Landesstellen auf die neuen Kreise übertragen werden sollen: Das liege schlichtweg daran, dass man entgegen den Empfehlungen der Kommission – nicht zuletzt auf Druck der Kommunalebene – ja nur noch „eine bescheidene Kreisreform“ plane, mit elf Kreisen und Potsdam als einziger kreisfreier Stadt. Bislang gibt es 18 Land- und Stadtkreise. Bogumil erinnerte daran, dass die Enquete unter anderem ein Modell „8 plus 1“ empfohlen hatte, also künftig neun Kreise: „Wenn man den neuen Kreisen viele Aufgaben übertragen will, müsste man die Gebietszuschnitte größer machen.“ Und, so der Experte: „Die Funktionalreform ist für das Modell 11 plus Eins vernünftig.“ Da kam erkennbar Freude auf bei den Koalitionären von  SPD und Linken im Ausschuss. Die währte aber nur kurz.

Denn es folgte der ebenso starke Auftritt einer Expertin, die auf „Ticket“ der der CDU angehört wurde: Karina Dörk, Bürgermeisterin der Stadt Strasburg in Mecklenburg–Vorpommern, vorher Beigeordnete in der Kreisverwaltung Uckermark, schilderte aus der Praxis die Folgen der dortigen Kreisgebietsreform. Bei der war der Großkreis Greifswald-Vorpommern gebildet worden, der von der Ostsee bis an Brandenburgs Nordgrenze reicht. Die Kreisverwaltung habe elf verschiedene Standorte, Landrat und Dezernenten würden jeweils an zwei Standorten sitzen, die Folge: „Weite Wege, hoher Zeitaufwand, hoher Organisationsaufwand“, warnte Dörk. Sechs Jahre nach der Reform sei die Verwaltung immer noch nicht zusammengewachsen. „Das würde in Brandenburg auch passieren“, so Dörk. „Fragen Sie doch mal unsere Linke-Landrätin!“ Zugleich verwies Dörk auf die jüngsten Wahlergebnisse, die AfD–Erfolge bei der Bundestagswahl. „Sie sind Ausdruck dafür, dass die Menschen im ländlichen Raum sich abgehängt fühlen. Und dieses Gefühl wird durch eine Kreisreform verstärkt.“ Und da waren sie wieder, die alten Fronten um die Kreisreform.

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