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Kohle-Protest in der Lausitz: Entgleister Klima-Protest

Aktivisten haben mehrere Schienenkrallen auf der Trasse der Kohlebahn befestigt. Die Folgen hätten dramatisch sein können, so ein Vattenfall-Sprecher. Nun ermittelt der Staatsschutz.

Cottbus/Potsdam - Nach dem Protestwochenende mit mehr als 2000 Braunkohlegegnern in der Lausitz ermittelt nun der polizeiliche Staatsschutz. Grund dafür sind Taten, die die Sicherheitsbehörden eigentlich nur von Linksextremisten kennen: Die Braunkohlegegner haben offenbar Zugunglücke bei der Kohlebahn des Energiekonzerns Vattenfall zumindest in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt, denn Vattenfall-Mitarbeiter entdeckten am Dienstag mehrere Schienenkrallen auf der Trasse der Kohlebahn.

Wie ein Vattenfall-Sprecher am Mittwoch erklärte, seien bislang mindestens vier Schienenkrallen an jenen Stellen gefunden worden, an denen Kohlegegner ihre Blockaden errichtet hatten, damit das Kraftwerk Schwarze Pumpe keinen Nachschub bekommt. In einem Fall sei ein Zug mit Asche sogar über die Schienenkralle gefahren – es ging aber glimpflich aus. Der Zug wurde durch die Kralle aus den Schienen gehoben, kam aber wieder aufs Gleis. Dass der Zug nicht entgleiste, hat laut Vattenfall einen Grund: Er fuhr beim Rangieren nur langsam.

Die Schienenkrallen hätten dramatische Folgen haben können

An anderen Stellen wurden die Schienenkrallen gefunden, bevor ein Zug fuhr. Nach Darstellung des Energiekonzerns hätten die Schienenkrallen unter normalen Umständen und bei dem üblichen Tempo der Kohlezüge dramatische Folgen haben können: Auch auf einer Brücke der Kohlebahn über die Bundesstraße 97 sei eine Schienenkralle angebracht gewesen. „Ein Entgleisen hätte hier den Absturz eines Zuges von der Brücke auf die B97 zur Folge haben können“, teilt der Konzern mit. Auch eine Bombenattrappe wurde an den Gleisen gefunden. Technische Spezialkräfte der Polizei waren deshalb am Wochenende angerückt, konnten aber Entwarnung geben.

Der Vorstandschef der Lausitzer-Kohletochter von Vattenfall, Hartmuth Zeiß, sprach von „kriminellen Gewalttaten“ durch „radikale Kohle- und Systemgegner“. Ein Vattenfall-Sprecher sagte den PNN zudem, aufmerksame Lokführer hätten auch eine Zugkollision verhindert. Kohlegegner sollen die Signale manipuliert haben. Damit hätten sie ebenso billigend in Kauf genommen, dass Menschenleben gefährdet werden. Wegen gefährlicher Eingriffe in den Bahnverkehr hat Vattenfall Anzeige erstattet. Bei der Staatsanwaltschaft Cottbus laufen die Verfahren bislang aber nur als Verdacht auf Störung öffentlicher Betriebe.

Vattenfall: Sachschaden könne sich auf einige Hunderttausend Euro belaufen

Auch Technik – Steuerung, Kabel, Beleuchtung – im Tagebau Welzow-Süd, wo die Aktivisten des Bündnisses „Ende Gelände“ Bagger besetzt hatten, sei massiv beschädigt worden, erklärte der Vattenfall-Sprecher. Noch seien die Schäden nicht komplett dokumentiert. Vattenfall geht jedoch davon aus, dass der Sachschaden sich auf einige Hunderttausend Euro belaufen wird. Vattenfall-Vorstandschef Zeiß erklärte: „Wer nach den Ereignissen an diesem Wochenende das Klima-Camp und ,Ende Gelände’ immer noch unterstützt, stellt sich bewusst an die Seite von Straftätern.“

Das Bündnis „Ende Gelände“ wies die Vorwürfe zurück. „Wir verwahren uns entschieden gegen den durchsichtigen Versuch, von Verantwortung abzulenken“, teilte Sprecherin Hannah Eichberger mit. „Vattenfall verpestet das globale Klima mit Megatonnen CO2, pflügt die Lausitz um und bezeichnet einen beschädigten Zaun und ein paar blockierte Gleise als Schneise der Verwüstung“, sagte Eichberger. „Pro-Kohle-Gruppen und einige Politiker schüren eine völlig unbegründete Angst vor ,Ende Gelände’ und wollen dann mit rechten Hooligans nichts zu tun haben, die Menschen angreifen. Das ist zynisch“, erklärte sie. Hintergrund: Die Polizei hatte zweimal Neonazigruppen vom Protestcamp vertrieben.

Kein Aktionskonsens

Die Manipulationen an den Gleisen hätten stattgefunden, als die Protestaktion von „Ende Gelände“ am Sonntagnachmittag beendet gewesen sei, hieß es von der Initiative. Derlei Aktionen seien auch nicht durch den Aktionskonsens gedeckt. „Wir haben aber bis heute keine gesicherten Hinweise auf Beschädigung von Baggern, Gleisen und Kraftwerksinfrastruktur durch Aktivisten“, hieß es weiter. Und: „Natürlich kann es zu Blockaden gehören, einen Zaun zu überwinden.“

Wie berichtet hatten sich weit mehr als 2000 Menschen aus vielen europäischen Ländern an dem Protest beteiligt. Sie forderten den sofortigen Ausstieg aus der klimaschädlichen Braunkohle. Mehrere Bagger und ein Verladekran im Tagebau Welzow-Süd wurden besetzt, das Kraftwerk Schwarze Pumpe durch Gleisblockaden von der Kohlezufuhr abgeschnitten, sodass es seine Leistung drosseln musste. Am Samstagnachmittag war der Protest kurzzeitig eskaliert, als sich rund 300 Kohlegegner Zugang zum Kraftwerk verschafften. Sie gingen laut Polizei gewaltsam gegen das Sicherheitspersonal von Vattenfall vor, rissen Zäune nieder und stürmten das Gelände.

Ermittlungen gegen 130 Aktivisten

Die Polizei führt nun gegen mehr als 130 Kraftwerk-Erstürmer Ermittlungen wegen des Verdachts des Landfriedensbruchs. Im Zusammenhang mit der Räumung der Bahngleise wurden außerdem gegen zwölf Personen Anzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gestellt, gegen 38 Personen wegen Sachbeschädigung an den Gleisen und gegen weitere 163 Personen Anzeigen wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und wegen Hausfriedensbruchs. Insgesamt 270 Personen waren vorübergehend festgenommen worden, von 343 wurden die Personalien aufgenommen.

Dem Innenministerium nach war das Vorgehen der Polizei vor Beginn des Klimacamps mit allen Beteiligten, darunter Vattenfall, Staatsanwälte, Richter und Gemeindevertreter, abgestimmt worden. Während der Proteste habe der Fokus der Polizei auf Kommunikation und Deeskalation mit Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gelegen. Das Konzept sei weitestgehend aufgegangen, die überwiegende Zahl der Klimaaktivisten habe sich friedlich verhalten, sagte Innenstaatssekretärin Katrin Lange. Straftaten seien jedoch nicht akzeptabel, die Ermittlungen würden „mit aller Konsequenz“ geführt.

Vattenfall: „Unsere Mitarbeiter vor Ort mussten diesem unfassbaren Treiben zusehen“

Für Vattenfall-Vorstand Zeiß dagegen hat das Deeskalationskonzept nichts gebracht. In einem Schreiben an die Belegschaft ließ er Kritik an den Sicherheitsbehörden durchblicken. „Unsere Mitarbeiter vor Ort mussten diesem unfassbaren Treiben zusehen.“ Zeiß stufte die Taten als „gewalttätige Massenaktion gegen die Grundwerte unseres Rechtsstaates“ ein.

Auf jeden Fall haben die Proteste in Brandenburg und Sachsen ein parlamentarisches Nachspiel. Auf Betreiben der CDU sollen sich die Landtage in Potsdam und Dresden damit befassen. In der sächsischen Ortschaft Schleife hatte die Polizei am Mittwoch einen Protest von Braunkohlegegnern friedlich beendet.

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