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Die Charité hofft, Mitte bis Ende der Woche Erkenntnisse zur hohen Zahl der Keiminfektionen zu haben.

© dpa

Brandenburg: Klinik verliert in Krise den Überblick

Charité-Aufsichtsrat beschäftigt sich mit Keimbefall. Klinikleitung informierte Gesundheitsamt nicht über Patientenzahlen und Personalbesetzung

Berlin - „Ich habe Angst, dass es mein Kind ist“ – der Mann am Telefon klingt verzweifelt. Gerade hat er im Internet gelesen, dass eines der mit den Darmbakterien infizierten Frühchen in der Charité in Lebensgefahr schwebe. „Bisher hieß es, die Babys seien stabil“, sagt der Vater. Seine Frau habe ihr Kind viele Wochen zu früh zur Welt gebracht, aber es sei gesund und habe Fortschritte gemacht.

Vor vier Tagen seien seine Frau und er informiert worden, dass das Kind eine Infektion habe und Antibiotika bekomme. Es bestehe aber kein Grund zur Sorge, habe es geheißen – und von Keimen keine Rede. „Das haben wir erst am Wochenende aus den Medien erfahren“, sagt er. Und er musste auch an diesen Montag bis zum Nachmittag zittern, als dann Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sagte: „Dem Frühchen geht es besser.“ Zuvor hatte eine Charité-Sprecherin von Lebensgefahr gesprochen.

Das Informationschaos wollte Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, am Montag beenden. „Es wäre besser gewesen, schon am Donnerstag eine Pressekonferenz einzuberufen“, sagte Frei dieser Zeitung. Am 18. Oktober wurde wie berichtet für die zwei Neugeborenen-Stationen im Virchow-Klinikum der Charite in Wedding ein Aufnahmestopp beschlossen. Das herzkranke Kind, das wohl in der Charité mit Keimen infiziert worden war, ist Frei zufolge am 5. Oktober nach einer OP im Herzzentrum gestorben. Man habe auch – anders als bisher spekuliert worden war – noch in der Charité einen Bluttest gemacht, nur brauchte dessen Auswertung fünf Tage, da war das Kind schon gestorben. Der Laborbefund habe dann bestätigt, dass das Kind mit den Darmbakterien infiziert war. Am heutigen Dienstag will sich die Charité-Leitung ausführlich erklären, etwa ob sich nach dem 8. Oktober, als der Keimbefall von zwei Frühchen an das zuständige Gesundheitsamt Mitte gemeldet wurde, weitere Kinder infiziert haben.

Eine Sprecherin des Herzzentrums sagte, das Kind sei als Notfall aus der Charité gekommen und unmittelbar nach der erfolgreichen Herz-OP an einer durch den Keim ausgelösten Blutvergiftung gestorben. Ob die Charité das Herzzentrum informiert hatte, dass auf der Station, wo das herzkranke Kind lag, Keime aufgetreten waren, konnte sie nicht sagen. Auch der Sprecher der Staatsanwaltschaft, die seit gestern wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, kennt das Sterbedatum nicht: „Wir wissen nicht einmal, ob die Leiche noch da ist, um sie zu obduzieren.“

Dafür hat sich am Montag erstmals der Chef der zuständigen Aufsichtsbehörde geäußert. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), leitet dort auch das Gesundheitsressort, das für Notfallmaßnahmen an den Charité-Standorten zuständig ist. Sein Amt sei am 9. Oktober vom Keimbefall informiert worden, sagte er, es habe die Teilung der Stationen und die Isolation von betroffenen Kindern angeordnet. Die Rettungsstelle sei nur noch in Ausnahmefällen von Notdiensten angefahren worden. Am 12. Oktober sei die Charité mündlich angewiesen worden, Patienten- und Mitarbeiterzahlen einzureichen, sagte Hanke. Dies sei bis Freitag, also eine Woche später, nicht geschehen. „Das ist sicher ärgerlich, wir haben das am Montag nachgereicht“, sagte Charité-Direktor Frei.

Auf der Suche nach der Infektionsquelle überprüft ein Team aus Bezirksmitarbeitern, Charité-Medizinern und Experten des Robert-Koch-Instituts die Abläufe und Lieferungen der vergangenen Wochen. Das sogenannte Ausbruchsteam solle auch klären, ob ausreichend Schwestern und Pfleger eingesetzt waren und das Personal auf den Charité-Stationen ausreicht. Ein Kinderarzt der Klinik berichtete, dass auf den Neugeborenenstationen in den vergangenen Jahren zwar wenige Stellen gestrichen worden seien. Von der von Fachverbänden geforderte Quote – eine Schwester betreut ein Frühchen – sei man aber weit entfernt. Czaja räumte ein, dass dieser Personalschlüssel wahrscheinlich nicht erreicht werde. Der Personalratsvorsitzende der Charité sagte, in Intensivstationen betreut im Schnitt eine Schwester drei bis vier Patienten.

Als landeseigene Universitätsklinik untersteht die Charité der Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD), sie ist auch Aufsichtsratsvorsitzende. „Die Vorfälle werden im Aufsichtsrat besprochen“, sagte Scheeres. Dem Vernehmen nach könnte die planmäßige Sitzung im Dezember vorgezogen werden. Zur Personalsituation äußerte sich auch der Verband der Pflegeberufe DBfK: „Das Problem reicht über die Charité hinaus. Wir brauchen eine Änderung der Krankenhausfinanzierung.“ Durch die sogenannten Fallpauschalen steige der Kostendruck. Politik und Krankenkassen nehmen wohl „billigend in Kauf“, dass Hygiene-Anforderungen aufgrund von Arbeitsverdichtung nicht immer erfüllt werden können. Experten zufolge müssen sich Schwestern und Pfleger auf Intensivstationen mindestens 150-mal am Tag die Hände desinfizieren, was jeweils mehr als 30 Sekunden dauert, damit das Mittel wirkt. Pro Schicht ist ein Mitarbeiter also mindestens 75 Minuten damit beschäftigt – Zeit, in der andere Aufgaben warten müssen.

Noch ist offen, ob Eltern der betroffenen Kinder gegen die Klinik klagen werden. S. Dassler und H. Heine

S. Dassler, H. Heine

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