zum Hauptinhalt

Brandenburg: Kernfrage in Wannsee

Der Forschungsreaktor steht in der Kritik. Doch die Gefahr ist deutlich geringer als bei großen Atomkraftwerken

Berlin - Es war nur eine Frage der Zeit. Nachdem im Frühjahr im japanischen Fukushima gleich mehrere Kernreaktoren nach einem gewaltigen Erdbeben und einem Tsunami außer Kontrolle gerieten und erhebliche Mengen Radioaktivität in die Umgebung schleuderten, fragen sich nicht nur viele Berliner sondern auch die nahen Potsdamer: Wie sicher ist der Forschungsreaktor im Helmholtz-Zentrum Berlin-Wannsee (HZB) direkt an der Stadtgrenze zu Potsdam?

Der Reaktor unterscheidet sich deutlich von sogenannten Leistungsreaktoren für die Stromerzeugung. Das beginnt schon mit der Leistung: Ein moderner Reaktor liefert 4000 Megawatt Wärme, aus der anschließend etwa 1400 Megawatt elektrischer Strom werden. Der in Wannsee dagegen bringt nur zehn Megawatt Wärmeleistung, Strom liefert er keinen. Er enthält auch viel weniger Kernbrennstoff. Bei einem Super-Gau im HZB könnte also selbst in der Theorie nur ein Bruchteil der Radioaktivität frei werden wie bei einem Leistungsreaktor.

In Deutschland untersuchen und erforschen daher die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit in Köln, der Lehrstuhl für Reaktorsicherheit und -technik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen oder Kernenergie-Spezialisten am Karlsruher Institut für Technologie die Sicherheit von Kernreaktoren. Allerdings haben sie meist die großen Reaktoren zur Stromerzeugung im Blick. Spezialisten für den Berliner Forschungsreaktor gibt es dagegen nicht, weil dieser viel kleiner und einfacher aufgebaut ist und daher deutlich geringere Risiken hat.

Das zeigt bereits ein Blick in die beiden elf Meter tiefen Becken in der Reaktorhalle. In einem davon ruht der Reaktorkern auf einem Sockel, seine Oberkante liegt dabei 7,5 Meter unter dem Wasserspiegel. Das genügt, um praktisch die gesamte radioaktive Strahlung abzuschirmen. Deshalb können Techniker gefahrlos auf dem Arbeitssteg über den Becken stehen und die Anlage inspizieren.

Der Reaktorkern enthält rund sechs Kilogramm spaltbares Uran. Weiterhin gibt es sechs Steuerstäbe, die an Elektromagneten über dem Kern hängen. Im Notfall wird die Stromversorgung der Magnete unterbrochen, die Steuerstäbe fallen binnen Sekundenbruchteilen in den Reaktorkern und stoppen sofort die Kernreaktion.

Ein Leistungskraftwerk enthält viel mehr Kernbrennstoff, sein Jahresverbrauch liegt bei rund 1,5 Tonnen. Der Forschungsreaktor verbraucht im Jahr nur 2,5 Kilo Uran und erzeugt ausschließlich Neutronen. Mit diesen Elementarteilchen macht das HZB Grundlagenforschung (siehe Kasten).

Neutronen entstehen ohnehin bei der Kernspaltung in jedem Reaktor. Allerdings geschieht das in Leistungsreaktoren bei mehr als 300 Grad Celsius und sehr hohem Druck, während der HZB-Reaktor in ungefähr 40 Grad warmem Wasser arbeitet, ohne Überdruck. Dieser von Kerningenieuren „Schwimmbad-Reaktor“ genannte Anlagentyp ist also wesentlich einfacher konstruiert als Krümmel oder Neckarwestheim.

Dennoch gibt es auch in Wannsee technische Eigenheiten, die Kritik hervorrufen. Dazu gehört beispielsweise ein angeblicher Riss im Kühlsystem, über den kürzlich ein TV-Magazin berichtete. Das klang gefährlich, schließlich begann die Atomkatastrophe in Fukushima mit dem Versagen der Kühlung. Dadurch fiel der Wasserspiegel in mehreren Anlagen so stark, bis der Reaktorkern ganz aus dem Wasser auftauchte. Dadurch kam es zur gefürchteten Kernschmelze und verschiedene Explosionen setzten große Mengen radioaktiver Elemente frei. Ähnliches könnte in Berlin allerdings kaum passieren, weil der vermeintliche Riss nicht im Kühlsystem zu finden ist.

Gemeint war nämlich eine undichte Stelle, die laut HZB nicht „sicherheitsrelevant“ ist: Die beiden Becken des Schwimmbads sind im unteren Teil durch eine Betonwand voneinander getrennt, die bis über die Oberkante des Reaktorkerns reicht. Im Normalbetrieb steht das Wasser einige Meter über dieser Betonschwelle (siehe Grafik). Wird der Reaktor abgeschaltet, kann ein Bühnenwagen den Reaktorkern anheben, in das andere Becken schwenken und dort absetzen. Dabei bleibt der Reaktorkern ständig unter Wasser. Anschließend wird von oben ein Trenntor auf die Betonwand gesetzt. Es hat an den Seiten Gummidichtungen, die aufgeblasen werden und so beide Becken wasserdicht voneinander abschließen. Anschließend kann das Becken ohne Reaktorkern leergepumpt werden, um dort Wartungsarbeiten vorzunehmen, während im anderen Becken der Reaktorkern nach wie vor unter Wasser liegt und so weiter gekühlt wird. Selbst wenn das Tor versagen würde, könnte der Wasserspiegel im Becken mit dem Reaktorkern nur bis zur Betonwand fallen, die Brennstäbe lägen weiterhin gekühlt mindestens einen Meter unter Wasser.

Die Hitze, die der Reaktor im Betrieb produziert, wird über einen Wärmetauscher abgeführt. Wird er für Wartungsarbeiten ausgeschaltet, benötigt der Reaktor den Wärmetauscher nicht mehr, weil allein die Kühlung durch das Wasser im Becken die sogenannte Nachzerfallswärme abführen kann. Zwei Kühlrohre des Wärmetauschers aber führen nach wie vor durch eine Aluminiumwand unmittelbar unterhalb des Trenntors in das andere Becken. Genau zwischen diesen beiden Rohren ist eine Schweißnaht im Aluminium undicht.

Ist der Reaktor in Betrieb, steht das Wasser in beiden Becken gleich hoch und das Leck spielt keine Rolle. Nur wenn beide Becken voneinander getrennt werden und das Wasser aus einem Becken abgepumpt wird, tropft es durch die undichte Schweißnaht. Nach Angaben der Berliner Atomaufsichtsbehörde sinkt der Wasserstand im Becken an einem Tag um rund einen Zentimeter. Es würde einige Monate dauern, bis sich in beiden Beckenhälften der gleiche Wasserstand eingestellt hätte. Selbst dann befindet sich noch ausreichend Flüssigkeit über dem Reaktorkern. Gefahr ist also keine in Verzug. Allerdings wird es kaum so weit kommen: Das Tropfwasser kann in das volle Becken zurückgepumpt werden. Der vermeintliche Riss im Kühlsystem entpuppt sich also als Minileck, das weder bei laufendem noch bei stillstehendem Reaktor eine Rolle spielt.

Auch bisweilen geäußerte Überlegungen, in der Umgebung des Helmholtz-Zentrums würden höhere Radioaktivitätswerte als an anderen Stellen gefunden, können nicht auf den Betrieb des Forschungsreaktors zurückgeführt werden. Das sagt Karl-Heinz Steinmetz von der Berliner Atomaufsicht. Die Behörden messen laufend innerhalb der Reaktorhalle, im Abluftkamin, auf dem Gelände des HZB und in der Umgebung die Radioaktivität. „Radioaktivität, die auf den Betrieb des Forschungsreaktors zurückgeht, wurde bisher nie gefunden.“

In den Medien wurde auch von einer möglichen Wasserstoffexplosion berichtet, weil für einige Experimente besonders langsame Neutronen mit Hilfe von Wasserstoff erzeugt werden. „Dieser Wasserstoff wird von einer dreifachen Barriere abgeschirmt und kann daher auch bei schweren Unfällen nicht mit der Luft der Umgebung in Berührung kommen“, sagt die HZB-Sprecherin Ina Helms. Da Wasserstoff nur mit Sauerstoff, der in der Luft vorhanden ist, explodieren kann, sei eine solche Wasserstoffdetonation praktisch ausgeschlossen. Selbst wenn der gesamte Wasserstoff verpuffen würde, könnte die vorhandene Menge allenfalls einen Druck von 24 bar erzeugen. „Die Wände des Strahlrohrs halten aber mindestens 30 bar aus“, sagt Helms.

Bliebe noch die Gefahr einer „starken Einwirkung von außen“, womit zum Beispiel ein Flugzeugabsturz gemeint ist. „Ausschließen kann man ein solches Risiko natürlich nicht völlig“, sagt Steinmetz. Die wichtigste Maßnahme ist daher, keine Flugzeuge in geringer Höhe über den Reaktor fliegen zu lassen. Im Sichtflug müssen kleine Flieger und Helikopter mindestens 1500 Meter Abstand zum Reaktor halten oder ihn in mehr als 700 Meter Höhe überfliegen. Wenn der Flughafen Berlin-Brandenburg „Willy Brandt“ im Juni 2012 öffnet, fliegen Verkehrsmaschinen nach den derzeit vorgeschlagenen Routen in rund drei Kilometer waagrechter Entfernung und in etwa 2400 Meter Höhe am Reaktor vorbei.

Trotzdem bleibt das Risiko, dass ein abstürzendes Flugzeug genau das Reaktorbecken trifft. Dabei müssten die zwei Meter dicken Beton-Außenwände so stark zertrümmert werden, dass praktisch alles Kühlwasser ausläuft. In diesem extrem unwahrscheinlichen Fall könnte es zu einer Kernschmelze kommen, bei der radioaktive Substanzen in der Umgebung verteilt würden. „Diesen schlimmsten Fall haben Experten genau durchgerechnet“, sagt Steinmetz. Da im Forschungsreaktor nur ein winziger Teil der Radioaktivität steckt, die ein Leistungsreaktor enthält, blieben auch dann die Auswirkungen viel geringer. Helms: „Im allerschlimmsten Fall müsste eine Zone mit einem Radius von 2500 Metern um das Reaktorgebäude für wenige Monate evakuiert werden.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false