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Kenia-Koalition in Brandenburg: Eine neue Liebe

Brandenburgs künftige Kenia-Koalition demonstriert Harmonie. Aber wie gut verstehen sich SPD, CDU und Grüne wirklich?

Potsdam - Dietmar Woidke hat beide Arme voll zu tun. Es wirkt, als hätte er diese Geste, die doch etwas Koordination erfordert, heimlich geübt. Gleichzeitig schnellen beide Arme des Ministerpräsidenten zur Seite, eine Hand landet auf der Schulter von Michael Stübgen, die andere zielgenau auf der von Ursula Nonnemacher. Der doppelte Schulterklopfer! Die Kür bei der Vorstellung des Kenia-Koalitionsvertrags ist geglückt.

Die Übung ist neu für Brandenburgs SPD-Landesväter, die abgesehen von den Anfangsjahren in einer Ampel-Koalition bislang immer nur einen, deutlich kleineren Partner umarmen mussten. Woidke sitzt nicht nur symbolisch bei dieser „Koalition der Mitte“ wie er sie nennt, in der Mitte.

Ihm zur Seite im Presseraum des Potsdamer Landtags haben die beiden Verhandlungsführer von CDU und Grüne, Stübgen und Nonnemacher. Platz genommen – seine beiden künftigen Stellvertreter, davon kann man fest ausgehen. Der Presseraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als die drei Chefverhandler das 84 Seiten dicke Werk wochenlanger Debatten präsentieren. Das Fernsehen überträgt live. Da sind Gesten wie der doppelte Schulterklopfer wichtig. Und Geschichten.

"Eine Geschichte von mutigem Neubeginn"

Nach der Landtagswahl, bei der die SPD zwar stärkste Kraft blieb, aber abstürzte wie noch nie in der Landesgeschichte, bei der die AfD zweitstärkste Kraft noch vor CDU und Grünen wurde, scheinen vor allem die Sozialdemokraten nun begriffen zu haben, dass man Geschichten erzählen muss, um Menschen mitzunehmen. Die Story, die sich das Kenia-Bündnis ausgedacht hat und mit dem Koalitionsvertrag erzählen will geht so: „Die Geschichte unseres jungen Bundeslandes ist eine Geschichte von mutigem Neubeginn.“ So lautet der erste Satz des Vertrags. Nun, knapp drei Jahrzehnte nach seiner Gründung, schlage Brandenburg ein neues Kapitel auf. Mit Mut zur Veränderung, mit Mut, die Herausforderungen wie Klimawandel, Globalisierung und Älterwerden der Bevölkerung anzugehen. Beim Lesen der Präambel habe er Tränen in den Augen gehabt, erzählt Ursula Nonnemacher über Michael Stübgen und tatsächlich, auch jetzt auf dem Podium, wirkt der frühere Pfarrer tatsächlich sehr bewegt.

Einen persönlichen Draht zueinander gefunden

Bei der Vortragschoreografie haben sich die drei Partner abgesprochen. SPD, CDU, Grüne – geredet wird zumindest vor dem Fragenpart immer in der Reihenfolge des Wahlergebnisses. Alle drei wirken harmonisch, gelöst, scherzen miteinander wie frisch Verliebte. Brandenburg – kann es wirklich so einfach sein? Eine Partnerschaft zu dritt – ohne Eifersucht und Nickligkeiten? Es scheint zu gehen. Woidke und Nonnemacher, die starke Frau der Grünen, haben einen persönlichen Draht zueinander gefunden, was anfangs nicht einfach schien. Hinter den Kulissen stöhnten mehrere Sozialdemokraten über die Ärztin aus Hessen, die seit den 90ern in Falkensee lebt: Penibel, übergründlich, anstrengend in den Verhandlungen sei sie. Aber eben auch klug, kompromissbereit, höchst verlässlich, herzlich. Nur einmal, als Nonnemacher auf eine Journalistenfrage hin ansetzt, das grüne Parteiprogramm herunterzudeklinieren, kann man sehen, dass zwei sich da doch noch etwas näher sind: Woidke und Stübgen werfen sich einen kurzen Blick zu, ziehen synchron fast unmerklich die Augenbrauen nach oben, während Nonnemacher ihren Werbeblock in Richtung Grünen-Basis abspult, die dem Vertrag noch zustimmen muss. Woidke und Stübgen – das passt eben noch ein bisschen besser. Beide etwa gleich alt, 58 und 60, beide aus der Lausitz, beide evangelisch.

Dem verschmähten Vierten missfällt diese Harmonie. Während Unternehmerverbände, Krankenkassen und Umweltgruppen im Gros eher positiv auf den Koalitionsvertrag reagieren, schickt die Linke, die zuvor zehn Jahre lang mit der SPD regierte, nach den Sondierungsgesprächen aber den Laufpass bekam, eine Pressemitteilung, die nicht viel Gutes lässt an der neuen Partnerschaft. In kurzer Zeit sei bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags das Wort „Mut“ gefallen. „Genau den erkennen wir aber nicht in dem vorgelegten Papier“, teilen die Fraktionschefs Kathrin Dannenberg und Sebastian Walter mit, die als Spitzenkandidatenduo der Linken bei der Landtagswahl angetreten waren. „Viel mehr sehen wir, dass viele Projekte, die unter Rot-Rot begonnen wurden, jetzt fortgeführt werden sollen. Aber eben nicht mit dem notwendigen Mut.“ So müssten Eltern für Krippe und Hort weiter Beiträge zahlen. Kenia will aus Kostengründen nur für zwei weitere Kindergartenjahre die Elternbeiträge erlassen.

Auch die Freien Wähler, mit denen ebenfalls kurz sondiert wurde, wollen nicht recht an die Haltbarkeit der neuen, offen zur Schau gestellten Liebe glauben. „Kenia ist schön – Koalitionsvertrag nicht“ haben die Freien Wähler, die erstmals in Fraktionsstärke im Landtag vertreten sind, ihre Mitteilung überschrieben. Der rot-schwarz-grüne Ehevertrag sei „Ausdruck eines machtorientierten Vorgehens unter Aufgabe zentraler Wahlversprechen und des mangelnden Anpackens drängender landespolitischer Themen“. So werde etwa die Altanschließerproblematik in dem so umfangreichen Papier nicht erwähnt.

Der Landesverband der Grünen schickt vorsorglich am Freitag eine E-Mail an alle Mitglieder, die nun über den Vertrag und damit das Zustandekommen von „Kenia“ sowie die Besetzung der Ministerien abstimmen müssen. „Wir denken, dass wir einen Vertrag erreicht haben, in dem unsere grüne Handschrift klar erkennbar ist“, heißt es darin. Natürlich fänden sich auch viele Punkte der anderen Parteien in dem Vertrag. Wie das eben so ist bei Zweckbündnissen. Aber, zum Abschluss der Pressekonferenz, der demonstrative doppelte Schulterklopfer: ein Dreierbündnis, mehr noch, eine neue Liebe. So wie es in der Präambel steht: „Eine Brandenburger Kultur des Zusammenhalts in Vielfalt hängt nicht zuletzt von unserem vorbildhaften Verhalten als regierende Koalitionspartner ab.“

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