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Brandenburg: Keine Zuflucht mehr in Schönefeld

Schluss nach 13 Jahren – der Flughafensozialdienst half mehr als 30000 Menschen / „Es stirbt ein Stückchen Menschlichkeit“

Von Sandra Dassler

Schluss nach 13 Jahren – der Flughafensozialdienst half mehr als 30000 Menschen / „Es stirbt ein Stückchen Menschlichkeit“ Von Sandra Dassler Schönefeld. Der ältere Herr will nicht nur eine Kleiderspende loswerden. Sondern auch seine Dankbarkeit. „Ein frohes Fest“ wünscht er den Kollegen vom Flughafensozialdienst (FSD) Schönefeld. Christine Flohr winkt ihm nach. „Er ist vor ein paar Wochen völlig mittellos in Tegel gelandet“, erzählt sie. „Hat jahrelang in Südamerika gelebt und, als dort alles schief lief, von seinem letzten Geld ein Flugticket nach Deutschland gekauft. Er kam am Wochenende an, kein Sozialamt hatte geöffnet, er wusste nicht, wohin. Wir haben ihn mit dem Nötigsten versorgt. Jetzt hat er hier wieder Fuß gefasst und bringt ab und zu eine Spende vorbei.“ Viele solcher Geschichten könnte Christine Flohr erzählen. Seit 1995 hat die 51-Jährige in Schönefeld tausenden Menschen geholfen. Doch am Freitag war ihr letzter Arbeitstag. Der Flughafensozialdienst muss zum 1. Januar seine Arbeit einstellen. Der Landkreis Dahme-Spreewald kann ihn nicht mehr bezahlen, und ohne dessen Zuschüsse sind die Kosten auch für die mitfinanzierende Berliner Diakonie und den Caritasverband Brandenburg zu hoch. Christine Flohr und ihre beiden Mitarbeiter haben sich gemeinsam mit mehreren Zivis rund um die Uhr vor allem um Flüchtlinge gekümmert. Mit denen hatte im April 1990 alles begonnen: Fünf Erwachsene und sieben Kinder aus dem Libanon waren in Schönefeld gelandet. Sie wollten in West-Berlin einen Asylantrag stellen. Aber die DDR, die weder die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet noch ein geregeltes Asylrecht hatte, ließ sie nicht ins Land. 24 Stunden saßen die Libanesen auf der eigens gesperrten Besucherterrasse. Dann brachte sie die gerade erst berufene Ausländerbeauftragte der DDR, Almuth Berger, nach WestBerlin. Doch in den Wochen darauf landeten immer mehr Asylbewerber in Schönefeld – so entstand die Idee, eine Auffangstelle für diese Menschen zu schaffen. Ein Finanzierungsmodell wurde entwickelt und der FSD schließlich am 2. Oktober 1990 offiziell eröffnet. Die Finanzierung wechselte oft, die Schicksale der Flüchtlinge blieben im wesentlichen gleich. Mit einem Unterschied: Seit der Änderung des Asylrechts im Juli 1993 kamen die meisten nicht mehr mit dem Flugzeug, sondern über die grüne Grenze. „Sie waren oft viele Wochen unterwegs, verdreckt, krank, erschöpft und verängstigt“, erzählt Christine Flohr: „Bei der Polizei gab es für sie nur zwei Zellen – mehr nicht. Bei uns konnten sie sich waschen, bekamen saubere und trockene Kleidung und auch einmal ein Stofftier fürs Kind. Hier konnten sie durchatmen, weil wir ihnen sagten, dass wir von der Kirche sind.“ Mehr als 30000 Menschen hat der Flughafensozialdienst betreut – neben Flüchtlingen vor allem allein reisende Kinder, kranke, alte oder orientierungslose Reisende. Manchmal auch Obdachlose aus der Umgebung wie jenen alten Mann, der eines Winters Tag und Nacht in einem Bus-Wartehäuschen saß. Er wollte keine Hilfe, war aber offenbar psychisch krank. Beim Ordnungsamt sah man keine Veranlassung, einzugreifen. Als der Mann auch bei Minusgraden sitzen blieb, brachten ihn FSD-Mitarbeiter ins Krankenhaus. Dort stellten die Ärzte Erfrierungen und starken Gewichtsverlust fest: Aus Geldnot hatte sich der Mann nur von Wasser ernährt. Die Zahl der Flüchtlinge aber ist stetig zurückgegangen. Zuletzt kamen noch zwischen 30 und 40 im Monat. Um sie muss sich künftig die Polizei kümmern. Christine Flohr wird ab Januar in einer Diakonie-Einrichtung in Berlin arbeiten. „Für mich ist das wieder eine dankbare Aufgabe“, sagt sie: „Aber traurig sind wir alle. Mit dem Flughafensozialdienst stirbt hier in Schönefeld einfach auch ein Stückchen Menschlichkeit.“

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