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Brandenburg: Kein Betriebsunfall

Der Verfassungsschutz und der V-Mann „Piatto“

Potsdam - Im Fall des V-Mannes Carsten Szczepanski alias „Piatto“ lässt sich wohl nicht mehr aufklären, ob der Spitzel des Brandenburger Verfassungsschutzes jemals die SMS des Chemnitzer NSU-Unterstützers Jan Werner, in der es um Waffenbeschaffung ging, las. Damals im Sommer und Herbst 1998 lieferte „Piatto“ als einzige Quelle brauchbare Informationen aus dem direkten Umfeld des zuvor untergetauchten NSU-Trios. Doch sein auf das Innenministerium in Potsdam registrierte Spitzelhandy wurde bei Überwachungsmaßnahmen Thüringer Ermittler, die das NSU-Trio suchten, erfasst. Sein V-Mann-Führer holte ihn deshalb am 25. August 1998 aus der Haft in Brandenburg/Havel ab, wo er wegen Mordversuchs an einem Nigerianer saß, und fuhr mit ihm nach Potsdam. Dort überreichte man ihm in einem Handygeschäft in der Zeppelinstraße ein neues, auf einen Tarnnamen zugelassenes Gerät. Im Münchner NSU-Prozess sagte der V-Mann-Führer aus, er habe „Piatto“ um 16 Uhr das alte Handy abgenommen. Tatsächlich wurde danach damit telefoniert. Und bevor er am Abend „Piatto“ im Gefängnis ablieferte, kam jene SMS von dem Chemnitzer Neonazi, eine Führungsfigur in Sachsen.

Nach den Berichten der „Welt“ und PNN zu dem Vorgang, versuchte sich der Sonderermittler des NSU-Untersuchungsausschusses, Wolf-Dieter Bohm, am Freitag hinter verschlossenen Türen in Erklärungsversuchen – vergeblich. Denn tatsächlich ist nirgends vermerkt, wann genau das alte Handy abgeschaltet wurde. Der V-Mann-Führer erwähnte es auch nicht in seinem Treffbericht. Bis heute aber erklärt der Verfassungsschutz, dass „Piattos“ altes Spitzelhandy „wohl“ deaktiviert wurde, bevor die SMS abgeschickt wurde. Doch auch mit dem neuen Handy hielt er engen Kontakt mit dem NSU-Unterstützer, traf ihn bei Nazi-Konzerten. Brisant an der SMS ist, dass Piatto im Verdacht steht, Waffen für den NSU besorgt zu haben. Bislang ist die Herkunft der vom NSU bei der Mordserie benutzten Waffen unklar. Der Verfassungsschutz muss sich daher Vorwürfe gefallen lassen, er hätte die Morde verhindern können.

Völlig unbekannt ist bislang, was der Journalist Dirk Laabs als Sachverständiger vom NSU-Untersuchungsausschuss berichtete: Dass der Chemnitzer NSU-Helfer eine Werbe-SMS von Piattos altem Handy bekam, einen Tag, nachdem es angeblich abgeschaltet worden war.

Piatto bleibt der wunde Punkt für den Verfassungsschutz. Er stachelte andere zu Sprengstoffanschlägen an, pflege beste Kontakte zu Rechtsterroristen in den USA und Großbritannien – und verbreitete deren Konzept des „arischen Widerstands“, des bewaffneten in Deutschland verbreiteten. Einer, der den von Neonazi-Zellen betriebenen Rassenkrieg, die Blaupause für den NSU, selbst aus dem Knast heraus, wo er Sonderbehandlung genoss, mit Postillen propagieren konnte. „Piatto war kein Betriebsunfall, er war System“, sagte Laabs. Alexander Fröhlich

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