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Eine Frage des Geldes. Bei vielen Primark-Kunden – ob jung oder alt – zählt vor allem der günstige Preis.

© dpa

Brandenburg: Kauf dich unglücklich

Die Modekette Primark soll unter unmenschlichen Bedingungen produzieren. Viele Berliner shoppen hier trotzdem weiter. Am Dienstag eröffnet eine zweite Filiale – unter Protesten

Berlin - Sie gehören schon zum Stadtbild, die braunen Papiertüten mit der hellblauen Aufschrift. Auf Kinderwagen geklemmt oder in der der Hand gebündelt sieht man die überdimensionalen Beutel tagtäglich in der U-Bahn oder auf Berlins Bürgersteigen. Sie alle haben denselben Ursprung: In der bisher einzigen Filiale im Schloss-Straßen-Center in Steglitz werden sie aus der Ablage gezogen, aufgeschüttelt und mit Hosen, Strümpfen, Pullovern oder T-Shirts gefüllt, auf den Dinge stehen wie „There are so many beautiful reasons to be happy“ oder „Never forget your dreams“. Stückpreis: Fünf Euro. Seit Berichte aufgetaucht sind, dass in einigen Kleidungsstücken eingenähte Hilferufe gefunden wurden, sind diese Preise sehr umstritten.

Ungefähr jeder dritte Einkäufer, der an einem Freitagmittag das Center verlässt, hält eine der braunen Tüten in der Hand, meist ist es die größere Version, die gut gefüllt ist mit neuer Sommerkleidung. Eine Gruppe von Mädchen verschnauft vor dem Center, die Papierbeutel zwischen den Füßen. Die Elftklässlerinnen vom Bodensee sind auf Klassenfahrt in Berlin und haben nur leichtes Gepäck dabei, „da brauchten wir schnell was Neues zum Anziehen“. Bei vielen Teenagern mit begrenztem Taschengeld zählt vor allem der Preis. Aber auch bei einem älteren Einkäufer, der seinen Namen nicht nennen will: „Es ist einfach ein gutes Gefühl, wenn man wenig bezahlt“, sagt er. „Und was man nicht sieht, kann man gut ausblenden.“ Den Schülerinnen ist trotz Schnäppcheninstinkt ein wenig unwohl: „Die Nachrichten sind schon erschreckend“, sagt eine, „aber andere Marken machen es doch genauso.“

Dieses Argument hört man oft. Emmi Stümpel kauft zwar nicht bei Primark, geht dafür aber zum Konkurrenten H&M. „Wahrscheinlich ist es bei H&M genauso, aber zumindest habe ich bei denen noch nichts Schlimmes gehört.“ Zu Primark geht sie demonstrativ nicht. „Wenn man da reinkommt, merkt man schon, wie schlimm das ist“, sagt die 19-Jährige.

Denn ganz so optimistisch und hoffnungsfroh wie die Stimmung auf den Primark-T-Shirts sieht es für die Menschen, die sie nähen, anscheinend nicht aus. Der irische Konzern muss sich Vorwürfen stellen, Gefängnisinsassen zu unmenschlichen Bedingungen für sich schuften zu lassen. Etiketten mit Botschaften wie „SOS“ oder „Wir arbeiten hart wie die Ochsen im Feld“ waren in Kleidungsstücken von Kunden in Nordirland und Wales aufgetaucht. Der Konzern dementiert und zweifelt die Echtheit der Etiketten an.

Eine Mitarbeiterin der Filiale im Schloss-Straßen-Center glaubt ebenfalls nicht an die Hilferufe. „Ich bin selbst bei Greenpeace, da werden unsere Aktionen auch manchmal boykottiert.“ Herkunftsangaben findet man in Primark-Kleidung zwar nicht. Sie ist sich aber sicher, dass die Produkte nach den selbst auferlegten Richtlinien hergestellt werden.

Tatsächlich ist Primark Mitglied in der Ethical Trading Initiative und unterwirft sich Zertifizierungs- und Kontrollverfahren zu den Arbeits- und Sicherheitsbedingungen seiner Arbeiter. Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung in Deutschland, begrüßt das, fordert aber radikalere Schritte: „Es muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden.“ Für ihn stehen Primarks Dumpingstrategie und ihre Bekenntnisse zu sozialer Verantwortung im Widerspruch. Seine Initiative will aber nicht nur die Hersteller und die Politik stärker in die Pflicht nehmen, etwa bei Einzahlungen in den Entschädigungsfond für die Opfer des Unglücks von Rana Plaza. Auch bei den Konsumenten will er ansetzen. Deshalb haben die Kampagne für Saubere Kleidung und der Dachverband Inkota Proteste für die Eröffnung der zweiten Berliner Primark-Filiale am Alexanderplatz am kommenden Dienstag angekündigt. Dort soll es unter anderem eine Kleidertauschbörse geben – ein Gegentrend, von der sogenannten „fast fashion“. Auch Berliner Einkäufer gehen alternative Wege. Eine Mariendorfer Lehrerin etwa geht Primark gezielt aus dem Weg und setzt auf weniger statt mehr. „Ich frage mich immer: Brauche ich wirklich was Neues?“ Nantke Garrelts

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