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Flucht und Trauma. Sie flüchteten vor der Terrormiliz IS aus ihren Heimatorten im Sindschar-Gebirge nahe der syrischen Grenze im Westen in die Kurdenregion Dohuk. Nach der Flucht bleiben Trauma und Sorge, vor allem für die Frauen, die von IS-Kämpfern gefangenen gehalten und vergewaltigt wurden.

© Antonio Pampliega / dpa

Jesidinnen aus dem Nordirak: Nächste Zuflucht Brandenburg

Das Land will Jesidinnen aus dem Nordirak aufnehmen, die dem IS-Terror entkommen sind

Potsdam - Sie sind entkommen. Der Gewalt, der Demütigung, der Sklaverei. Aber erlöst sind die Jesidinnen, die von Anhängern des Islamischen Staates (IS) gefangen gehalten, gefoltert und vergewaltigt wurden, nicht. Viele von ihnen sind schwanger oder schon Mutter. Deshalb können sie in ihrer alten Gemeinschaft nicht mehr leben. Sie haben Kinder des Terrors geboren. Ihre Babys wurden von Vergewaltigern gezeugt, in „genozidaler Absicht“, wie Arvid Vormann, Projektkoordinator der im Nordirak engagierten Hilfsorganisation „Wadi“ bei seinem Besuch in Potsdam schildert. Denn die Schergen des IS wissen um die Traditionen und Moralvorstellungen der religiösen Minderheit der Jesiden. Die in Gefangenschaft geborenen Kinder der als Sex-Sklavinnen missbrauchten Frauen gelten als Moslems, die Mütter als schandbehaftet. Diesen befreiten und dennoch ausgestoßenen Frauen aus dem Nordirak soll geholfen werden. In Brandenburg.

„Für Frauen, die Kinder aus Vergewaltigungen durch den IS bekommen haben, ist das Leben besonders schwer“, sagt Brandenburgs Staatssekretär Martin Gorholt (SPD). In der vergangenen Woche reiste der Beauftragte für Internationale Beziehungen der Landesregierung in den Irak. Im Koffer einen Beschluss des Landtags, den geknechteten und verfolgten Jesiden vor Ort zu helfen und einigen von ihnen in der Mark Zuflucht zu bieten. Gorholt traf unter anderem Vertreter der kurdischen Regionalregierungen und das weltliche Oberhaupt der Jesiden, Mir Tahsin. Er habe viel gesehen, viele Gespräche geführt, unter anderem in einem Flüchtlingslager bei Shekhan, erklärte Gorholt am Freitag. „Die Unterbringung in Zelten in der großen Hitze und die Lebensbedingungen in den Lagern sind bedrückend. Viele Menschen haben die Hoffnung verloren, bald in ihre Heimat zurückkehren zu können.“

Für 60 von ihnen soll Brandenburg, wenn nicht eine Heimat, dann zumindest ein Ort werden, an dem sie zur Ruhe kommen und ohne Angst leben können. Speziell Jesidinnen, deren Kinder aus den Vergewaltigungen durch IS-Kämpfer stammen und die im Nordirak nicht gemeinsam mit ihren Kindern leben könnten, soll mit dem Aufnahmeprogramm des Landes geholfen werden. 60 Plätze für Frauen und Kinder will Brandenburg bereithalten, erklärte Gorholt, eventuell in Eberswalde. Der genaue Ort sei noch nicht klar. Aber so viel ist sicher: Die schwer traumatisierten Frauen sollen nicht in normalen Übergangsheimen für Flüchtlinge leben, sondern in einer geschützten Unterkunft ähnlich einem Frauenhaus. Die genaue Adresse soll geheim bleiben, das Haus im Stillen eröffnet werden – zum Schutz der Frauen, die anderenfalls vielleicht sogar durch ihre eigene Glaubensgemeinschaft Anfeindungen erdulden müssten. Bis zum Ende des Sommers sollen laut Gorholt die Vorbereitungen erledigt, ein Träger für die Einrichtung gefunden sein.

Genauso diskret und anonym müssen die Vorbereitungen im Nordirak laufen. Eine Auswahlkommission soll die Frauen benennen, die nach Brandenburg reisen dürfen. Dabei sei es wichtig, dass das Land die Auswahlhoheit habe, erklärte die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke), die sich stark für das Aufnahmeprogramm engagierte, das über das UN-Flüchtlingshilfswerk koordiniert wird. „Es muss sichergestellt werden, dass auch wirklich betroffene Frauen nach Brandenburg kommen“, sagte Johlige – und nicht Geld oder Verbindungen ausschlaggebend für die Ausreise seien. Knifflig wird auch die Ausstellung der Reiseunterlagen und Visa, denn die Kinder von Jesidinnen, die wegen der „Schande“ meist von ihnen getrennt leben müssen, haben in der Regel keine Dokumente, die sie als Kinder ihrer leiblichen Mütter identifizieren.

„Die Kinder stehen im Zentrum des Dilemmas“, sagt Arvid Vormann, der am Freitag für seine Organisation „Wadi“ von Gorholt einen Scheck in Höhe von 93 400 Euro entgegennehmen konnte. Damit soll ein humanitäres Hilfsprojekt in der Provinz Sulamanya unterstützt werden, das sich vor Ort an die Jesiden wendet, die vor dem IS flüchten mussten. Für ein anderes Hilfsprojekt der Organisation „Mission East“ gibt Brandenburg zudem 495 000 Euro. Im Sindschar-Gebiet, wo wieder rund 60 000 Jesiden leben, soll ein Zentrum entstehen, das nicht nur Traumahilfe, sondern auch Sprachkurse und Berufsberatung bietet, um den vor dem IS Geflüchteten vor Ort wieder eine Zukunft zu geben.

Der Landtag hatte bereits im Dezember 2016 ein Sonderkontingent für die Aufnahme der Minderheit beschlossen und nun im Nachtragshaushalt insgesamt eine Million für die Jesiden-Hilfe bewilligt. Sie sei sehr froh, dass nun, eineinhalb Jahre nach dem Landtagsbeschluss, endlich ein „gangbarer Weg“ gefunden wurde, um der Minderheit zu helfen, so Andrea Johlige.

Denn noch immer kommen Jesidinnen aus der Hand des IS frei – und wissen nicht, wohin mit sich und ihren Kindern.

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