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Jahresrückblick 2017: In Brandenburg, in Brandenburg

In der Landespolitik ist 2017 einiges in Bewegung geraten. Anderes blieb dabei auf der Strecke. Ein Abriss.

Kreisreform. Die rot-rote Koalition unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte die Kreisreform zum wichtigsten Vorhaben der bis 2019 laufenden Legislatur ausgerufen. Seit 2014 wurden Pläne gemacht, dicke Gesetzeswälzer geschrieben, Kreisgrenzen auf dem Papier neu gezogen, Nachtsitzungen im Landtag eingelegt. Der Widerstand wurde immer größer: Erst mit der in der Landesgeschichte erfolgreichsten, von CDU, FDP und Freien Wählern getragenen Volksinitiative. Dass die Koalitionäre durch ihre Kommunikation den Widerstand befeuert haben, räumte Woidke später selbst ein. Auch das Volksbegehren gegen die Reform lief an. Woidke haderte nach der Bundestagswahl mit der Kreisreform. Die eigene Basis, Bürgermeister, die Landräte, die Kreistage – sie wollten die Reform nicht. Die Reißleine zog Woidke vor der Presse Anfang November auf einem Parkplatz einer Möbelfabrik in der Prignitz – nachdem die PNN die Absage publik gemacht hatten. Das Geld, das für die Reform vorgesehen war, ist nicht verloren: Es wird in die Entschuldung der kreisfreien Städte, in Hochschulen, Schulen, Kitas, in den Straßenbau gesteckt. Vor der Landtagswahl im Herbst 2019 investiert Rot-Rot – auch in die eigene Zukunft? Die Steuern sprudeln, die Wirtschaft brummt. Was wegen der Kreisreform liegen blieb, soll angepackt werden: die Digitalisierung und mehr Züge für Pendler, denn die Einwohnerzahlen wachsen auch außerhalb des Speckgürtels. Ein Wermutstropfen: Bombardier kündigte an, im Hennigsdorfer Werk werden neue Waggons nicht mehr gebaut, Stellen gestrichen.

Kräftemessen. Es war kein Erdrutsch, aber die Kräfteverhältnisse sind in Bewegung geraten. Bei der Bundestagswahl wurde die CDU deutlich stärkste Kraft vor der AfD – und fast zehn Prozent vor der SPD, die unter 20 Prozent rutschte. Auch auf Landesebene gerät die SPD unter Druck: In den Umfragen liegt sie stetig unter der magischen Grenze von 30 Prozent, steht schlecht da wie nie in der Landesgeschichte – aber immer noch besser als die CDU. Die hat sich unter ihrem Chef Ingo Senftleben neu aufgestellt, ist erstarkt. Die CDU hat bei der Kreisreform gezeigt: Sie kann die Basis mobilisieren – und sie kann Kampagne. Doch mit der Absage der Kreisreform braucht sie ein neues Thema. Nach dem Ergebnis der AfD bei der Bundestagswahl von 20 Prozent geht es mit Blick auf die Landtagswahl 2019 um die Frage: Wird sich die Partei – bundesweit im radikalen, rechten Flügel der AfD – im politischen Spektrum auf dieser Höhe festsetzen? Mit genau dieser AfD jedenfalls will CDU-Chef Senftleben nicht koalieren. Ein Bündnis mit einer anderen AfD schließt er also nicht aus. Bemerkenswert ist aber auch: Selbst ein Bündnis mit der Linken wollte Senftleben nicht ausschließen. Es geht um Machtoptionen jenseits der SPD. Auch wenn das kaum vorstellbar ist. Aber selbst Linke-Politiker sagen, im Landtag sei die CDU ein verlässlicher Partner – was bei der SPD, dem großen Koalitionspartner, zuweilen vermisst wird: dass Absprachen eingehalten werden.

Flughafen. Die unendliche Geschichte des Pannenflughafens BER in Schönefeld ist ein Fall für das Satire-Magazin „Der Postillon“: Mit jedem Jahr Baustelle verschiebt sich der Eröffnungstermin um drei Jahre. Jetzt soll es im Herbst 2020 so weit sein, wenn es eng wird, im Frühjahr 2021. Dabei wollen alle nur eines: Baut das Ding endlich fertig! Stattdessen musste Karsten Mühlenfeld im Frühjahr gehen, weil er durchgriff. Heute versteht das niemand mehr. Nun versucht sich Engelbert Lütke Daldrup. Das Geld wird knapp, aber nicht die Steuerzahler. Die Landesregierung bleibt hart: keine neuen Zuschüsse. Selbst dem Landesrechnungshof ist die Lust vergangen: Obwohl es das größte Milliardenloch ist, untersuchte der Rechnungshof den Flughafen für seinen im November vorgelegten Jahresbericht nicht einmal mehr.

Personal. Die Helden zuerst: Im September starben zwei Feuerwehrmänner im Einsatz auf der Autobahn 2 (siehe Seite 13) . Ein 24-Jähriger fuhr Ende Februar, nachdem er unter Drogen seine Großmutter in Müllrose tötete, auf der Flucht zwei Polizeibeamte tot. Der Mann war zuvor auffällig, die Justiz aber immer nachsichtig. Nun steht er vor Gericht.

Zur Politik: Günter „Hugo“ Baaske, Allzweckwaffe der Brandenburg-SPD, hat sich für die Familie entschieden und im September sein Ministeramt an den Nagel gehängt. Er ist noch Landtagsabgeordneter. Britta Ernst (SPD) macht als neue Bildungsministerin, die sie schon in Schleswig-Holstein war, einen soliden Job – nach den Pannenprüfungen im Mathe-Abi. Generalstaatsanwalt Erardo C. Rautenberg erlebte ein bitteres Jahr: Im Juni wurde bei ihm Krebs entdeckt und gleich operiert. Den Wahlkampf zur Bundestagswahl konnte er nicht bestreiten, die SPD hielt an ihrem Direktkandidaten in Brandenburg/Havel fest, für ein Mandat reichte es nicht. 2018 geht er in den Ruhestand. Auch Carlo Weber, lange Jahre Chef der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder), seit 2013 Leiter des Verfassungsschutzes, geht nun in den Ruhestand. Der Potsdamer Alexander Gauland ist nicht mehr AfD-Fraktionschef im Landtag, sondern im Bundestag. In Brandenburg hat bei der AfD nun Andreas Kalbitz das Sagen. Klara Geywitz hat wegen der Absage der Kreisreform durch SPD-Landeschef Woidke ihr Amt als Generalsekretärin niedergelegt. Nun sitzt sie im Bundesvorstand der Partei. Ihr Nachfolger ist Erik Stohn. Ulrike Poppe schied im Sommer vorfristig aus dem Amt als Aufarbeitungs-Beauftragte des Landes, Maria Nooke übernahm. Sozialministerin Diana Golze (Linke) wurde im Urlaub verletzt, im Unwetter von einem umstürzenden Baum getroffen. Sie rappelte sich auf, ist seit November wieder im Dienst. Der Ex-Landtagsabgeordnete Peer Jürgens (Linke) ist vorbestraft. Er wurde wegen gewerbsmäßigen Betrugs bei Zuschüssen für Fahrkosten und Miete sowie Wahlfälschung zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft stellte Betrugsermittlungen gegen Landtagsvizepräsident Dieter Dombrowski (CDU) gegen Zahlung einer Geldauflage ein. Er soll Fahrtkosten, Mietzuschüsse und ein Essen unrechtmäßig abgerechnet haben.

Braunkohle. Alles auf Anfang 2017. Brandenburgs Landesregierung bekennt sich zur Braunkohle, senkte als Willkommensgeschenk an den neuen Betreiber Leag die eigenen Klimaschutzziele, fordert nicht mal Sicherheiten für Rekultivierungen der Tagebau vom Tschechen-Konzern. Kurz herrschte Unruhe, denn ein geregelter Kohle-Ausstieg schien nach der Bundestagswahl nahe. Doch Jamaika platzte, großes Aufatmen bei Landesregierung und in der Lausitz, der Kohlestrom fließt weiter. Immerhin hat die Leag die Tagebaupläne zusammengestrichen, hält sich bei einem Kohleloch aber eine Hintertür offen.

Rechtsausleger. Bundesweit gab es im Jahr 2017 mehr als 250 rechtsextreme Anschläge auf Asylheime, auch im April einen in Kremmen (Oberhavel). Die Polizei fasst zwei Männer im Alter von 28 und 35 Jahren. Schon im Februar ging vom Landgericht Potsdam ein klares Signal aus: Nach einem Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft wurde die Neonazi- Zelle von Nauen zu langen Haftstrafen verurteilt. Ihr Rädelsführer – NPD-Mann Maik Schneider – muss wegen des Anschlag acht Jahre hinter Gittern sitzen, ein Mittäter sieben Jahre. Auch der wegen Volksverhetzung verurteilte Holocaust-Leugner Horst Mahler landete im Knast, seine Flucht nach Ungarn endete im Mai, der 81-Jährige bekam kein Asyl. Und ausgerechnet am 20. April bestätigt das Oberlandesgericht: Der NPD-Politiker Marcel Zech muss wegen Volksverhetzung für acht Monate in Haft, weil er ein Nazi-Tattoo in einem Spaßbad öffentlich gezeigt hat.

Hotspot Cottbus. Erst Randale im April beim Auswärtsspiel in Babelsberg, dann wenige Wochen später der Rückzieher: Die rechtsextreme Hooligan-Gruppe „Inferno Cottbus“ löste sich im Mai nach 18-jährigem Bestehen auf – offenbar aus Angst vor einem Verbot. Auslöser waren gemeinsame Recherchen von PNN und rbb: Die Hooligan-Truppe hatte in der Fanszene von Energie Cottbus ein kriminelles Netzwerk aufgebaut, Neonazis bedrohten wiederholt andere Energie-Fans, verbreiteten ein Klima der Angst. Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sagte, aus „einem kleinen Krebsgeschwür“ sei eine „große Wucherung“ geworden. Auch darüber hinaus gilt Cottbus wieder als Hotspot der Neonazi-Szene. Eine Machtdemonstration erlebte die Stadt im Januar: Nachts versammelten sich 120 vermummte Neonazis, die mit Fackeln durch die Innenstadt marschierten. Schröter: eine hochgradig gewaltorientierte Szene. „Sie bündelt Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker sowie Hooligans.“

Was fehlt: Die wilden Tiere. Wölfe sowieso, sogar Wiesente. Der Sommerhit: Die Adlerstaffel zur Drohnenabwehr. 

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