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Jänschwalde: "Ich weiß noch nicht, was wird": Vorerst letzte Schicht im Tagebau

Der Tagebau Jänschwalde ist ein Auslaufmodell. Laut Revierplan soll dort 2023 Schluss sein mit der Kohleförderung. Doch der Stopp am Sonntag - zeitgleich mit der Landtagswahl - schockiert die Mitarbeiter und sorgt für Frust.

Cottbus - Die Industrie-Landschaft am Braunkohle-Tagebau Jänschwalde sieht friedlich aus am frühen Morgen. Windkraftanlagen überragen die Abraumhalde - erneuerbare Energie und Braunkohle speisen das nahe gelegene Kraftwerk. Der Parkplatz vor dem Tagebau füllt sich langsam mit Autos der Mitarbeiter. So, als wäre es ein Arbeitstag wie jeder andere. Doch der Eindruck täuscht. Die Windräder drehen sich an diesem Freitag, die Förderbrücke im Tagebau aber steht bereits still. Die Kohlekumpel laufen durch das Werkstor zu ihrer vorerst letzten Schicht.

"Wer uns hier in die Scheiße geritten hat, sind die Umweltschützer. Die haben doch nichts anderes zu tun, als solche Faxen zu machen", schimpft ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen will. "Es müsste überall mal der Strom ausgehen, damit alle sehen, was die Schließung hier für Folgen hat." Dann sollten die Fridays for Future-Jugendlichen mal versuchen, ihre Handys aufzuladen, sagt der Mann wütend und verschwindet hinter dem Tor zur letzten 12-Stunden-Schicht.

Der Tagebau steht still

Nach Gerichtsentscheidungen muss der Braunkohleabbau in Jänschwalde vorläufig gestoppt werden. Ausgangspunkt war eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gemeinsam mit der Grünen Liga gegen einen Weiterbetrieb. Und seit Sonntag 0.00 Uhr ist es Realität: Der Tagebau steht still.

Die Umweltschützer befürchten, dass Filterbrunnen im Bereich des Tagebaus besonders geschützte Gebiete wie etwa Moore gefährden. Der Betreiber Leag hätte eine Umweltverträglichkeit für diese europäischen FFH-Schutzgebiete (Fauna-Flora-Habitat) bis zum 31. August prüfen müssen. Das Unternehmen konnte die Frist nicht einhalten, eine Verlängerung lehnte das Verwaltungsgericht Cottbus am Freitag ab. Für einen Weiterbetrieb muss die Leag die fehlenden Unterlagen nachreichen.

Die Mitarbeiter sind verunsichert

"Für die Mitarbeiter ist das aktuelle juristische Hick-Hack nicht nachvollziehbar. Sie sind frustriert, bedrückt und zutiefst verunsichert", beschreibt Betriebsratschef Uwe Schütze die Stimmung unter den Kollegen. Solch eine Situation habe es so noch nicht gegeben. Es existiere ein Revierplan für die Lausitz, der festlege, dass der Tagebau im Jahr 2023 ausgekohlt sein soll, sagt Schütze. Jänschwalde sei ein Auslauftagebau: "Wir wussten, dass irgendwann Schluss ist."

Leag-Konzernbetriebsrat Uwe Teubner drückt es schärfer aus: "Unsere Mitarbeiter werden zum Spielball der Justiz und damit werden gesellschaftliche Kompromisse auf den Kopf gestellt."

Auch für Ronald Behlke kommt der Stopp des Tagebaus überraschend. Der 63-Jährige ist von Beginn an dabei. Jänschwalde wurde 1974 erschlossen, zwei Jahre später wurde dort die erste Kohle gefördert. "Viele in meinem Alter sagen: Nach mir die Sintflut. Aber ich sehe das nicht so. Die Jüngeren, die hier arbeiten - was wird aus denen", fragt er nachdenklich. "Was soll werden in der Region, wenn das hier schon gerichtlich schneller gekippt wird, als man denkt."

Spontaner Flashmob

Schichtleiter Michael Müller ist seit 1983 im Tagebau beschäftigt. Er hat im Urlaub vom Stopp erfahren. Die Gerichtsentscheidung nennt der 58-Jährige unverantwortlich, auch mit Blick auf die Landtagswahl. Konsequenzen seien nicht bedacht worden. "Da hängt so viel dran", sagt Müller. Am Freitag traf er sich spontan mit etwa 80 Kollegen zu einem Flash-Mob vor der Cottbuser Stadthalle. Dort hatte das Aktionsbündnis Ende Gelände eine Kundgebung angemeldet. Laut Müller sollte es eigentlich ein stiller Protest werden. "Dann haben wir ihnen entgegengerufen: 'Wir machen Strom, was macht ihr?' Und dann kam die Polizei", erzählt er. Die Kohlekumpel hätten gehen müssen, der Flashmob sei nicht angemeldet gewesen. Auch Verwaltungsmitarbeiter der Leag seien dabei gewesen.

Beim Tagebaubetreiber laufen seit Wochen die Drähte heiß. Das Unternehmen hatte sich bereits auf eine Gerichtsentscheidung zugunsten der Umweltschützer vorbereitet. Der Tagebau geht in den Sicherheitsbetrieb. Es wurden Vorkehrungen für die geologische Standsicherheit des Grubenbetriebs getroffen. Auch die 30.000 Tonnen schwere Förderbrücke mit angeschlossenen Baggern gehört dazu. Zusätzliche Messstellen müssen eingerichtet werden, um nachkommendes Grundwasser zu beobachten. Dafür stellt das Unternehmen einige der 700 Mitarbeiter ab. Der Großteil soll aber auf andere Standorte verteilt werden, um dort die erhöhte Förderleistung zu unterstützen. "Kurzarbeit ist derzeit kein Thema", heißt es von der Leag. Sie rechnet mit 10 bis 12 Wochen Stillstand im Tagebau.

Mitarbeiter werden nach Sachsen geschickt

Wie es weitergeht, sollen die Mitarbeiter am Montag auf einer Betriebsversammlung erfahren. Zum Beispiel, wer künftig wohin kommt. Für manche könnte der Arbeitsplatz erst einmal in Sachsen liegen, in den Tagebauen Nochten und Reichwalde. Betriebsratschef Uwe Schütze denkt schon über Härtefälle nach. Beispielsweise sei der Arbeitsweg für eine junge Mutter, die ihr Kind von der Kita abholen müsse, viel zu weit. Schichtleiter Müller macht sich derweil Sorgen um die Nachtschichtler, die den Weg von über einer Stunde müde zurückfahren müssten. Das sei nicht ungefährlich. Er selbst hat am Montag ein Gespräch mit seinem Chef und sagt: "Ich weiß noch nicht, was wird."

Silke Nauschütz dpa

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