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Brandenburg: Intro für den Untersuchungsausschuss

Öffentliche Sitzung der Verfassungsschutz-Kontrolleure bringt wenig Antworten, aber viele Fragen

Potsdam - Es war zwar ein Novum, denn erstmals tagte die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK), zuständig für den Verfassungsschutz, nicht geheim, sondern öffentlich. Doch das hätte sie sich auch sparen können – so zumindest sahen es CDU, Linke und Grüne. Denn der Anlass für die öffentliche Sitzung – Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz zu möglichen Verfehlungen in die Mordserie des rechtsextremistischen NSU – hat sich selbst erledigt: Rot-Rot sowie CDU und Grüne wollen Ende April, mehr als vier Jahre nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie, im Landtag einen NSU-Untersuchungsausschuss einsetzen. Und der hat im Gegensatz zur PKK weitreichende Rechte zur Beweisaufnahme. Doch der Vorsitzende der Kontrollkommission, Sören Kosanke (SPD), bestand auf der PKK-Sitzung. Auf die Anregung, von der öffentlichen Sitzung Abstand zu nehmen, soll Kosanke laut CDU nicht einmal reagiert haben.

Was dann kam, war Wiederholung des Bekannten, was vor allem im Sinne der SPD war, die jegliche Verfehlungen des Verfassungsschutzes stets bestritt und bis zuletzt einen Untersuchungsausschuss abgelehnt hatte. Die Darstellung der Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums war denn auch nicht neu: Der Nachrichtendienst sieht sich nicht in die Mordserie des NSU verstrickt.

Es geht um Carsten Sz., ein wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilter Neonazi. Unter dem Decknamen „Piatto“ als hatte er als V-Mann 1998 einen der wenigen Hinweise auf das untergetauchte NSU-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gegeben, bevor dieses im Jahr 2000 seine Serie von Morden an neun Migranten und einer Polizisten startete. Strittig ist, ob Brandenburg mit dem damaligen Hinweis aus dem direkten NSU-Unterstützerkreis in Chemnitz auf drei „Skinheads aus Sachsen“, die sich Waffen für Banküberfälle besorgen und nach Südafrika fliehen wollten, die Morde hätte verhindern können. Brandenburg verweigerte den Thüringer Behörden, die das untergetauchte Trio aus Jena per Haftbefehl suchten, nähere Angaben zur Quelle. Verfassungsschutzsprecher Heiko Homburg sagte nun, die Brandenburger Behörde habe im September 1998 einen schriftlichen Bericht an das Landeskriminalamt Thüringen aus Gründen des Quellenschutzes abgelehnt, um eine Enttarnung „Piattos“ zu vermeiden. Dass damit aber das NSU-Trio hätte verortet werden können, erwähnt er nicht. Offen ließ er, ob „Piatto“ selbst an der Beschaffung von Waffen für den NSU beteiligt war.

Homburg und der amtierende Abteilungsleiter Mathias Rohde wiesen darauf hin, dass „Piatto“ in den 1990er-Jahren nicht nur eine wichtige Quelle zur Ausforschung der rechtsextremen Szene gewesen sei, sondern eine bundesweit herausragende. Die Hinweise des V-Manns seien stets an andere Verfassungsschutzbehörden zeitnah weitergeleitet worden. Und Homburg beschwor die 90er-Jahre herauf: Immer mehr Neonazis, schwere Gewalttaten, neun Morde, vier Brandstiftungen. „Piattos“ Meldungen hätten 200 strafrechtliche und polizeiliche Maßnahmen nach sich gezogen, etwa ein Verbot einer Neonazi-Kameradschaft, die Auflösung von rechten Konzerten und teils auch das Verbot der Neonazi-Bruderschaft „Blood & Honour“. Zudem erinnerte Homburg daran, dass sich der damalige Innenminister Alwin Ziel (SPD) 1996 beim damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, den Segen holte, „Piatto“ als V-Mann einzusetzen. Auch die PKK habe damals „Piatto“ als „nützliches Werkzeug“ gewertet.

Immerhin lieferte Homburg auch Hinweise für den Untersuchungsausschuss: Sz. hatte sich als V-Mann angedient – aus der Untersuchungshaft heraus. Seit November 1994 wurde er als Quelle geführt, genoss nach der Verurteilung 1995 umfangreiche Haftlockerungen und kam vorzeitig frei – ausgerechnet wegen eines Praktikums im Umfeld der NSU-Unterstützer im Raum Chemnitz. Die Haftprüfungskammer des Landgerichts Potsdam ging äußerst milde mit Sz. um. Homburg räumte nun ein, dass der Verfassungsschutz damals Gespräche mit dem Justizministerium geführt und ein Interesse an der frühen Haftentlassung gehabt habe. Einfluss habe er aber nicht genommen.

Und Rhode wollte nicht ausschließen, dass Sz. seine Einnahmen von 50 000 Euro als V-Mann für den Aufbau von Neonazi-Strukturen genutzt hat. Dass Sz. zudem für andere Dienste gearbeitet hat, glaubt der Verfassungsschutz zwar nicht, kann es aber auch nicht klar ausschließen.

CDU-Innenexperte Björn Lakenmacher stellte fest: „Wir schürfen nicht mal tief.“ Viele Fragen hätten nicht beantwortet werden können, etwa welchen Einfluss „Piatto“ aus der Haft heraus auf die rechte Szene ausübte, sie sogar steuerte. Der Beleg, dass es einen Untersuchungsausschuss braucht, sei erbracht. Die öffentliche PKK-Sitzung: ein „gutes Intro“ dafür. Alexander Fröhlich

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