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Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) ist Ärztin und seit November 2019 im Landeskabinett.

© Andreas Klaer

Exklusiv

Interview mit Ursula Nonnemacher: „Sonst gewinnen die Teflon-Männer“

Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) über Frauen in Führungspositionen, Kompetenzgerangel in der Koalition beim Impfen und den Brandbrief von CDU-Innenminister Michael Stübgen.

Frau Nonnemacher, Sie sind nach drei Wochen Krankschreibung seit 7. Juni wieder im Dienst. Wie geht es Ihnen?
Es ging mir wirklich schlecht und die Auszeit war nötig, aber jetzt fühle ich mich wieder gestärkt und voll einsatzfähig. Für eine Ministerin in solch einem Ministerium gibt es keine Schonzeit. Und so ging es gleich wieder voll los. Haushaltsberatungen, fünf Stunden Rede und Antwort stehen im Corona-Untersuchungsausschuss, die Verträge zur Übergabe der Impfzentren an die Kommunen mussten ausgearbeitet werden, die Rückübernahme der kompletten Zuständigkeit für das Impfen vom Innenministerium gut vorbereitet werden. Aber ich habe mein ganzes Leben immer extrem viel gearbeitet. Als Notärztin im Schichtdienst, parallel Stadtverordnete in Falkensee, als Landtagsabgeordnete und zweimal als Spitzenkandidatin der Grünen. Dann noch Familie mit drei Kindern. Ich glaube, ich bin für meinen „preußisch-protestantischen“ Pflichteifer bekannt. 

Gab es jemals einen Moment, in dem Sie es bereut haben, dieses arbeitsintensive Ministerium übernommen zu haben?
Ich hätte kein anderes Ministerium haben wollen. Vor dem Hintergrund meiner langjährigen beruflichen Tätigkeit als Ärztin bin ich hier an der richtigen Stelle. Aber natürlich stellt man sich manchmal schon die Frage: Warum tue ich mir das überhaupt an? Zwölf- bis Vierzehn-Stunden-Tag, nicht selten sieben Tage die Woche. Dann kommt hinzu, dass Frauen in Führungspositionen immer noch kritisch gesehen werden, sich besonders beweisen müssen. Also was tun: flüchten oder standhalten? Meine Antwort, auch als Frauenministerin, ist da klar: Wenn wir Frauen nicht standhalten, gewinnen die Teflon-Männer, an denen alles abgleitet. 

Ursula Nonnemacher: "Wenn wir Frauen nicht standhalten, gewinnen die Teflon-Männer, an denen alles abgleitet."
Ursula Nonnemacher: "Wenn wir Frauen nicht standhalten, gewinnen die Teflon-Männer, an denen alles abgleitet."

© Andreas Klaer

Wie würden Sie das Verhältnis zu CDU-Innenminister Michael Stübgen beschreiben, der von Ihnen vorübergehend die Zuständigkeit für die Impflogistik übernahm?
Zunächst bin ich dem Innenministerium und seinen Mitarbeitenden sehr dankbar, die wirklich tatkräftig unterstützt haben. Auf der Arbeitsebene ist das zwischen den beiden Häusern sehr gut gelaufen, wir haben ja bereits im ersten Lockdown im interministeriellen Krisenstab gut zusammengearbeitet. Dass jetzt nach meiner Rückkehr unschön kommuniziert worden ist, war dann weniger erfreulich. Ich denke, wir sollten uns weiterhin in der Landesregierung persönlich verständigen und nicht über Briefe, die zeitgleich an Medien durchgestochen werden.

Sie spielen auf den Brandbrief an, den Stübgen Ihnen am 10. Juni zukommen ließ und der zur Kenntnisnahme auch an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ging. Darin verlangt Stübgen von Ihnen "eilige Information bis Freitag 9 Uhr" zur Zukunft der Impfzentren, obwohl er als für die Kommunen zuständiger Minister doch wissen musste, dass diese bis Freitag Zeit hatten mitzuteilen, ob sie die Zentren weiterführen. Mit welcher Motivation hat Stübgen dann diesen Brief verschickt?
Ich will da nicht spekulieren und das auch nicht weiter problematisieren. Aber aus meiner Sicht hätte es dieses Brandbriefes nicht bedurft. Schließlich haben wir in den Tagen vorher persönliche Gespräche geführt und der Termin 11. Juni, bis zu dem sich die Kommunen entscheiden mussten, ob sie Impfzentren übernehmen oder nicht, war allen Beteiligten bekannt. Im Moment wird sehr professionell und kollegial die Übergabe vorbereitet, denn die komplette Zuständigkeit für das Impfen geht ja ab 1. Juli wieder an mein Haus.

Ein bisschen kann man schon den Eindruck gewinnen: Andere kassieren die Lorbeeren für die nun erfolgreiche Impfkampagne und nachdem man die einkassiert hat, dürfen Sie wieder übernehmen.
Das würde ich nicht so negativ sehen. Was wir überhaupt nicht gebrauchen können, sind Schuldzuweisungen. Dass sich der Krisenstab im Innenministerium nun wieder anderen Aufgaben zuwenden muss, ist auch mehr als verständlich: Wir sehen im Moment die immense Hitzewelle, die uns schon Mitte Juni ereilt - und damit steigt auch die Waldbrandgefahr enorm. Dafür muss das Innenministerium natürlich gerüstet sein. 

Könnte dieser vom Ministerpräsidenten vorgenommene Zuständigkeitswechsel beim Impfen auch im Interesse der SPD gewesen sein, um die kleinen Koalitionspartner CDU und Grüne gegeneinander auszuspielen? Stichwort: Bundestagwahlkampf.
Auch das sind Spekulationen. Fakt ist - und da spreche ich jetzt als Mitglied meiner Partei und nicht als Ministerin: Der Bundestagswahlkampf wird mit besonderen Bandagen geführt. Das spürt man, aber das ist nicht nur in Brandenburg so. Bündnis 90/Die Grünen stehen durch die Kanzlerkandidatur von Annalena Baerbock und die bislang guten Umfragewerte im Fokus des Interesses. Die anderen Parteien sehen in uns den Hauptgegner. Das gilt für die CDU, das gilt für die SPD. Das gilt aber auch für die FDP sowie die Linke, die uns hier im Land deutlich attackiert. Alle arbeiten sich im Moment an den Grünen ab. Aber mein Petitum ist: Wir müssen auf Landesebene unsere Aufgaben als Koalition gemeinsam bewältigen, und das mit Anstand. Das Thema Corona taugt nicht für Wahlkampf. 

Ursula Nonnemacher: "Das Thema Corona taugt nicht für Wahlkampf."
Ursula Nonnemacher: "Das Thema Corona taugt nicht für Wahlkampf."

© Patrick Pleul/ dpa

Wäre die Brandenburger Impfkampagne jetzt genauso weit, wenn die Zuständigkeit in Ihrem Haus verblieben wäre?
Wir haben im Gesundheitsministerium viel Aufbauarbeit geleistet. Anfangsprobleme hatten nicht nur wir, das ist in anderen Bundesländern unabhängig von der politischen Farbenlehre nicht anders gewesen: sehr geringe Impfdosen, maximale Erwartungshaltung, hohe Emotionalität, Menschen, die Angst um ihr Leben hatten. Das war alles sehr belastend. Dann das Hoch und Runter in diesen Länderrankings, die ich sehr kritisch sehe, denn nicht alle Besonderheiten der Länder konnten berücksichtigt werden. 

Als wir die Zuständigkeit für die Impflogistik Ende März an das Innenministerium übergeben haben, hatten wir uns bei den Erstimpfungen jedenfalls wieder ins Mittelfeld vorgearbeitet. Fakt ist aber: Wir haben personelle Unterstützung gebraucht, deswegen bin ich dem Innenministerium wie gesagt dankbar. Mein Haus trägt seit Beginn des Jahres 2020 die Hauptlast in der Corona-Pandemie. Dazu kamen die Afrikanische Schweinepest und dann auch noch die Geflügelpest. Das ist arbeiten in höchster Schlagzahl.  

Kritisch gesehen wurde, dass Sie die Kassenärztliche Vereinigung federführend mit ins Boot geholt haben und so das Heft des Handels aus der Hand gegeben haben.
Für diese Mammutaufgabe der Pandemie-Bekämpfung braucht es starke Partner. Und es gab keine Blaupause dafür, wie man so eine Lage angeht. Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg hat hervorragende Arbeit geleistet, da ist viel Kompetenz eingeflossen und auch auf die personellen Ressourcen konnte wir nicht verzichten. Uns war von Anfang an klar, dass man für die Impfkampagne die Ärztinnen und Ärzte einbinden muss und weiteres medizinisches Personal benötigt. Auch die Hilfsorganisationen unter der Federführung des Deutschen Roten Kreuzes und die Kommunen waren und sind extrem engagiert. Aber klar wurden auch Fehler gemacht. 

Welche?
Dass es anfangs mit der zentralen KVBB-Hotline zur Impfterminvergabe nicht lief, die Hotline zusammengebrochen ist, das war natürlich ein großes Problem. Und das Online-Terminmanagement war nicht sofort funktionsfähig. Aber man muss auch sehen: Was wären zu dem Zeitpunkt die Alternativen gewesen? Wir hätten nicht die Ressourcen zur Verfügung gehabt, so eine Hotline alleine zu stemmen. Bei den Impfstoffbestellungen durch den Bund und die EU ist auch nicht alles glücklich gelaufen. Es gab eine Riesen-Nachfrage nach Impfungen, die aufgrund des extremen Impfstoffmangels niemand bedienen konnte. 

Zusammengefasst: Natürlich muss man kritisch auf die Regierungsarbeit und das Handeln meines Hauses schauen - aber man muss Entscheidungen auch im historischen Kontext sehen. Heute ist man in vielen Punkten schlauer. Das betraf auch die Frage der Rückstellung von Impfdosen. Hat man keine Rücklagen, ist man der Schuldige. Hat man zu viele Rücklagen, ist man mit dem Vorwurf konfrontiert, man würde bunkern. Wie man es macht, macht man's verkehrt. Aber jetzt müssen wir nach vorne blicken. 


Waren die Lockerungen, die Brandenburg beschlossen hat, gerechtfertigt?
Bei solch niedrigen Inzidenzen muss man lockern. Grundrechtseinschränkungen müssen immer verhältnismäßig sein. Im Moment freuen sich alle über die wiedergewonnene Freiheit. Der Sommer lockt. Die Urlaubszeit beginnt. Die Leute wollen all das genießen, was sie über lange Monate vermisst haben. Das geht mir auch so. Ich bin heilfroh, dass ich mich in meinem Garten wieder mit ein paar netten Menschen treffen kann. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Fehler vom letzten Sommer wiederholen. 

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Damals waren die Inzidenzen noch niedriger als sie es heute sind - und dann kam im Herbst die zweite Welle. Die weltweit zirkulierenden Mutationen bergen Risiken. Schauen Sie zum Beispiel nach Chile oder Portugal. Großbritannien hat jetzt wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz um die 90. Dort sind die Bevölkerungsteile betroffen, die noch nicht oder nur einmal geimpft sind. Ich neige nicht zu Panik und will nicht die maulende und nörgelnde Gesundheitsministerin sein, die den Leuten den Spaß madig macht. Aber: Wir müssen aufpassen und besonnen bleiben. 

Bei den Ausführungen von Innenstaatssekretär Markus Grünewald vergangene Woche im Innenausschuss konnte man den Eindruck gewinnen, Brandenburg sei quasi schon durch mit dem Impfen. Er sagte, eine Herdenimmunität könne bald erreicht werden, schließlich hätten inzwischen 64 Prozent der Brandenburger ihre Erstimpfung erhalten oder seien nach einer Genesung immun. Stimmt diese Rechnung?
Herdenimmunität ist ein Begriff aus der Veterinärmedizin, der nicht so einfach übertragbar ist. Man muss sich dafür die Basisreproduktionszahl R0 anschauen, die hängt vom jeweiligen Erreger ab: Wie viele andere Menschen steckt ein Erkrankter an? Bei Masern etwa liegt der R0-Wert bei 18. Das heißt, um so etwas wie eine Herdenimmunität zu erreichen, muss man bei Masern eine Durchimpfungsrate in der Bevölkerung von 95 Prozent erreichen. 

Bei Corona sprach man anfangs davon, dass ein Durchimpfungsgrad - also zwei Impfungen - von 60 bis 70 Prozent erreicht werden muss, um Sicherheit zu haben. Nun sprechen Experten wegen des Auftretens hochinfektiöser Mutanten schon von 80 bis 85 Prozent. 

Wir haben jetzt die Situation, dass ein größerer Teil der Bevölkerung über 18 geimpft ist. Aber in der Gruppe der Zwölf- bis 18-Jährigen sind nur sehr wenige Kinder und Jugendliche geimpft. Hinzu kommen Menschen, die eine Impfung bislang verweigern. Deshalb müssen wir bei der Impfkampagne weiter am Ball bleiben. 

Wie wollen Sie Impfverweigerer überzeugen, sich doch impfen zu lassen?
Wir haben keine Impfpflicht, niemand wird gezwungen, wir sind ein freies Land. Deshalb kann man nur an die Menschen appellieren, gerade auch die Jüngeren, die vielleicht denken "Jetzt ist endlich Partytime": Nehmen Sie die Termine in Anspruch! In den Impfzentren sind nun auch oft kurzfristig Termine frei, in Kyritz zum Beispiel wurden jüngst Impfungen ohne Anmeldung angeboten. Wir müssen niederschwellige Angebote machen: Impfen im Zelt, auf dem Dorfplatz oder im Stadtteil. Da gibt es eine ganze Menge kreativer Ideen in unseren Kommunen. Zudem wollen wir, ähnlich wie der Bund, eine Plakatkampagne auflegen.


Viele Eltern fragen sich jetzt: Soll ich mein Kind impfen lassen? Was raten Sie?
Die Ständige Impfkommission, für uns das maßgebliche Expertengremium, hat unter Abwägung aller zur Verfügung stehenden Informationen die Impfung in der Altersgruppe ab zwölf für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen empfohlen. Aber für Kinder und Jugendliche, die im Umfeld Personen aus der Risikogruppe haben, etwa wenn die Mutter eine Immunschwäche hat, wird die Impfung angeraten. Die Entscheidung muss im Einzelfall abgewogen werden, aber im Zweifel würde ich mich immer für das Impfen aussprechen. Wir sehen zum Beispiel in Großbritannien, dass sich die Delta-Variante schnell ausbreitet und so auch an Schulen wieder eine große Infektionsgefahr besteht, weil die Kinder eben meist nicht geimpft sind. 

Wie wird es aus Ihrer Sicht an den Schulen in Brandenburg weitergehen?
Nun stehen erst einmal die Sommerferien vor der Tür, in denen die Infektionszahlen hoffentlich noch einmal nach unten gehen werden. Aber wir müssen vorsichtig bleiben, auch wenn alle Beschäftigten an den Schulen ein Impfangebot erhalten haben. Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, dass die Testpflicht an den Schulen nach den Ferien beibehalten wird. Da bin ich Bildungsministerin Britta Ernst auch sehr dankbar dafür, dass sie so besonnen agiert. 

Ursula Nonnemacher: "Aber klar wurden auch Fehler gemacht."
Ursula Nonnemacher: "Aber klar wurden auch Fehler gemacht."

© Andreas Klaer

Was das Tragen von Masken an den Schulen angeht, müssen wir die Lage neu bewerten, wenn die Hauptreisezeit vorbei ist. Ich warne insgesamt davor, die Testzentren zu schnell komplett zurückzufahren. Letztes Jahr mussten wir in der Reisezeit diese Testkapazitäten mühsam aufbauen, teils kamen die Testangebote zu spät. Wir haben gerade Fußball-Europameisterschaften mit Spielen in ganz Europa. Die Olympischen Spiele stehen vor der Tür. Allein durch solche sportlichen Großereignisse gibt es gewisse Risiken, die wir im Auge behalten müssen. Mein Credo: Lasst uns den Sommer genießen, aber trotzdem nicht die nötige Vorsicht über Bord werfen.  

Werden Sie im Sommer verreisen?
Wir erwarten unser erstes Enkelkind und haben deshalb noch nichts gebucht. Letztes Jahr waren mein Mann und ich in Thüringen zu zweit in einer Ferienwohnung, wir sind geradelt und gewandert, sehr corona-konform. Etwas Ähnliches wird es wohl auch in diesem Jahr sein. Wir werden jedenfalls nicht irgendwo hinfliegen, sondern stressfrei hier in Deutschland etwas unternehmen, vielleicht direkt in Brandenburg. Wenn man der Pandemie etwas Positives abgewinnen will, dann das: Corona hat uns wieder gezeigt, wie viele schöne Gegenden wir haben und dass man auch hierzulande wunderbar Urlaub machen kann. 

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