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Generalsuperintendent Kristóf Bálint in der Nikolaikirche.

© Manfred Thomas

Interview mit neuem Generalsuperintendenten: „Es wird keine Zeit nach Corona geben“

Generalsuperintendent Kristóf Bálint über seinen Start als Chef der evangelischen Kirche in Potsdam, Religion in pandemischen Zeiten und die Zukunft des Glaubens

Herr Bálint, wie war Ihr erster Tag in Potsdam?
Der erste Tag in Potsdam war sehr schön. Ich bin zu Fuß vom Bahnhof in die Generalsuperintendentur in die Gutenbergstraße gelaufen, habe mir rechts und links des Weges die Dinge erschlossen, nette Menschen getroffen. Meine Aufgaben kann ich im Moment allerdings nur sehr eingeschränkt wahrnehmen: Ich habe in den ersten Wochen fast alle Superintendenten des Sprengels besucht - unter Einhaltung der Hygieneregeln, natürlich. Kirchenkreise und Leitungsorgane werde ich aber erst besuchen können, wenn die pandemische Lage eine andere ist.
Ausgefallen ist bislang ja auch Ihr Einführungsgottesdienst...
Es gab eine kleine Begrüßungsfeier im allerkleinsten Rahmen in den Räumen des Kirchenkreises, bei der mir die Urkunde und das Amtskreuz übergeben wurden. In den Räumen der Generalsuperintendentur hätte der Platz für die neun Teilnehmer aktuell nicht gereicht. Die Feier schloss auch den Segen ein. Aber den offiziellen Einführungsgottesdienst werden wir am 20. Juni in der Nikolaikirche feiern. Dort wollen wir auch die Öffentlichkeit einladen.


Wie funktioniert denn die Kirche in Brandenburg nach einem Jahr Coronakrise?
Mein Eindruck ist, dass die Mitarbeiter und Gemeinden sehr verantwortlich mit der Situation umgehen. Es wird sehr genau abgewogen, was ist machbar, was ist vermittelbar, was ist sinnvoll. Die Erfahrung zeigt, dass in den letzten Monaten zwei Drittel der Präsenzgottesdienste nicht stattgefunden haben und ein Drittel gefeiert wird. Das sind dann oft überschaubare Teilnehmerzahlen. Dadurch ist es dann auch möglich, die Abstands- und Hygieneregeln, die staatlicherseits getroffen wurden einzuhalten. Ansonsten nehme ich wahr, dass es eine unglaubliche Vielfalt von Versuchen gibt, die Menschen zu erreichen. Die Bandbreite reicht da von Video- und Telefongottesdiensten, Gottesdienst im Gespräch, Postwurfgottesdiensten und -andachten bis zur Seelsorge per Telefon. Ich bin fasziniert davon, was es alles für gute Ideen gibt.
Was kann die Kirche aus der Coronakrise für die Zeit danach lernen?
Ich glaube, es wird keine Zeit „nach Corona“ geben. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir solche Pandemien häufiger erleben. Generell merken wir, dass die Digitalisierung uns an vielen Stellen hilft, dass sie aber keinen Ersatz für persönliche Kontakte darstellt. Mich jammert es, dass Menschen ohne persönliche Begleitung in Krankenhäusern und Altenheimen versterben, weil Pfarrern aus Angst oder berechtigter Sorge der Zutritt verwehrt wird. Wir erleben im Moment Heime und Kliniken, in die wir gehen können, und solche, in die wir nicht dürfen. Da wünschte ich mir, dass man das stärker aus der Sicht des Patienten sieht: Stellen Sie sich vor, Sie müssten im Angesicht des Todes alleine sein. Das kann man wirklich nicht vermitteln und keinem Menschen wünschen.
Sollten Krankenhausseelsorger bei den Impfungen priorisiert werden?
Da, wo Kontakte sind, ist es nicht nur um der Pfarrerinnen und Pfarrer willen, sondern auch um der Menschen willen, die ihnen begegnen, wichtig, dass sie geimpft werden. Ich persönlich sage aber: Ich werde mich genau wie alle anderen in die Strategie der Bundesregierung einordnen und dann zum Impfen gehe, wenn ich dran bin. Ich bin aber auch kein Krankenhausseelsorger. 

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Statistiken sagen der Kirche voraus, bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder zu verlieren. Wie reagieren die Kirchen darauf?
Das ist ja eine Frage, die uns schon in der friedlichen Revolution beschäftigt hat. Damals gab es Statistiken, wann die Kirche endgültig tot sein würde – wie man sieht, ist das nicht eingetreten. Keiner hat damit gerechnet, dass es eine Corona- Pandemie geben würde, in der Menschen ins Nachdenken darüber kommen würden, was sie eigentlich trägt. Ich halte nichts davon, in Pessimismus zu verfallen: Wir sind in Situationen gestellt, die deutlich einfacher sind, als die, die Menschen im 30-jährigen Krieg oder der Reformationszeit erlebt haben. Mein Augenmerk liegt darauf, dass wir uns selbst vergewissern, was uns trägt. Und wenn das Menschen in unserem Umfeld wahrnehmen, die nicht an Gott glauben, dann werden sie sich fragen: Was macht uns so zukunftsfroh? Ich denke, wir müssen uns auf die Situation einstellen – aber gleichzeitig immer auch schauen, was wir jetzt tun können, um glaubwürdig unseren Glauben zu leben. Wenn das geschieht, ist mir weiterhin nicht um die Kirche bange.
Müssen Christen also fröhlicher durch die Straßen gehen?
Wir können ja gar nicht anders, als fröhlich zu sein: Selbst in Corona-Zeiten wissen wir doch, dass wir nicht tiefer fallen können, als in Gottes Hand. Paulus sagt: „Tod, wo ist Dein Stachel? Tod, wo ist Dein Sieg?“ Wenn uns selbst der Tod nicht schrecken muss, was soll uns dann verdrießlich machen?


Was sind Ihre Wünsche, Hoffnungen und Pläne für das erste Jahr im Sprengel Potsdam?
Wichtig ist mir, dass ich nicht mit einer Liste kommen, was alles gewuppt werden muss. Ich möchte erstmal hören, was hier an Problemen anliegt und was die Menschen bewegt. Da gibt es eine Menge Themen hier, wo ich erstmal nach den richtigen Antworten suchen will. Wir müssen uns ohne Schmerzen die Fragen stellen, die uns umtreiben. Im Sprengel Potsdam zum Beispiel: Wie gehen wir um mit den Kirchengebäuden, die auf uns gekommen sind? Sie sind eine große Lust und werden von vielen bewundert und sehr gerne angeschaut, werden von der Allgemeinheit aber nicht mehr als allgemeine Aufgabe angesehen, so wie damals, als noch das Gros der Gesellschaft der Kirche angehörte, und sich für die Gebäude verantwortlich fühlte. Und mir ist wichtig, dass ich schaue, ob wir einen „Back to the roots“-Effekt haben, nämlich dass wir schauen, welche Aufgaben sollten wir ehrenamtlich erledigen, und für was brauchen wir wirklich Hauptamtliche. Ist es wirklich nötig, dass wirklich alle Aufgaben, die bisher ein Pfarrer gemacht hat, auch weiter ein Pfarrer machen muss? Ich finde es sehr bemerkenswert, dass es hier im Sprengel Potsdam kollegiale Leitungen gibt, wo sich Menschen das Superintendentamt gabenorientiert teilen. 
Welche Rolle spielen ehrenamtliche Prediger, also Lektoren und Prädikanten, künftig?
Eine sehr große Rolle, vor allem mit dem Hinweis verbunden, dass ja jedes Gemeindeglied dazu aufgerufen ist, durch Wort und Tat seinen Glauben zu bekennen. Sie sind also keine Notnägel, wenn der Pfarrer mal nicht kann. Sie sind genauso wertvoll, und gelegentlich sogar überzeugender als der Pfarrer, weil sie viel mehr aus der Praxis ihres Lebens, ihres Alltags tun können, als Menschen, die nur mit Verkündigung beschäftigt sind. Wir müssen da auch etwas am Image tun: Lektoren sind keine Lückenfüller, sondern ein Ehrenamt. Auch in den ersten christlichen Gemeinden gab es ja nur ehrenamtliche Prediger. 
Und was steht für Sie persönlich nun als nächstes an?
Etwas ganz profanes, was auch viele Potsdamer in ihrem Alltag erleben. Ich suche noch eine Wohnung in der Stadt. Ich wohne im Moment noch in Berlin, obwohl für Pfarrer ja eine Residenzpflicht besteht. Zusammen mit meiner Familie spüre ich so die Wohnungsnot in Potsdam ganz am eigenen Leib – und merke, dass wir uns auch als Kirche bei diesem Thema engagieren sollten. 

Zur Person: Kristóf Bálint (55) ist seit Januar Generalsuperintendent von Potsdam. Bálint wurde in Budapest geboren und studierte in Jena Theologie. Anschließend war er in Thüringen zunächst Pfarrer, ab 2012 Superintendent des Kirchenkreises Frankenhausen-Sondershausen. Im September setzte sich Kristóf Bálint bei der Wahl für den neuen Generalsuperintendent des Sprengels Potsdam in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg- schlesische Oberlausitz durch. Er löst Heilgard Asmus ab, die zuvor zehn Jahre das Amt inne hatte. Zum Amtsbezirk gehören alle Kirchenkreise von der Prignitz und der Uckermark im Norden bis zum Fläming im Süden. Kristóf Bálint ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder, er lebt noch in Berlin.

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