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Interview mit CDU-Landeschef Ingo Senftleben: „Es geht um die ganze Regierung“

CDU-Landeschef Ingo Senftleben erklärt im PNN-Interview, warum nach dem Aus für die Kreisreform von Rot-Rot Neuwahlen in Brandenburg nötig sind – und warum Dietmar Woidke gescheitert ist

Herr Senftleben, schön, dass wir Sie am heiligen Sonntag erreichen. Haben Sie dieser Tage Kontakt zu Ministerpräsident Dietmar Woidke gehabt? Es ist in Krisenzeiten nicht unüblich, dass Regierungschefs Rücksprache mit Oppositionsführern halten.

Nein, Herr Woidke hat sich nicht bei mir gemeldet, auch nicht im Vorfeld der Absage der Kreisreform, was natürlich möglich gewesen wäre. Offenbar war das Chaos innerhalb der SPD und innerhalb der Regierung so groß, dass er genug beschäftigt war.

Schon in der Bibel geht es um Umkehr, um Reue, um die Einsicht, etwas falsch gemacht zu haben. Demnach hat der Ministerpräsident mit dem Stopp der Kreisreform doch etwas richtig gemacht.

Zuallererst muss man sagen, dass die Regierung Woidke gescheitert ist. Ich will daran erinnern, dass die Landesregierung den Brandenburgern seit drei Jahren erklärt hat, dass diese Reform dringend notwendig ist, um nun mit Halbwahrheiten und anderen Dingen aus ihrem selbst gesteckten Ziel auszusteigen. Aus meiner Sicht ist jetzt doch die Frage der Glaubwürdigkeit entscheidend. Wenn ich mir anschaue, was die Kollegen von SPD und Linke seit drei Jahren erzählen und was sie nun seit dem Ausstieg erklärt haben, dann muss doch jeder Brandenburger das Gefühl bekommen, dass nicht mit viel Ehrlichkeit gearbeitet wird.

Warum werfen Sie Rot-Rot Unehrlichkeit vor?

Jetzt so zu tun, dass man erst mit der Anhörung im Landtag zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die Reform nicht geht, obwohl wir und andere seit Jahren die Dinge kritisch angemerkt haben und das bei Rot-Rot keine Reflektion hervorgerufen hat, das ist eine unehrliche Vorgehensweise.

Für die Umkehr ist es doch nie zu spät.

Die Reform hätte so nicht stattfinden dürfen. Wir haben in all den Jahren darauf hingewiesen, dass wir gleichwertige Lebensbedingungen als Ziel haben müssen, dass wir die Regionen in Brandenburg mitnehmen müssen, wie sich Landkreise, Städte und Gemeinden aktiv in die Herausforderungen der Zukunft einbringen können und nicht das Gefühl vermittelt bekommen, einzelne Regionen haben keine Entwicklungschance und müssen deshalb zwangsfusioniert werden. Damit haben SPD und Linke in Brandenburg drei Jahre verschenkt. Ich habe die große Sorge, dass zwei weitere Jahre unter dieser Landesregierung verschenkt sein könnten, um dringende Veränderungen vorzunehmen.

Innenminister Karl-Heinz Schröter fühlt sich nach der Reformabsage – Zitat – „so medium“, sieht sich bei der Schuldfrage für das Scheitern in der ersten Reihe, will aber weitermachen und hat die Rückdeckung des Ministerpräsidenten. Wie kann der Innenminister nach all den Pannen noch die Reste der Reform anpacken?

Es geht nicht nur um den Innenminister, sondern um die ganze Regierung. Und die Regierung Woidke hat in den vergangenen drei Jahren Pfusch abgeliefert, nicht nur bei der Kreisreform, auch beim Flughafen BER, bei der Polizeireform, man kann die Liste unendlich fortführen. Deshalb ist eigentlich Aufräumarbeit angesagt, da muss endlich wieder vernünftige Politik gemacht werden. Ich glaube nicht, dass diese Regierung mit diesen Personen dazu in der Lage ist. Sind wir doch mal ehrlich: Wer einen Handwerker erlebt, der mehrfach Pfusch abgeliefert hat, wird diesem Handwerker keine neuen Aufträge mehr geben. Deshalb habe ich keinen Glauben daran, dass jemand wie Woidke, der als Minister und Regierungschef drei Reformen verpfuscht hat, Forstreform, Polizeireform, Kreisreform, dann beim vierten Anlauf riesigen Erfolg haben kann. Deshalb geht es nicht mehr nur um einzelne Personen, sondern um die Frage, ob die Regierung noch die Berechtigung hat, dieses Land zu regieren.

Immerhin scheint nach der Absage der Kreisreform mehr Zeit für andere wichtige Themen sein, die wegen der Reform liegen geblieben sind, wie Digitalisierung, Infrastruktur, mehr Geld für Straßen, bessere Zugverbindungen. Alles das, was auch die CDU in den vergangenen Jahren gefordert hat. Und statt der Kreisform soll es eine Verwaltungsreform geben – mit Entschuldung der kreisfreien Städte samt verpflichtenden Kooperationen mit den Landkreisen, aber auch die Aufgabenübertragung von Land auf Kreis auf Gemeinde. Auch das ist auf CDU-Linie. Was haben Sie dagegen?

Ja, die kommunale Zusammenarbeit soll neu geregelt werden. Aber selbst der Fraktionsvorsitzende der Linken, Ralf Christoffers, hat nun erklärt, dass das nicht binnen eines Jahres zu schaffen ist, sondern länger dauert. Wir haben aber nicht die Zeit, um so lange darauf zu warten, bis die Regierung fertig damit ist, sich Gedanken gemacht zu haben. Eine Regierung, die die Aufgaben nicht angeht, keine Lösungen aufzeigt, nicht bei guter Bildung, nicht bei gleichwertigen Lebensbedingungen für alle, nicht bei der Familienpolitik, der kann man nicht ernsthaft das Vertrauen schenken, dass sie in den kommenden Monaten die Aufgaben anpackt. Da fehlt es am Politikmanagement. Die Regierung hat allein das Glück, dass genügend Geld in der Landeskasse ist, das die Bürger, das Land, die Gemeinden gemeinsam verdient haben. Deshalb erwarten sie eine vernünftige Politik. Wenn die Regierung dazu in der Lage wäre, hätten wir eine andere Situation in Brandenburg. Man muss sich nur eines fragen: Mit welchem Projekt, dass Hoffnung auf Zukunft, das Freude auf Morgen macht, verbindet man Woidke? Mir fällt keines ein.

Sie haben bereits vor einigen Wochen erklärt, Sie seien für einen Neuanfang bei der Reform ohne Kreisneugliederung bereit, aber ohne Woidke. Sie halten offenbar daran fest, warum?

Die Zeit geht weiter. Ich erinnere mich daran, wie ungläubig viele vor einigen Wochen die Forderung der CDU nach Neuwahlen aufgenommen haben. Ich werde am Dienstag den Gremien, meiner Partei und der Landtagsfraktion vorschlagen, einen Antrag auf Auflösung des Landtags einzureichen, der im Landtag in der nächsten Woche behandelt wird. Wir fordern jetzt, dass wir den Wählern eine Chance geben, das Wort zu erhalten, um, wie bei der Ablehnung der Kreisreform, was übrigens ein großer Erfolg der Bürger, also der Brandenburger Wähler ist, zu entscheiden, welche Politik sie in den nächsten Jahren wollen und welche Parteien Verantwortung tragen sollen.

Die nötigen Mehrheiten haben Sie nicht im Landtag. Wie soll das gehen mit dem Antrag auf Auflösung des Parlaments und Neuwahlen?

Wir können doch nicht, nur weil SPD und Linke an ihrer Macht kleben, eigene Vorschläge nicht einbringen. Warten wir die nächsten Tage und Wochen ab. In der SPD ist so viel Unruhe, niemand weiß, was dort in den nächsten Tagen noch passiert. Geben wir dem Land, den Wählern und der Politik die Chance, das ehrlich aufzuarbeiten. Wir machen mit der Auflösung des Landtags den Weg frei für eine Landtagswahl Anfang 2018 und sagen den Wählern, mit welchem Konzept das Land gestaltet werden soll, fragen den Brandenburger, welche Partei er wie stark im Landtag vertreten wissen möchten. Ich habe die Hoffnung, dass auch in der SPD und der Linken noch genügend Politiker sind, die noch Kontakt zu den Bürgern und Menschen haben und wissen, dass Neuwahlen jetzt der ehrliche und der gescheiteste Weg sind.

Nicht wenige in der Landespolitik – insbesondere bei Rot-Rot, aber auch bei den Grünen – warnen vor Neuwahlen, aus Furcht vor einem Erstarken der AfD im Landtag. Teilen Sie diese Sorge etwa nicht?

Wenn ich Sorgen habe vor einer Partei oder Angst vor dem Wähler, dann bin ich in der Demokratie falsch. Ich erinnere daran, dass vor drei Wochen, nachdem es schon Anfang Oktober Gespräche mit Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig und Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs als Spitzen der Kommunalverbände über den Reformstopp gab, in der Landtagsfraktion der SPD gesagt wurde, um die Leute auf Linie zu bringen: Scheitert die Reform, scheitert die Regierung, dann gibt es Neuwahlen. Wir können aber nicht aus Sorge vor Wählerentscheidungen die richtigen Konsequenzen auslassen. Das würde erst recht dazu führen, dass sich die Wähler von der Politik in Gänze distanzieren. Ich sage es noch einmal: Wenn eine Regierung mit ihrem Leuchtturmprojekt gescheitert ist, kann sie nicht einfach so weiterwursteln. Deshalb müssen wir ein Stoppzeichen setzen, deshalb stellen wir den Antrag auf Auflösung des Landtags und Neuwahlen.

Sollte es so kommen, mit welchen Inhalten treten Sie an?

Wir haben als CDU unsere Arbeit gemacht und gute Vorschläge vorgelegt. Es geht um die Heimat und die Frage des guten Lebens in Stadt und Land, in der Nähe zu Berlin und den ländlichen Regionen. Für mich geht es um gute Bildung, so dass jeder seinen Erfolg persönlich erreichen kann. Es geht um die Lebenschancen in den kleinen Dörfern, in den Städten. Es geht um die gute ärztliche Versorgung, darum, dass genügend Busse und Züge fahren, um den Menschen eine gute Anbindung zu ermöglichen. Wir wollen, dass die Kommunen stärker werden und mehr selbst entscheiden können, dass sie nicht durch den Landesentwicklungsplan gegängelt werden. Und die neue Bundesregierung – ich hoffe, dass Jamaika kommt – wird einen Schwerpunkt auf Familien setzen. Das möchte ich durch eine Brandenburger Familienpolitik unterstützen. Damit Familien aller Art ein Zuhause finden in Brandenburg, damit Kinder behütet aufwachsen können und Chancen haben. Ich möchte, dass es Freude und Hoffnung für die Zukunft gibt. Dass jeder durch die Digitalisierung im Leben neue Chancen aufgreifen kann. Diese Themen haben wir angepackt und sind als CDU gut vorbereitet.

Mit Ihren Vorschlägen sind Sie bisher nicht durchgedrungen im Landtag. Nun besetzt Rot-Rot, auch auf Druck der Opposition, Ihre Themen, wie bei der Digitalisierung, beim Verkehr. Ihre Aufgabe als Opposition haben Sie doch erfüllt. Warum Wahlen?

Es kann immer sein, dass die Regierung durch das Klauen der Themen der Opposition für sich selbst versucht, Erfolge zu verbuchen. Aber die Bürger im Land lassen sich nicht mehr überzeugen, dass sie plötzlich mal mit 250 Millionen Euro das große Glück versprochen bekommen. Die Menschen haben eine längere Erinnerung, als sich mancher wünscht: Wer hat was gesagt, was gemacht. Demokratie ist doch der Wettbewerb um die besten Ideen. Wer bisher SPD gewählt hat, um dann festzustellen, dass die CDU die besseren Ideen hat, der wird merken, dass die SPD nicht mehr erfolgversprechend ist.

Den Initiatoren von Volksinitiative und Volksbegehren gegen die Kreisreform, also auch der CDU, wurde vor der Absage und danach vorgehalten, Emotionen, Ängste gegen geschürt zu haben. Was halten Sie davon, ziehen Sie sich den Schuh an?

Wenn Politik keine Emotionen wecken darf, dann wäre das traurig. Ich finde, der Vorwurf geht ins Leere. Die Regierung hat ihr Leuchtturmprojekt an die Wand gefahren und hatte keine vernünftigen Argumente, warum man die Reform machen sollte. Ministerpräsident Woidke hat die Reform laufen lassen, sich lange abseits gestellt. Wer sagt, 130 000 Bürger, die die Volksinitiative unterschrieben haben, hätten sich von Emotionen leiten lassen, der muss sich die Frage stellen, was er falsch gemacht hat. CDU, FDP und Freie Wähler haben sich auf ein Gesetz berufen, auf das Volksabstimmungsgesetz. Wenn wir und die Bürger uns nicht einmal mehr dieser Gesetze bedienen dürfen, uns vorgeworfen wird, mit falschen Argumente und Emotionen gespielt zu haben, dann ist das ein Grund mehr zu sagen: Die SPD hat es verdient, endlich nicht mehr die Regierung zu stellen.

Dass Reformbedarf besteht, ist jedoch unbestritten. Was wollen Sie tun?

Wir haben in Prenzlau bereits vor anderthalb Jahren ein Modell vorgeschlagen, das Kooperationen statt Zwangsfusionen vorsieht. Auf mehr als 30 Seiten haben wir dargelegt, wo Bedarf besteht, wo wir Kommunen mitnehmen wollen. Wir haben mit dem Papier in Brandenburg viel Zuspruch erhalten. Wir werden mit den Kommunen gemeinsam überlegen, welche Dinge weiterentwickelt werden müssen. Es geht um Bürgernähe, nicht um Zentralisierung. Es geht um Strukturen vor Ort, die sich um die Bürger kümmern können. Es darf keine langen Anfahrtswege geben, denn die Menschen müssen weitaus häufiger zum Landratsamt, als uns der Innenminister weismachen will. In vielen Politikbereichen haben wir als CDU vorgelegt, wo wir uns Veränderungen wünschen, nicht im Dissens, sondern im Konsens mit den Kommunen. Das ist der Unterschied zu Woidke. Seine Regierung hat die Konfrontation gesucht, hat die Emotionen geschürt, die die Bürger zur Unterschrift gegen die Kreisreform getrieben haben.

Eine abschließende Frage, die schon bei der Landtagswahl 2014 eine Rolle gespielt hat, bei Neuwahlen aber erst recht. Würden Sie mit der AfD koalieren, sollte die CDU bei Neuwahlen stärkste Kraft werden?

Wir als CDU werden mit dieser AfD nicht in eine Koalition einsteigen. Das ist aber auch nicht das Thema. Uns geht es um die Frage, dass SPD und Linke abgewählt werden müssen. Dafür, dass vernünftig Politik gemacht wird, stehen wir als CDU ein.

Das Interview führte Alexander Fröhlich

Ingo Senftleben, 43, verheiratet, drei Kinder, ist seit 2014 Vorsitzender der CDU-Fraktion im Landtag Brandenburg und seit 2015 Landesvorsitzender seiner Partei.

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