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Julia Schmidt, Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg.

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Interview | Brandenburgs Grünen-Chefin Julia Schmidt: „Wir werden manches streichen müssen“

Grünen-Landeschefin Julia Schmidt über Kenia, das Klima in der Coronakrise und den Verfassungschutz

Frau Schmidt, seit gut einem halben Jahr regiert Kenia in Brandenburg. Wo steht die Koalition aus Ihrer Sicht heute?
Wir sind mit dem Willen, etwas zu verändern und mit viel Gestaltungswillen gestartet. Und das haben wir in den ersten 100 Tagen der Koalition auch gezeigt. Heute haben sich die Bedingungen aber komplett verändert. Nach der Coronakrise sind wir in einer ganz anderen finanziellen Situation. Das ändert einiges. Der Gestaltungswille ist noch da, aber mit den neuen Rahmenbedingungen müssen wir umgehen.

Was heißt das konkret?
Für uns alle ist das im Moment ein schmerzhafter Prozess. Wir Bündnisgrüne sind mit ganz, ganz vielen Ideen gestartet. Von manchen müssen wir nun abrücken, weil klar ist: Es wird enger. Wir werden manches von unseren Plänen streichen müssen. 

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Und wo wird die Koalition da ansetzen?
Um das konkret zu sagen, ist es noch zu früh. Wir haben auf der Bundesebene ja noch das Konjunkturpaket mit der Mehrwertsteuerabsenkung, die auch Folgen für die Länder haben kann. Wir stehen da noch ganz am Anfang, der Finanzrahmen ist noch nicht klar. Was wir aber auf jeden Fall nicht streichen wollen, ist der Umwelt- und Klimaschutz. Hier darf nicht gespart werden.

Eines Ihrer Themen in den Koalitionsverhandlungen war auch der Pakt für Pflege. Immerhin 30 Millionen Euro pro Jahr hatten Sie dafür vorgesehen...
Der Pakt für Pflege ist eines der zentralen Projekte, wofür wir uns massiv einsetzen werden. Zu Beginn der Coronakrise standen die Menschen auf den Balkonen und haben für das Pflegepersonal geklatscht. Wir haben gemerkt, wo die Schwachstellen im Bereich Pflege liegen. Deswegen werden wir für den Pflegepakt kämpfen, genauso wie für die Krankenhausfinanzierung. Denn wie enorm wichtig diese Berufe sind, hat uns die Coronakrise nochmal deutlich gezeigt. 

Ein eher dezentrales Projekt aus dem Koalitionsvertrag sind die geplanten Regionalbeauftragten. Viele Brandenburger wissen immer noch nicht, wofür die gut sein sollen – kommen diese neuen Stellen wirklich?
Wie gesagt, wir stehen noch am Anfang der Verhandlungen zu den Einsparungen. Wir wissen nicht, über welche Summen wir am Ende reden. An welchen konkreten Projekten gespart werden muss, darüber unterhalten wir uns in der Koalition erst noch.

Wie ist denn eigentlich das Klima in der Koalition in diesen Tagen?
Man merkt, dass die Stimmung angespannter ist. Der Druck ist enorm. In der Corona-Zeit mussten viele Entscheidungen trotz dünner Faktenlage getroffen werden. Die Einschränkungen griffen zum Teil tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Aber: Wir haben eine Krise, wie sie Brandenburg noch nicht erlebt hat, zusammen gestemmt. Seit dieser Woche können wir zum Glück wieder lockern. Es bleibt keine leichte Situation. Ich denke aber, dass wir als Grüne – allen voran unsere Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher – Verantwortung übernehmen können. Wir haben als Koalition an den entscheidenden Punkten der Krise immer zusammengestanden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir daran anknüpfen können. 

Was sind die nächsten Projekte, die Sie als Grüne angehen wollen? 
Wir stellen jetzt die Querschnittsaufgabe Klimaschutz und den Schutz der Umwelt ganz nach vorne. Die Artenvielfalt ist auch in Brandenburg bedroht, wir haben ein Wasserproblem, der Waldumbau muss vorankommen, genauso wie der Ausbau der Ökolandwirtschaft. Das wollen wir auf finanziell solide Füße stellen. Da reden wir auch über Kofinanzierungen, weil wir für jeden vom Land eingesetzten Euro zwei oder drei Euro vom Bund oder der EU bekommen. Genauso wichtig sind uns die Förderung des Radverkehrs und des ÖPNV. Außerdem wollen wir das tolerante Brandenburg weiter stärken. Darüber reden wir in der Koalition. 

Wann wird denn das Land Klarheit darüber haben, was es sich noch leisten kann? 
Im September haben wir den nächsten Koalitionsausschuss geplant. Spätestens dann wissen wir mehr.

Ihre Partei legt bekanntlich sehr viel Wert auf Basisarbeit. Hat Corona das eigentlich verändert?
Es war eine große Umstellung, doch wir haben unser Parteileben in kürzester Zeit weitestgehend digitalisiert. Die Landesarbeitsgemeinschaften, die regelmäßig physisch tagen, haben wir sehr schnell auf Videokonferenzen verlagert. Als Partei haben wir die nötige Software dazu zur Verfügung gestellt. Wir haben in der Partei natürlich sehr viel diskutiert, weil wir uns plötzlich zu Dingen positionieren mussten, über die vorher bei uns kaum nachgedacht wurde. Wir konnten die Parteibasis aber alles in allem gut mitnehmen. 

Und wie sieht es künftig aus? Wie digital bleibt die Partei?
Ich glaube schon, dass das Digitale für unsere Partei belebend war. Wir werden einiges davon behalten können und voraussichtlich wechselseitig physisch und digital tagen, oder Mischformate weiterentwickeln. Das ist ja auch eine schöne Möglichkeit für den ländlichen Raum und die weiter entfernten Regionen.

War denn der ländliche Raum immer problemlos in Videokonferenzen dabei?
Corona hat sehr schonungslos die Schwächen im System gezeigt. Sowohl im Gesundheitsbereich als auch bei der Digitalisierung. Wir haben noch ganz viel Nachholbedarf. Dass jedes Dorf ausreichend schnelles Internet für Videokonferenzen hat, ist in Brandenburg noch nicht der Fall. Wir sehen auch im Bildungsbereich, wo die Lücken sind: Viele Lehrerinnen und Lehrer mussten sich sehr ad hoc selbst digitalisieren. Da war dann viel dabei, was nicht so gut geklappt hat, aber es waren auch gute Ansätze darunter.

Ist es denn richtig, dass die Datenschutzbeauftragte nun gegen die Lehrer vorgeht?
Der Datenschutz ist immer ein wichtiges Thema. Auf dem Höhepunkt der Krise, wo viele Lösungen ad hoc gefunden werden mussten, waren manche Dinge nicht datenschutzkonform. Zu diesem Zeitpunkt war es zunächst einmal wichtig, dass die Dinge funktioniert haben und der Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern überhaupt gehalten werden konnte. Jetzt, wo wir die guten Ansätze auch langfristig auf sichere Füße stellen wollen, muss die Digitalisierung an den Schulen aber natürlich auch datenschutzkonform ausgestaltet werden. 

Am Montag hat der Verfassungsschutz bekanntgegeben, dass die AfD beobachtet wird. Wie gehen Sie damit um?
Das ist eine absolut folgerichtige Entscheidung. Wir merken schon seit Jahren, dass die AfD eine rechtsextreme Partei ist, wo Menschenfeindlichkeit und Rassismus zur Kernidentität der Partei gehören. Deswegen ist es logisch, dass die Partei beobachtet wird. 

Im NSU-Untersuchungsausschuss sahen die Grünen den Verfassungsschutz noch durchaus kritisch...
Das gilt auch weiterhin, unabhängig von der Entscheidung zur Beobachtung der AfD. Wir sehen zum Beispiel den Einsatz von V-Leuten kritisch, weil dadurch extremistische Strukturen gestärkt werden können. Bei uns gibt es zudem die Frage, wie der Verfassungsschutz einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle unterliegen kann. Wir wollen eine grundlegende Überprüfung und Reform des Verfassungsschutzes in Richtung einer wissenschaftlichen Institution. 

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