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Anja Schellhorn

© Ottmar Winter

Interview | Brandenburgische Ingenieurkammer: „Viele kleine Ingenieurbüros werden zumachen“

Anja Schellhorn, die erste Geschäftsführerin der Brandenburgischen Ingenieurkammer mit Sitz in Potsdam, über Nachwuchsprobleme, Social Media und Frauen im Ingenieurwesen.

Frau Schellhorn, die Brandenburgische Ingenieurkammer (BBIK) begeht am Dienstag ihr 25. Jubiläum – gibt es Grund zu feiern? Wie geht es den Ingenieuren in Brandenburg?
Es gibt zwei Seiten der Medaille: Der Branche geht es gut, die Auftragslage ist hervorragend. Auf der anderen Seite höre ich ganz oft von unseren Mitgliedern, dass sie viel mehr Aufträge annehmen könnten, aber es fehlt das Personal. Viele unserer Mitglieder werden in naher Zukunft in Rente gehen, und das heißt, dass viele kleine Ingenieurbüros zumachen werden. Das wäre schlecht für Brandenburg, vor allem wegen dem Wissensverlust. Egal, wo etwas gebaut oder geplant wird, das Wissen hängt an vielen einzelnen Ingenieuren. Das gilt zum Beispiel für Bereiche wie Brückenbau, aber auch für Windkraft oder Brennstoffzellen. Wenn die Tesla-Fabrik kommt, wird die regionale Ingenieurexpertise dort mit Sicherheit auch gebraucht werden. Deshalb ist das Thema Unternehmensnachfolge ein ganz großes Ziel, an das ich nächstes Jahr ran möchte.

Seit August sind Sie die Geschäftsführerin der Kammer, ihr Vorgänger Martin Wulff-Woesten ist nach 13 Jahren in den Ruhestand gegangen. Sie sind keine Ingenieurin – wie kamen Sie auf die Branche?
Das stimmt, ich bin diplomierte Verwaltungswissenschaftlerin. Allerdings besteht meine ganze Familie aus Ingenieurinnen und Ingenieuren, also habe ich mich in der Materie sofort heimisch gefühlt. Ich habe vorher zehn Jahre in der Personalabteilung bei der Agentur für Arbeit in Potsdam gearbeitet und mich dort um den Nachwuchs gekümmert. Ich wollte mich verändern und fand die Arbeit hier spannend. Es war mir auch wichtig, mich beruflich in Brandenburg anzusiedeln: Ich fühle mich sehr als Brandenburgerin und es fühlt sich toll an, mit dieser Tätigkeit etwas für die Region tun zu können.

Sie sind die erste Frau in dieser Position bei der BBIK. Ist das noch etwas Besonders? Immerhin sind 70 bis 80 Prozent der Studierenden von Ingenieurfächern männlich.
Jein. Für mich ist es ganz natürlich, dass Frauen auf so eine Position kommen – es kommt nicht auf das Geschlecht an, sondern darauf, den richtigen Kopf an der richtigen Stelle zu haben. Aber ich weiß, dass es in dieser Branche durchaus noch etwas Besonderes ist, und bin dem Vorstand dankbar für das Vertrauen, dass er mir entgegenbringt. Ich empfinde das als ein Geschenk, denn natürlich hat es eine gewisse Symbolwirkung, wenn eine Frau Geschäftsführerin der Kammer wird. Ich habe selbst eine Tochter und finde es ganz wichtig, ihr vorzuleben, dass jedes Mädchen das machen kann, worin es gut ist. Es ist mir auch ein Anliegen, dass die Kammer mehr Mädchen für Ingenieurberufe begeistert. Wir machen das auch schon mit unserem Schülerwettbewerb Junior.ING oder der Veranstaltungsreihe Ingenieure treffen Schule.

Haben Ingenieurwissenschaften ein Imageproblem?
Es ist noch ganz oft in den Köpfen drin, dass Jungen besser in MINT-Fächern sind, also Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Man muss zeitig damit anfangen, Mädchen die Angst davor zu nehmen, das muss auch von den Elternhäusern begleitet und kommuniziert werden.

Wie wollen Sie den Nachwuchs – männlich wie weiblich – für den Ingenieurberuf begeistern?
Ich möchte auf jeden Fall mehr in Öffentlichkeitsarbeit investieren. Die Kammer hat derzeit die Webseite und den gedruckten Kammer-Report. Wir müssen aber auch auf Social-Media-Kanälen aktiv werden, um mehr junge Menschen zu erreichen. Wir haben im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Fachhochschule Potsdam zwei neue Ingenieurstudiengänge konzipiert, Infrastruktursysteme und Siedlungswasserwirtschaft. Beide sind dual, also praxisorientiert, und sollen dadurch Ängste vor der Ausbildung nehmen.

Wo werden in Potsdam Ingenieure gebraucht?
Das ist ganz vielfältig, aber natürlich sind Ingenieurinnen und Ingenieure überall da gefragt, wo etwas gebaut wird. Der Bauboom hält weiter an, ich sehe derzeit noch kein Abflauen. Ein anderer Trend ist, dass der öffentliche Dienst vermehrt Ingenieurinnen und Ingenieure einstellt. Im öffentlichen Sektor funktioniert ja alles über Vergabeverfahren, daher haben Behörden gerne das Fachwissen in ihren eigenen Reihen, um die Angebote besser beurteilen zu können.

Welche Ziele haben Sie noch für die BBIK?
Viele Mitglieder der Kammer sind aus der Baubranche, aber wir sind offen für alle Berufszweige innerhalb des Ingenieurwesens, zum Beispiel die Bereiche Digitalisierung, Erneuerbare Energien oder Maschinenbau. Die mehr bei uns reinzuholen wäre ein kleiner Wunsch von mir, Bauen muss nicht unser einziges Thema sein. Viele verschiedene Experten unter einem Dach zu haben, wäre eine Chance, dass sich unsere Mitglieder untereinander mehr vernetzen und austauschen. Und desto mehr können wir diese Themen auch gesellschaftlich bewegen: Wenn wir breit aufgestellt sind, können wir in Zukunft auch von der Politik viel mehr als direkter Ansprechpartner wahrgenommen werden.

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