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Der evangelische Bischof Christian Stäblein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Interview | Bischof Christian Stäblein: „Der Schutz des Nächsten ist Urgebot“

Der evangelische Landesbischof Christian Stäblein über Kirche in Corona-Zeiten und den Unterschied zwischen Gottesdiensten und Kulturveranstaltungen.

Bischof Stäblein, warum dürfen die Kirchen mitten in der Corona-Zeit weiter Gottesdienst feiern?

Weil es für unsere Gesellschaft wichtig ist, dass wir einen offenen Raum haben für Trost, Klage und alles, was zum religiösen Ausdruck dazugehört. Mir ist es wichtig, dass die Kirchen geöffnet sind, und wir all das, was uns bewegt, vor Gott bringen können.

Aber muss man deswegen Gottesdienste als Präsenzveranstaltungen feiern?

Wir haben ja im letzten Lockdown viele Möglichkeiten erlebt, wie man Gottesdienste feiern kann: Rein digital oder als Hybridveranstaltungen. Ich bin froh, dass wir da viel entwickelt haben, was wir weiter nutzen und wir nicht mehr missen möchten. Gleichzeitig ist es so, dass leibliche Präsenz, unmittelbare Anwesenheit und Gegenwart ihren eigenen Charakter haben. Es macht guten Sinn, das, was bei allen Schutzmaßnahmen weiter möglich ist, dann auch real zu feiern.

Was unterscheidet einen Gottesdienst von einem Konzert oder einer Kulturveranstaltung?

Es ist mir wichtig zu sagen: Wir fühlen uns als Kirche sehr verbunden mit der Kultur und mit den kulturellen Veranstaltungen. Wir sind solidarisch mit allen, die jetzt vom Lockdown betroffen sind – in vielen Fällen sind es ja unsere engsten Partner, mit denen wir schon immer zusammengearbeitet haben. Es ist ja so: Kirche und Kultur gehören aufs engste zusammen, sind vielfältig ineinander verwoben. Ein Gottesdienst hat allerdings naturgemäß eine ganz eigene Aufgabe, ist ja etwas anderes. Er ist der religiöse Ausdruck von existentiellen Dingen, von Hoffnung, von Klage, von Trauer – so, wie das etwa bei Gottesdiensten zur Trauer um Corona-Tote der Fall ist.

Wie gehen Sie damit um, dass Demonstranten in München eine Demo kurzerhand zum Gottesdienst erklärt haben?

Bei einem Gottesdienst versammeln sich Christinnen und Christen zum gemeinsamen Gebet und um auf das Evangelium zu hören. Sie loben, danken und klagen gemeinsam. Genau deswegen kommen sie zusammen, nicht aus anderen Gründen. Man kann nicht einfach alles Mögliche unter die Überschrift „Gottesdienst“ packen, indem man vorne ein Gebet und hinten einen Segen spricht. Das ist aus meiner Sicht ein Missbrauch des Gottesdienstes.

Aber besteht nicht auch die Gefahr, dass das jetzt in den Kirchengemeinden geschieht? Dass ein Konzert mal eben zum Gottesdienst erklärt wird, damit es stattfinden kann?

Wir sind als Kirche gut beraten, dass wir das, wofür wir in besonderer Weise da sind, auch tun – also Seelsorge und Gottesdienste. Dabei stellen wir uns immer wieder die Frage, ob wir alles, was wir tun dürfen, auch bis an die Grenzen ausloten müssen. Vorne weg steht das Gebot der Nächstenliebe, das in der Pandemie immer wieder heißt: die Menschen davor zu schützen, sich anzustecken. Das gilt auch für Gottesdienste – deswegen führen wir in jedem Gottesdienst Anwesenheitslisten, sitzen mit Abstand, tragen Masken und desinfizieren die Hände. Wir müssen hier einfach in einer guten Balance Maß und Mitte halten.

Wird in den Gottesdiensten der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz derzeit eigentlich gesungen?

Wir halten uns auch hier streng an die geltenden Hygienevorschriften, also an die Einsichten, wie die Pandemie eingedämmt werden kann. Eben weil es so wichtig ist, meinen Nächsten zu schützen. Gerade das Singen birgt ein besonderes Infektionsrisiko in sich, das haben wir lernen müssen. Deswegen wird, wo es erlaubt ist, in der Gemeinde derzeit nur mit Maske gesungen. Chöre können derzeit nicht auftreten, nur ganz kleine Ensembles zur liturgischen Unterstützung, und dann mit entsprechendem Abstand, der Raum muss gut lüftbar sein. Das Singen gehört zur Urpraxis der Religionsausübung dazu, es schmerzt, dass wir das im Moment nur so eingeschränkt können – der Schutz des Nächsten ist aber auch Urgebot aller Religion. Und der wiegt im Moment einfach stärker.

Was kann denn die Kirche derzeit für die Kultur tun?

Zunächst einmal können wir laut und deutlich unsere Solidarität mit den Kulturschaffenden zum Ausdruck bringen. Und wir können etwas gemeinsam im Gottesdienst machen – wenn Musiker dort auftreten, beispielsweise. Dabei wollen wir jetzt nicht einfach Konzerte als Gottesdienst verbrämen: Es braucht Maß, Mitte und Balance im Umgang miteinander. Noch mal: Als Kirche sind wir in großer Sorge um die Existenz der Künstlerinnen und Künstler und vieler, kleiner Kultureinrichtungen. Viele Kirchengemeinden haben enge, gewachsene Beziehungen zu Kultureinrichtungen, etwa, weil Chöre, Theatergruppen oder Musikensembles in ihren Räumen proben und Künstler hier Ausstellungen machen. Diese Beziehungen sind jetzt stark und wichtig, wir wollen zur Seite stehen, Mut machen, die Stimme erheben. Unsere Kulturstiftung St. Matthäus hat schon vor Monaten für das Hingucken auf die existenziellen Nöte der Künstler geworben. Das geht uns alle an. 

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Und was ist eigentlich mit dem Abendmahl?

Es gibt verschiedene Formen, in denen es auch heute schon in angemessener Weise praktiziert werden kann – etwa, in dem man nur das Brot zu sich nimmt. Ich selbst habe nun schon ein längeres Abendmahlsfasten hinter mir. Ich glaube, dass wir gut daran tun, hier im Dienst des Nächsten Zurückhaltung zu zeigen. 

Zur Person

Christian Stäblein, 53, wuchs in Hannover auf und ist seit November 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Der Theologe hat vier Kinder.

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