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Bis hierhin und nicht weiter. Jedenfalls vorläufig nicht, denn überraschend muss das Bodenpersonal des Flughafens Tegel dort nun doch noch einige Monate länger Maschinen abfertigen. Und auch die Anwohner von Spandau bis Pankow haben den Krach in der Luft noch einen Sommer mehr zu ertragen.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Brandenburg: „Imageschaden für Brandenburg“

Entsetzen, Hohn und Spott über die geplatzte Eröffnung des Hauptstadtflughafens in Schönefeld

IHK POTSDAM]Potsdam - Entsetzen, Enttäuschung, aber auch Hohn und Spott. Und die Opposition im Brandenburger Landtag stellt offen die Schuldfrage, ob Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und seine rot-rote Landesregierung eine Mitverantwortung für das Debakel um die geplatzte Eröffnung des Schönefelder Willy- Brandt-Flughafens trägt, die nun Brandenburg in und außerhalb der Politik erschüttert und am Dienstagvormittag die gemeinsame Sitzung der Landesregierungen von Berlin und Brandenburg in der Potsdamer Staatskanzlei im Grunde sprengte. Nun wird der Ruf nach Ursachen und Konseqenzen in den nächsten Tagen lauter werden. Am heutigen Mittwoch soll der Flop Thema im Wirtschaftsausschuss, am Donnerstag im Infrastrukturausschuss des Parlamentes sein. Eine für den heutigen Mittwochmorgen geplante Regierungs-Pressekonferenz von Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) und Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD), die über EU-Strukturfonds informieren wollten, aber beide auch mit dem Airport-Projekt befasst sind, wurde kurzfristig abgeblasen. Begründung: „Terminliche Gründe“.

Dafür will die CDU-Opposition klären lassen, wie Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) seine Rolle als Vize-Aufsichtsratschef im Flughafen wahrgenommen hat, was er wann über die drohende Verzögerung wusste. CDU-Oppositionsführerin Saskia Ludwig sprach von einem „großen Imageschaden für Brandenburg“, vom traurigen „Höhepunkt in der Pleiten-, Pech- und Pannenreihe“, die Platzeck zu verantworten habe. Ludwig erinnerte daran, dass die Opposition immer wieder Hinweise auf Probleme am Flughafen gegeben habe. „Die Verschiebung der Eröffnung des Hauptstadtflughafens ist ein Debakel“, sagte Gregor Beyer, Landeschef der Brandenburger FDP. Dies sei „ganz offensichtlich auf Fehler im Management und auf Schlamperei im Aufsichtsrat zurückzuführen.“ Die Grünen forderten den Rücktritt des BER-Aufsichtsrates, in dem Berlins Regierender Klaus Wowereit (SPD) Vorsitzender und Platzeck Stellvertreter ist. Für Brandenburg sind im Gremium Christoffers und Finanzminister Helmuth Markov (Linke) vertreten.

„Die angekündigte Eröffnung ist nun schon zum zweiten Mal geplatzt“, erinnerte Grünen-Fraktionschef Axel Vogel. Zu den jetzt bekannt gewordenen Defiziten beim Brandschutz kämen „die Versäumnisse der Flughafengesellschaft bei der Umsetzung der Lärmschutzmaßnahmen, von denen erst fünf Prozent umgesetzt sind“. Vogel warf der für die Projektsteuerung verantwortlichen Flughafengesellschaft Missmanagement und dem sie kontrollierenden Aufsichtsrat aus Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg Versagen vor. Der Aufsichtsrat trage die Verantwortung für das Desaster. „Wowereit und Platzeck müssen Platz für neue Aufsichtsratsmitglieder machen, die ihren Kontrollpflichten sachgerecht nachkommen.“

Die SPD-Landtagsfraktion warnte die Kritiker aber vor Besserwisserei. Innerhalb des Potsdamer Kabinetts ist die Enttäuschung, Entrüstung, aber auch die Empörung über die Flughafenführung dennoch groß. Am Montagabend war Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) über die neueste Wendung informiert worden. Er setzte in der Nacht die Brandenburger Aufsichtsratsmitglieder, am Dienstagmorgen in einer separaten Sitzung des Brandenburger Kabinetts vor der gemeinsamen Sitzung mit Berlin die Regierungsmannschaft in Kenntnis. Offiziell äußert man Verständnis über die Entscheidung des Flughafens. „Sicherheit muss Vorrang haben“, sagte Verkehrsminister Jörg Vogelsänger (SPD) den PNN. Nun müsse es darum gehen, „alle Defizite schnell auszuräumen“. Die Verschiebung sei „mehr als bedauerlich“, betonte Vize-Regierungschef und Finanzminister Helmuth Markov. Beim Brandschutz dürfe es, wie das Düsseldorfer Drama von 1996 mit 17 Toten und 88 Verletzten gezeigt habe, keinerlei Nachlässigkeiten geben. Markov betonte, dass bei der Aufsichsratssitzung vor zwei Wochen in Schönefeld zwar Probleme besprochen, die Dramatik aber noch nicht bekannt gewesen sei. „Man konnte noch hoffen, dass man die technischen Probleme mit zusätzlichen Mitteln in den Griff bekommt.“ Zurückhaltend äußerte sich Markov zur sich aufdrängenden Frage, ob nun auf die Länder Berlin, Brandenburg und den Bund als öffentlichen Eigentümer neue Zusatzbelastungen in Millionenhöhe zurollen. Noch sei die Kreditlinie nicht ganz ausgeschöpft, es sei zu früh, „die Frage stellt sich noch nicht“, sagte Markov.

Führende brandenburgische Wirtschaftsvertreter gehen von einem erheblichen Imageschaden für die Region aus. „Das ist eine sehr, sehr peinliche Situation“, sagte der Präsident der Industrie- und Handelskammer Potsdam, Victor Stimming. Jetzt müsse alle Kraft darauf konzentriert werden, die Verschiebung so kurz wie möglich zu halten. Die Kammern befürchten durch die verzögerte Airport-Eröffnung insbesondere für Hotels und Dienstleistungsbetriebe einen wirtschaftlichen Schaden. Die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB) fand es richtig, dass die erforderlichen Sicherheitsaspekte Vorrang hätten. UVB-Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck sagte, jetzt müsse mit Hochdruck an einer Lösung der technischen Probleme gearbeitet wird. Die Folgen seien noch nicht absehbar. Amsinck betonte die „überragende Bedeutung des Flughafens BER als Motor für Wachstum und Beschäftigung“ in der Region.

Anti-Flughafen-Bürgerinititativen der Region sehen sich durch die neue Entwicklung in ihren eigenen Erfahrungen mit dem Flughafen sowie seiner Geschäfts- und Kommunikationspolitik bestätigt. Man sehe, dass „die bisherigen Warnungen zur Vakanz des Zeitpunktes der Inbetriebnahme des Flughafens Berlin Brandenburg nicht unberechtigt waren“, erklärte etwa der Bürgerverein Berlin-Brandenburg (BVBB). Für den BVVB zeigen die Aussagen von Flughafenchef Rainer Schwarz zum Krisenmanagement einmal mehr, wie starr, wie unzeitgemäß der neue Zentralflughafen in Schönefeld ist, wie flexibel dagegen das aktuelle Flughafensystem mit Tegel und dem bisherigen Flughafen Schönefeld.

Schwarz hatte auf der Presskonferenz erklärt, dass die am BER geplanten Verkehrszunahmen problemlos an den bestehenden Flughäfen abgefertig werden können. Erst am Wochenende hatte Schwarz für Furore gesorgt, dass der neue Flughafen schon kurz nach Eröffnung aus den Nähten platze und in den Abfertigungskapazitäten erweitert werden müsse. „Wofür dann aber der neue Flughafen?“, fragte BVVB-Sprecher Kristian Peter-Stange. Noch bemerkenswerter aber sei, „dass sich die beiden Regierungschefs angeblich um die Sicherheit der Fluggäste sorgen, die Gesundheitsfragen der Flughafennachbarn aber unerwähnt bleiben. Dass 90 Prozent der Anwohner zum Zeitpunkt des geplanten Eröffnungstermins ohne Schallschutz gewesen wären, lässt sie kalt.“

Wirklich überraschend kam die Nachricht von der geplatzten Eröffnung für Matthias Schubert, den Sprecher des Aktionsbündnisses Berlin-Brandenburg, nicht: „Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass es erst so knapp vor der Eröffnung zugegeben wird“, sagte er. Offensichtlich habe man bis zur letzten Sekunde versucht, den finanziellen und politischen Schaden abzuwenden. Für die Bürgerinitiativen habe die Verschiebung auch positive Folgen: „Für die Klage der Anwohner gegen den Planfeststellungsbeschluss vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 3. und 4. Juli könnte es von Vorteil sein, dass der BER seinen Betrieb noch nicht aufgenommen hat“, so Schubert. Eine weitere Hürde vor Gericht sei damit genommen. Für den Erfolg des Anfang Juni startenden Volksbegehrens für ein absolutes Nachtflugverbot sei die Verzögerung irrelevant: „Wir werden die 80 000 Stimmen so oder so zusammenbekommen.“ Die Menschen stehen lieber auf der Seite der Gewinner – und derzeit stehe die Flughafengesellschaft eher als Verlierer da. Die Probleme „Flugrouten-Betrug, Drehkreuz-Lüge und nächtlicher Fluglärm“ seien mit der Verzögerung aber nicht gelöst.

Auch die Fluglärmgegner an den Havelseen reagierten mit Genugtuung. „Immer wieder ist es der Flughafengesellschaft gelungen, viele Menschen über ihre Unehrlichkeit und Unfähigkeit zu täuschen“, sagte der Sprecher der Initiative „Fluglärmfreie Havelseen“, Peter Kreilinger. Jetzt erkenne jeder, dass man diesem Flughafen nicht trauen dürfe. Die Schuld liege aber nicht bei Flughafen-Chef Rainer Schwarz allein: „Es liegt auf der Hand, dass die Landesregierung in Brandenburg, die immerhin als Genehmigungsbehörde und zugleich als Eigentümervertreter die Aufsicht über den Flughafen hat, den Schwindel mitgemacht hat oder sich extrem einfältig hinters Licht hat führen lassen. Der Fisch stinkt immer vom Kopf“, sagte Kreilinger. Nun müsse die zusätzliche Zeit genutzt werden, um den Menschen den ihnen zustehenden Lärmschutz zu verschaffen. Die DFS solle die Zeit nutzen für intelligentere Lösungen bei den Flugrouten.IHK POTSDAM]

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