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Brandenburg: Im Zaun gehalten

Das südlichste Berliner Denkmalstück steckt, 346 Meter lang, im Dornröschendschungel: Ein Besuch an der Hinterlandgrenze

Berlin - Für geschichtsfremde Touristen ist das verwirrende Panorama der Zäune, Betonwälle und Wegführungen, wie es sich neben der Rudower Höhe (ehemals Westberlin) in Richtung Altglienicke (ehemals in der Hauptstadt der DDR) erstreckt, kaum zu verstehen. Nördlich der Rudower Straße, die von der A 113 überquert wird, steht ein wuchtiges Holz-Heizkraftwerk. An der summenden Autobahn ragt eine Lärmschutzwand himmelwärts. Auf dem Radweg, der an der Böschung dieser Wand entlangführt, steht eine orangefarbene Infosäule samt Ruhebank. Neben dem breiten Teerweg erstreckt sich eine Wiese mit jungen Birken, begrenzt von einem doppelten hohen Metallzaun. Zwischen dessen grünen Gittern wuchern Büsche, Bäumchen, Unkraut – rund um eine Bröckelmauer, die sich über mehrere Hundert Meter von der Straße bis hinein in den Park zieht. Ein Einstieg ist da, wo der Neudecker Weg in die Rudower Straße übergeht.

An zwei Stellen, auf denen Betonplatten einen festen Weg durch die Wiese markieren, sind Gitter und Mauer durchbrochen. Auf der anderen Seite verläuft hinter Gehölz und Gebüsch ein weiterer schmaler Parkweg, auf dem „Leinenzwang für Hunde“ und ein „Verbot für Reiter“ herrscht. Die Mauer entzieht sich hinter einem Wäldchen den Blicken und krümmt sich im Schatten eines steilen Hügels elegant um einen Kiessee. Auch hier bleibt der Zugang versperrt, zusätzlich ist dort „Baden und Angeln verboten“. Blühende Seerosen bedecken den Teich so märchenhaft, als erwarte dieses Niemandslandidyll das Auftauchen des Froschkönigs. Der im 64 Hektar großen, 2009 eröffneten Landschaftspark Rudow-Altglienicke gehegte, wenig bekannte Abschnitt „Hinterlandsicherungsmauer“ stammt – wie die 1,3 Kilometer lange East Side Gallery in Friedrichshain – aus einer Phase des DDR-Grenzausbaus, mit der erst Jahre nach dem Primär-Mauerbau am 13. August 1961 begonnen wurde.

Als dritte Generation des „antifaschistischen Schutzwalls“ war sie in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre aus bis zu 3,60 Meter hohen Betonplatten zwischen H-förmigen Stahlstützen aufgestellt worden. Die Relikte neben der Rudower Höhe bilden nun, mit ihren 364 laufenden Metern am Originalstandort, das südlichste Denkmal des Berliner Mauerweges. Hier, an der Peripherie, ließ sich der mit Signalzäunen, Kontrollstreifen aus geharktem Sand, Wachtürmen und Sperrgräben versehene „Todesstreifen“ zwischen Hinter- und Vorderland vielfach breiter anlegen als in der Innenstadt.

Der bewachsene Trümmerberg am Kiesteich, um den sich das heutige Denkmal schlängelt, diente bis 1958 als Müllkippe. In dem Kombinat „Industrielle Mast“, das nahe der Hinterlandmauer, vermutlich auf dem Terrain eines NS-Zwangsarbeiterlagers, errichtet worden war, wurden Broiler produziert. Wer dort arbeitete, brauchte einen Dauerpassierschein.

Wer sich aber heutzutage, als Besucher des authentischen Ortes, nah heran, von der Panorama- in die Zoom-Perspektive begibt, erlebt hier hintergründige Irritationen intensiver als an City-Touri-Trampelpfaden. Da wird die umdschungelte Dornröschen-Mauer zum Zoo-Insassen, ein vormals gefährliches Monster-Exponat, das natürlich verfällt. An vielen Stellen sind Fenster in den Beton gebrochen, mithilfe rostender Gitter stabilisiert. Durch solche Lücken kann man anders als dazumal nach hüben oder drüben spähen, ins Grüne, ins Weite. Schnecken sammeln sich auf der Mauer und an dem grünen Zaun, in dem ein Katzentor kleine Parkbewohner zum Wildwechsel lockt. Unter verblassenden Graffiti früher Postwendejahre („Fuck Irak“, „Hi Mom and Dad“, „Go Home Nigger“) werden Reste der ursprünglich weißen Tünche erkennbar, vor der sich Flüchtende treffsicher abzeichnen sollten. Ab und zu streift ein Hund samt Herrchen durch die Wiese, Jogger und Radler ziehen die Lärmschutzwand entlang.

Ein paar Betonteile im Mauer-Käfig hängen schräg, als kollabiere da eine Kulisse. Der Geschichtslernpfad zeigt die Realisierung eines Gefängnisstaates als „Industrieller Knast“. Er verweist Spaziergänger an der bröselnden Hinterlandmauer auf tröstliche Halbwertzeiten von Diktaturen – und provoziert die Frage zum 13. August: Ob das berüchtigte Bauwerk selbst unsere ominöse „Mauer in den Köpfen“ überdauern wird?

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