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Brandenburg: Im Visier

Bauernpräsident und SPD-Agrarexperte Udo Folgart fordert den Abschuss von Kranichen – wegen angeblich finanzieller Einbußen für die Landwirte. Der Koalitionspartner, die Linke, und Naturschützer sind entsetzt

Von Matthias Matern

Potsdam - Erst Biber, Kormoran und Wolf – jetzt soll in Brandenburg auch noch der ebenfalls streng geschützte Kranich aufs Korn genommen werden. Das zumindest fordert der SPD-Landtagsabgeordnete und Präsident des brandenburgischen Landesbauernverbandes Udo Folgart. In einem Interview mit dem RBB vergangene Woche beklagte Folgart finanzielle Verluste in der Landwirtschaft durch die Kraniche, die jeden Herbst zu Hunderttausenden auf ihrem Zug in den Süden in Brandenburg haltmachen, um sich für die anstrengende Weiterreise in wärmere Gefilde zu stärken.

Während der Zwischenstopp längst eine Tourismusattraktion ist, fordert Folgart wie für Wolf und Biber einen Managementplan, um dem „Problem Kranich“ Herr zu werden. „Ein Abschuss wäre durchaus ein Ansatz, über den man nachdenken kann“, sagte der SPD-Agrarexperte. Nicht nur Tierschützer sind entsetzt. Auch beim Regierungspartner Die Linke schüttelt man den Kopf. „Um Gottes Willen. Das geht auf jeden Fall zu weit“, findet etwa der agrarpolitische Sprecher der Linksfraktion, Michael-Egidius Luthardt.

Während ihrer Rast auf dem Weg in den Süden komme es punktuell durch Fraßschäden zu Totalausfällen bei einigen Landwirten, beklagte Folgart. Einzelne Bauern, deren Flächen nahe der von den Kranichen bevorzugten Landeplätzen wie im Rhin-Havel-Luch (Ostprignitz-Ruppin) oder rund um Angermünde (Uckermark) liegen, berichten von jährlichen Ausfällen in Höhe von bis zu 5000 Euro durch den Appetit der imposanten Vögel. Dabei sollen sich die Kraniche auch in den noch nicht abgeernteten Maisbeständen zu schaffen machen und sich an den Kolben gütlich tun.

Naturschützer allerdings bezweifeln das. Dass Kraniche möglicherweise am Rande der Felder gelegentlich an Maiskolben knabbern, sei zwar denkbar, sagt Katharina Weinberg, Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes (NABU). Aber Weinberg wirft den Landwirten und Tierhaltern vor, längst die Verhältnismäßigkeit bei ihren Fordernungen aus den Augen verloren zu haben. „Bauern wirtschaften in und mit der Natur. Dazu gehört auch, mit den natürlichen Gegebenheiten wie Wetter und Wildschäden umzugehen. Nicht für alle Tierarten kann ein Managementplan aufgelegt werden“, so die NABU-Chefin. Ein Abschuss der Kraniche sei aus Sicht des NABU ein völlig abwegiges Ansinnen, sagt Weinberg.

Den landesweiten Schaden durch den Kranich kann Folgart nicht beziffern. „Die Frage muss immer punktuell geklärt werden“, sagte der Bauernpräsident gegenüber den PNN. Dort, wo die Tiere in größerer Zahl Rast machen, könne es aber durchaus zu Totalausfällen führen.

Das bestätigt auch Reinhard Jung, Geschäftsführer vom Bauernbund Brandenburg, der im Gegensatz zum Landesbauernbund vor allem landwirtschaftliche Familienbetriebe und weniger große Agrargenossenschaften vertritt. Doch einen Abschuss der Kraniche hält er nicht für nötig. Verscheuchen oder, wie es fachlich korrekt heißt, vergrämen reiche völlig aus. Dass die Vögel zudem auch im stehenden Mais fressen, sei ihm jedoch nicht bekannt. Vielmehr verweisen Experten auf Studien, die nachweisen, dass der Hunger der Zugvögel sogar einen wirtschaftlichen Mehrwert mit sich bringt. Weil die Kraniche und Gänse bevorzugt die sprießenden Jungtriebe abbeißen, bildet das Korn infolge mehrere Halme aus, die später Ähren tragen. In der Landwirtschaft ist der Vorgang als Stocken bekannt. Zudem wirke der Kot der Zugvögel als wertvoller Dünger, heißt es.

Erst vor Kurzem hatte sich Verbandspräsident Folgart erfolgreich für eine Erlaubnis starkgemacht, Biber in Brandenburg zu schießen. Immer wieder hatten in der Vergangenenheit Landwirte und Fischer beklagt, die Biber würden sich unter anderem auch in Deiche graben, diese dadurch zerstören und somit Äcker und Teichwirtschaften unter Wasser setzen. Ebenfalls vor wenigen Wochen wurden auf Druck des Fischereiverbandes, dem Folgart zumindest nahesteht, Einschränkungen beim Abschuss der einst vom Aussterben bedrohten Kormorane abgewendet. Der Wolf, der sich seit Anfang der 90er-Jahre wieder in Brandenburg ausbreitet, ist den Bauern ebenfalls ein Dorn im Auge. Weil die Raubtiere gelegentlich auch Nutztiere wie Schafe und Ziegen reißen, fordern die Landwirte, den Wolf in das Jagdrecht aufzunehmen – bislang erfolglos.

Linke-Agrarexperte Luthardt hält Folgarts Vorschlag, notfalls Kraniche abzuschießen, für kontraproduktiv. Punktuelle Ausgleichszahlungen dagegen könne er sich vorstellen. „Ein ähnliches Modell wie das für den Kormoran ist mit uns nicht zu machen“, stellt Luthardt klar. Und selbst Brandenburgs FDP-Chef Gregor Beyer, der sowohl beim Wolf, Biber und beim Kormoran bisher immer zugunsten der angeblich Geschädigten argumentierte, sieht „momentan bei aller Liebe keine Notwendigkeit, einzugreifen“.

Der Umweltexperte der Grünen-Landtagsfraktion, Michael Jungclaus, dagegen hält den Bauern vor, für Schäden, wie sie der Kranich verursacht, schon ausreichend entschädigt zu werden. „Auch Brandenburger Landwirte erhalten bereits jetzt in erheblichem Umfang öffentliche Gelder im Rahmen von EU-Direktzahlungen, die an die Einhaltung von Vogelschutzregelungen gebunden sind, eine Tötung von Kranichen ist hierbei tabu. Dieser Verpflichtung müssen die Landwirte nachkommen, eine doppelte Förderung halte ich für vollkommen überzogen“, sagt Jungclaus.

Fraktionschef Axel Vogel warnt zudem vor negativen Folgen für die hiesige Tourismuswirtschaft. „Anscheinend will man mit Wildtieren nicht mehr leben und ist bereit, dem Naturtourismus in Brandenburg die Grundlage zu entziehen.“

HINTERGRUND

Jagd auf Kraniche

Die Forderung, Kraniche wegen der Schäden an der Saat auf den Äckern abzuschießen, ist nicht neu – sie ist geradezu preußisch. Friedrich Wilhelm I. (1713 - 1740) ließ in der Zeit der Kultivierung von Stromtälern und Flussauen Jagd auf Kraniche machen. Am 3. Oktober 1722 erließ der Soldatenkönig das „Edikt, daß jedem erlaubet sein soll, Kraniche zu schießen“. Demnach sei „an unterschiedlichen Orten wahrgenommen worden, dass sich Kraniche einige Zeit her ungemein häutig eingefunden, und dem platten Lande, sonderlich an denen besähten Feldern viel Schaden getan“. Daher verfügte Friedrich Wilhelm I.:

„Kraniche können als schädliche Vögel der besähten Felder von einem jeden frei geschossen oder gefangen werden.“

Der Herbstzug

Heute sind Kraniche wahre Publikumslieblinge. Jeden Herbst wiederholt sich ein Naturspektakel, das immer wieder Tausende Ausflügler und Schaulustige in Brandenburg fasziniert. Hier liegen einige der größten Rastplätze der Kraniche auf ihrem Herbstzug. Zehntausende Tiere stärken sich in Brandenburg auf dem Weg von Nord- und Osteuropa in die Winterquartiere im Süden. Ihre Rufe klinken wie Trompeten, am Himmel ziehen sie in Keilformation.

Kraniche sehen

Bis Ende Oktober bieten Vogelkundler Wanderungen, Planwagenfahrten, Radtouren oder andere Events an, um die Kraniche zu beobachten. Die meisten Touren werden kostenlos oder gegen Spenden angeboten. Die größten Erfolgsaussichten bietet der Ort Linum bei Kremmen, gut 20 Kilometer nordwestlich Berlins. Nirgendwo sonst fliegen so viele Kraniche wie dort zwischen abgeernteten Getreide- und Maisflächen sowie den nächtlichen Schlafplätzen hin und her. Es sind bis zu 80 000 Tiere an einem einzigen Tag. Weitere Rastplätze findet man an den Flussdeichen an der Oder bei Gartz nahe Schwedt (Uckermark) und in den Elbtalauen bei Lenzen (Prignitz). Auch Wanninchen im früheren Lausitzer Tagebaugebiet bei Luckau, Lehnin westlich von Berlin und der Gülper See bei Pritzen im Westhavelland gehören zu den Kranich-Hochburgen. Bis Mitte November, bei milden Temperaturen bis Anfang Dezember, sind die Vögel zu sehen. (axf/ste)

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