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Ideen zur Integration von Flüchtlingen für Brandenburg: Kann man aus der Geschichte lernen?

Holländer, Hugenotten, Juden: Potsdam und die Mark haben in der Vergangenheit schon viele Einwanderer aufgenommen. Was man jetzt daraus lernen kann. Ein Essay.

Dass die Flüchtlinge integriert werden sollen, ist derzeit ein Gemeinplatz, den Linke und Konservative teilen. Die Frage ist aber, wie das gelingen kann. Ein Blick zurück auf Zeiten, die mit ähnlichen Herausforderungen zu tun hatten, könnte uns anregen, aus den damaligen Lösungen Antworten für gegenwärtige Herausforderungen zu entwickeln. Es kann dabei nicht darum gehen, diese Lösungen zu kopieren, sondern sie zu übersetzen und zu prüfen, was sie in unserer Situation austragen könnten.

Niederländische Fachkräfte und französische Glaubensflüchtlinge kamen nach Brandenburg

Eine ähnliche Herausforderung mit der Integration von Menschen anderer Kulturen und Religionen gab es in Brandenburg zu Zeiten des Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seiner niederländischen Gattin Luise Henriette. Luise Henriette brachte niederländische Fachkräfte mit, die im Sumpfland der Havel nicht nur mit Deichbauten neues Land gewannen, sondern auch viele neue Techniken mitbrachten, bis hin zu neuen Speisen und Getränken, die auf keiner typisch brandenburgischen Speisekarte fehlen dürfen.

20 000 französische Glaubensflüchtlinge veränderten nicht nur unsere Sprache und brachten neue Namen mit, sondern auch raffinierte Techniken der Textilverarbeitung. Ein Religions- und Wertekonflikt zwischen Zugewanderten und Alteingesessenen, zwischen Fürstenhaus und Volk spaltete damals das Land. Eine Antwort war der Erlass eines Toleranzedikts.

Auch damals gab es erbitterten Widerstand gegen dieses Toleranzedikt. Wir können also kaum lernen, ein Edikt zu dekretieren und seine Anerkennung mit Gewalt durchzusetzen. Was wir aber lernen können, ist die Einstellung, religiöse Freiheiten auch Minderheiten zukommen zu lassen. Und zwar nicht nur auf dem Papier, sondern in Tat und Wahrheit.

Von Moses Mendelssohn lernen

Ähnliches können wir lernen von der Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft, die bis zur Vernichtung von Millionen europäischer Juden weithin für eine Erfolgsgeschichte gegolten hat. Sicher zeigen die Betrachtungen von Einzelschicksalen, wie viel Mühe es Juden bis ins 20. Jahrhundert gekostet hat, in der Gesellschaft anzukommen. Gleichwohl ist von dieser Bewegung, die mit Menschen wie Moses Mendelssohn auch insbesondere in Preußen rasant Karriere machte, einiges zu lernen. Mendelssohn und seine Nachfolger beharrten darauf, als Juden in der deutschen Gesellschaft akzeptiert zu werden. Sie gaben nicht auf, was ihre Identität ausmachte und lernten doch die Hochsprachen ihrer Zeit, um an den maßgeblichen öffentlichen Debatten Anteil zu nehmen. In der nächsten Generation übernahmen bereits vielfach die gebildeten Frauen wie Henriette Herz, Rahel Varnhagen oder Dorothea Schlegel diese Initiative in den Berliner Salons. Problematisch an einer Kopie würde sein, dass sich viele von dieser zweiten Generation taufen ließen, weil Integration mit anderem Glauben häufig nicht gelang. Aber wie könnte man diese Erfahrungen ins Heute adaptieren? Ein paar Vorschläge.

Wir können sie als Chance für die Entwicklung des Landes begreifen. Die wichtigste Entwicklung liegt auf der Hand, der demographische Wandel, der uns immer wieder beschäftigt und dem wir mit einer Gebietsreform nach der anderen nicht Herr werden. Plötzlich kommen Menschen in Massen nach Brandenburg, wo wir davon ausgingen, dass wir außerhalb des Speckgürtels bald auf der europäischen Landkarte als nicht besiedeltes Gebiet erscheinen. Vielleicht wird Rainald Grebe sein Brandenburg-Lied umdichten müssen. Vielleicht wird er bald in Gartz an der Oder delikate syrische Gerichte bekommen oder in Wittenberge wird man nicht mehr über Rückbau von DDR-Neubaublöcken nachdenken, sondern froh sein, dass wir noch Wohnungen haben. Vielleicht werden Dorfschulen nicht mehr geschlossen werden müssen und vielleicht werden Höfe wieder bewirtschaftet, die schon halb verfallen sind. Vielleicht wird der Trend zur industriellen Massentierhaltung durch Menschen gestoppt, die noch gewohnt sind, die Lebensmittel, die sie verbrauchen, zum großen Teil selbst herzustellen und vielleicht wird unsere sacht entstehende Kultur der Direktvermarktung von Hofprodukten gestärkt und bereichert durch Menschen, die das Land wieder beleben.

Brandenburgische Unternehmen könnten sich in arabischen Ländern positionieren

Es geht aber nicht nur um ländliche Idylle. Viele Menschen kommen aus großen Städten zu uns und hatten dort oft Arbeit in der Industrie, bevor im Krieg ihre Lebensgrundlagen zerstört wurden. Auch in Brandenburg ist die globalisierte Welt angekommen. Nicht wenige mittelständische Unternehmen im Land müssen sich auf dem Weltmarkt behaupten. Es gilt auch für sie, neue Märkte zu erschließen. Der arabische Raum ist dabei für viele Unternehmen bislang nicht im Blick. Nun aber haben wir die Chance, Menschen vor Ort zu haben, die nicht nur die Sprache sprechen, die auf der ganzen arabischen Halbinsel gesprochen wird, sondern auch mit der Kultur vor Ort bestens vertraut sind. Brandenburgische Unternehmen können künftig viel leichter mit ägyptischen oder saudi-arabischen Partnern ins Geschäft kommen, wenn sie syrische Mitarbeiter_innen einstellen und umschulen. Gerade, wo mit Russland traditionelle Geschäftskontakte weggebrochen sind, besteht die Möglichkeit, sich in arabischen Ländern zu positionieren.

Die Frage der Unterbringung fordert Land, Kreise und Kommunen derzeit vor allem heraus. Wir reden von beheizten Zelten, Turnhallen mit zu wenigen Sanitärcontainern, Gruppenräumen, in denen mehrere Familien untergebracht sind, die sich den Gemeinschaftswaschraum mit den jungen Männern auf dem Flur teilen. Klar ist aber auch, dass jede Körperschaft überfordert ist, so viele Quartiere mit etwa Jugendherbergsstandard auf einmal zur Verfügung zu stellen. Die von den Bürgern zur Verfügung gestellten Gästezimmer sind wichtig, aber nicht ausreichend. Gleichzeitig stehen noch immer viele Häuser und Wohnungen leer, auch in den berlinnahen Orten. Manche kommunale Wohnungsbauunternehmen haben noch alte Häuser im Portfolio, die seit Langem leergezogen sind, und die sich weder zu sanieren noch zu verkaufen lohnt. Hier könnten wir uns an eine Idee aus Wendetagen erinnern, in der die großen Städte Ostdeutschlands insgesamt zu verfallen drohten. Es war oftmals kein Investor in Sicht, der die verfallenden Straßenzüge wieder aufbauen wollte. Aber es gab idealistische junge Leute, die dringend Wohnungen suchten. Mancherorts wurden solche Wohnungen besetzt, aber immer öfter kamen die Wohnungsgesellschaften dahinter, dass sie den Elan der jungen Menschen nutzen konnten.

Integrationsmotor: Ein Haus für die Familie aufbauen

Es wurden Mietverträge ausgegeben, die befristet mietfrei waren. Im Gegenzug verpflichteten sich die Mieter, die Häuser zu sanieren. Die Straßenzüge im Berliner Prenzlauer Berg oder im Friedrichshain, die heute gentrifizierte Touristenmagneten sind, verdanken ihre Entwicklung nicht zuletzt diesen Maßnahmen. Davon können wir lernen. Nicht jeder Straßenzug in Finsterwalde oder Brüssow, der heute zusammenzufallen droht, wird zum gentrifizierten Touristenmagnet werden. Aber wenn so Menschen nicht nur Wohnraum bekommen, sondern sie ihn auch selbst renovieren und sanieren, haben sie nicht nur eine Beschäftigung und fühlen sich gebraucht, sondern sie leisten auch etwas für die Kommune, in die sie zuziehen. Sicher wird es besorgte Bürger geben, die vor Überfremdung warnen – wo nicht? – aber die Chance ist viel höher, dass diese Menschen in ihren Kommunen ankommen als wenn die alte Kaserne vor den Toren der Kleinstadt saniert wird, anonyme Firmen nach europaweiter Ausschreibung die Flure tünchen und die Elektrik in Stand setzen und dann Asylbewerber einziehen. Sie werden viel eher Fremdkörper in der Kommune bleiben, als die Nachbarn, die das Haus sanieren, das eigentlich schon dem Verfall preisgegeben war. Sicher, darauf müssen sich Flüchtlinge einlassen. Polizeischutz vor jedem Haus wird es nicht geben. Aber sicher wird die ein oder andere Familie froh sein, dem Alltag im Flüchtlingsheim zu entkommen und die Chance zu haben, sich, wie man das in der Heimat auch gemacht hat, ein Haus für die Familie aufzubauen und so nebenbei dazu beitragen, dass sich Brandenburg weiter verändert.

Der Blick auf die Integration der Juden kann aber auch noch etwas anderes lehren. Dieser Weg war mühsam. Selbst, als er schon unumkehrbar schien, ist er noch katastrophal gescheitert. Hier wird es keinen Automatismus geben, der zu einer gelingenden Integration führt. Aber wir stehen vor Herausforderungen, die der Staat allein schon längst nicht mehr lösen kann.

Die Chance der Zuwanderung nutzen

Die Flüchtlinge kommen oft aus Ländern, wo der Staat im Alltag, selbst als er noch funktioniert hat, eine viel geringere Rolle spielte als bei uns. Das ist eine Chance, die wir nutzen sollten. Statt ihnen eine Anspruchshaltung nahezubringen, die sich in der „kleinen DDR“ Brandenburg in den letzten Jahren mancherorts etabliert hat, in der der Staat Antworten auf alle Probleme finden muss, sollten wir die Chance der Zuwanderung nutzen, gemeinsam die Idee der Öffentlichkeit wiederzubeleben. Menschen, die – egal, woher sie kommen – sich für ihr Gemeinwesen, ihre Glaubensgemeinschaft, ihr Unternehmen engagieren. Nicht umsonst waren Deutschland und Brandenburg da am sympathischsten, wo die kritische Öffentlichkeit besonders stark war, sei es in der Berliner Aufklärung oder 1989. Es kann nicht darum gehen, Menschen auf die Straße zu setzen und sie ihrem Schicksal zu überlassen – niemand darf hierzulande ins sozial Bodenlose fallen – aber alle neu Hinzugekommenen wie die schon lange hier Lebenden zu ermutigen und dabei zu unterstützen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, das ist das, was klassische Einwandernationen wie die USA groß gemacht hat, die die Unterdrückten und Armen aus aller Welt lange willkommen hießen.

Sicher ist auch, dieser Weg wird unser Land verändern, genauso wie es die Integration der Hugenotten oder der Juden verändert hat. Wir werden vielleicht Moscheen in den Städten haben, so wie früher Synagogen. Wir werden neue Gerichte auf der Speisekarte haben, wie ehedem Kartoffeln und Tomaten. Wir werden unterschiedliche Glaubensvorstellungen haben und das ertragen (was tolerieren eigentlich bedeutet). Und es kann ein Teil unserer Geschichte geworden sein, der nicht mehr wegzudenken ist.

Aus der Geschichte muss man nicht lernen, man kann es aber. Ich plädiere dafür, es zu tun.

Der Autor ist Professor für Bildungswissenschaftan der Universität Wien. Er lebt in Oranienburg und Wien.

Henning Schluß

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