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Brandenburg: „Ich fühlte mich im Recht“

Zwei Monate nach dem Angriff auf einen Israeli gesteht der Angeklagte die Tat. Doch es bleiben Fragen offen

Knaan Al S. hat die Augen weit aufgerissen, als fast 50 Journalisten in den Saal 700 im Kriminalgericht in Berlin-Moabit drängen. Staunend wirkt er, kindlich. „Ich komme aus Syrien, bin 19 Jahre alt, seit drei Jahren in Deutschland“, stellt er sich am Dienstag vor dem Jugendschöffengericht vor. Al S. ist der Flüchtling, der vor zwei Monaten im Prenzlauer Berg zwei Kippa tragende Männer antisemitisch beschimpft und einen von ihnen mit einem Gürtel geschlagen haben soll. Der attackierte 21-jährige Israeli hatte die Szene gefilmt. Der Fall sorgte für Empörung.

„Ich habe mich im Recht gefühlt, ich habe ihn geschlagen, ich entschuldige mich dafür“, gibt Al S. in seiner umfassenden Aussage zu. Doch der Fall habe nichts mit einer Kippa und nichts mit Politik zu tun. „Ich hasse weder Juden noch Christen.“ Er habe sich noch nie in seinem Leben politisch geäußert und sei auch nicht streng religiös. Fußball und Schule würden ihn interessieren. Die Verteidigerin sagt: „Es haben sich Leute angesprochen gefühlt, die nicht angesprochen waren.“

„Wenn ich Juden hassen würde, dann wäre ich nicht vor drei Jahren nach Deutschland gekommen“, sagt der Angeklagte, der aus Syrien stammt, sich selbst aber als staatenloser Palästinenser bezeichnet. Er sei am 17. April auf den ihm fremden Mann losgegangen, weil dieser zuvor ihn und seine Mutter beleidigt habe. Er habe den Gürtel aus seiner Hose gezogen und zugeschlagen. Erst nach zwei Treffern und „mehreren Schlägen in die Luft“ habe er bemerkt, dass der Israeli eine Kippa trug. Da habe er „Jude“ gerufen. Als Schimpfwort. „Aber ich wollte ihn persönlich beleidigen, nicht alle Juden.“

Unsortiert, hastig spricht der schmächtige Angeklagte, anfangs auf Deutsch, dann muss doch eine Dolmetscherin helfen. „Es tut mir leid, es war ein Fehler von mir“, sagt er. Eigentlich habe er „nur Angst machen“ wollen. Er habe zuvor Drogen genommen. „Gekifft und Ecstasy, mein Kopf war müde.“ Er habe auch nicht mit der Gürtelschnalle gehauen.

Von „mindestens zehn Schlägen“ geht die Anklage aus. Weil Adam A. und sein Freund Kippa trugen. Der Angeklagte hört es kopfschüttelnd. Bevor er ausholte, habe er gefragt: „Warum beschimpfst du mich?“ Nur drei Treffer seien es gewesen. Und erst vor dem letzten Schlag habe er gesehen, dass der Mann eine Kippa trug. Erst da habe er „Jude“ gerufen und nochmals ausgeholt. „Das war nicht richtig.“ Schließlich habe eine Frau eingegriffen.

Die Version des Studenten Adam A. klingt anders. Er war mit einem befreundeten Deutsch-Marokkaner unterwegs, als es zur zufälligen Begegnung im Bereich Helmholtzplatz kam. Adam A., aufgewachsen in Israel in einer arabischen Familie und seit drei Jahren in Deutschland, sieht die religiöse Kopfbedeckung als „einzige Erklärung“. „Ich finde sie sehr schön, fühle mich wohl damit und trage sie aus Solidarität“, sagt der Israeli als erster Zeuge.

Sie hörten Beschimpfungen aus der Gruppe um den Angeklagten. Laut und auf Arabisch. Schlampe, Hurensohn. „Mein Kumpel sagte, dass sie uns in Ruhe lassen sollen“, schildert Adam A. Er selbst sei mit seinem Handy befasst gewesen. „Plötzlich sehe ich, wie einer auf mich zugerannt kommt, den Gürtel aus der Hose zieht.“ Der Gürtel traf ihn an der Hüfte, am Bein, im Gesicht. Schwellungen, die Lippe aufgeplatzt. „Seelisch war es danach noch schlimmer als körperlich“, sagt er. Es sei schwierig, täglich die Stelle zu passieren, wo es zum Angriff kam. „Ich würde die Kippa nicht wieder aufsetzen, wenn ich allein bin.“ Dabei habe er gedacht, dass „Berlin sicher sei“.

Der Angriff löste bundesweit Aufsehen aus. Wie sicher ist jüdisches Leben in Deutschland? Politiker bis hin zur Bundeskanzlerin verurteilten den Vorfall. In Berlin versammelten sich unter dem Motto „Berlin trägt Kippa“ mehr als 2000 Menschen. „Mein Mandant ist kein Antisemit“, sagt die Verteidigerin. In einer „situationsgeprägten Spontanhandlung“ sei es zu den Schlägen gekommen. Das Wort „Jude“ sei in Syrien gang und gäbe, „Alltags-Sprachgebrauch“. Am Montag geht der Prozess weiter. Kerstin Gehrke

Kerstin Gehrke

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