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Gedenken mit Nelke. Ein Grabstein auf einem Gräberfeld für gefallene Soldaten der Roten Armee auf dem Gelände der Gedenkstätte Seelower Höhen, auf dem auch ein Foto an den jungen Mann erinnert, der dort sein Leben ließ.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: „Ich dachte, die Welt geht unter“

Es war ein schöner Tag im Frühjahr 1945 – mit diesen Worten beginnen Augenzeugen häufig ihre Erinnerungen. Doch vor 70 Jahren wurde der Oderbruch zur Hölle

Seelow  - „Das Beeindruckendste war dieses Krachen in den Ohren, dieses Klingeln, die Dunkelheit, die Detonationen, die fallenden Granaten.“ Alexander Uljanowitsch, Jahrgang 1921, gestikuliert heftig beim Erzählen. Seine Erlebnisse im Frühjahr 1945 fernab der Heimat wühlen ihn auf. Immer wieder hebt der Kriegsveteran beschwörend die Hände. Er ist einer von Tausenden Soldaten der Roten Armee, die damals über die Oder setzten. Mit Verbündeten kämpfte er auf den Seelower Höhen in der größten Schlacht des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden. Zum 70. Jahrestag erinnert das Land Brandenburg am 17. April auf einer Zentralen Festveranstaltung in Seelow (Märkisch-Oderland) an die Schlacht.

Kurz vor der Einnahme Berlins starben Zehntausende Soldaten verschiedener Nationalitäten und Zivilisten. Videos mit Erinnerungen von Kriegsveteranen, darunter auch von Soldaten der Wehrmacht, sind heute in der Gedenkstätte auf den Seelower Höhen zu sehen. „Ich dachte, die Welt geht unter“, berichtet dort der Unteroffizier Antonius Schneider über den Angriff der Roten Armee. Der Verstand sei ausgeschaltet gewesen. „Ein Tier hat Instinkt, selbst den hatten wir nicht mehr.“ Jeder habe versucht, seine Haut zu retten, sagt Schneider, der 1925 geboren wurde.

Die Gedenkstätte rund 70 Kilometer östlich von Berlin ist einer der drei Erinnerungsorte, die die sowjetischen Besatzungstruppen 1945 in Deutschland errichteten – neben denen in Küstrin, heute Kostrzyn in Polen, und Berlin-Tiergarten. In Seelow blickt ein Bronze-Soldat über das weite Land – und über Gräber. Die 1972 eröffnete Gedenkstätte war zunächst nur auf die Befreiung durch die Sowjetunion ausgerichtet und sollte ein einseitiges Geschichtsbild im Sinne der „Freundschaft“ mit der Sowjetunion vermitteln.

Nach der Wiedervereinigung wandelte sich das Museum. Mitarbeiter begannen, die Schlacht zu erforschen, ihre Vorgeschichte und die Folgen, und legten ein Zeitzeugenarchiv an. Die Ereignisse seien in historischen Kontext gestellt worden, betont Gerd-Ulrich Herrmann, der die Gedenkstätte leitet. Verluste habe es auf beiden Seiten gegeben. „Hier haben nicht nur Russen gekämpft“, betont er mit Blick auf die Rote Armee, der Soldaten vieler Nationalitäten angehörten.

Auf deutscher Seite seien etwa auch Luxemburger, Polen und Türken beteiligt gewesen. „Objektivität ist wichtig.“ 2012 wurde das Museum auch mit Bundesmitteln modernisiert. In der Dauerausstellung sei der Fokus von der Schlacht und ihren technischen Details auf die Erinnerungskultur gerichtet worden, erläutert Irmgard Zündorf vom Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Zu DDR-Zeiten habe vor allem das Verhältnis zur Sowjetunion eine zentrale Rolle gespielt, Soldaten leisteten dort ihren Fahneneid.

Für die Botschaft der Russischen Föderation in Deutschland gehören die Seelower Höhen zu den wichtigsten Orten des Gedenkens an die sowjetischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg starben. „Das ist ein Symbol der erfolgreichen Berliner Angriffsoperation der Roten Armee, die die Bekämpfung des Faschismus im Mai 1945 vollendet hat“, sagt Wladimir Kukin, Leiter des Büros für Kriegsgräberfürsorge und Gedenkarbeit der Botschaft. Die Botschaft habe die Sanierung zweier Obelisken und eines orthodoxen Steinkreuzes finanziert.

Unter den 17 000 Museumsbesuchern jährlich sinkt allmählich die Zahl der Zeitzeugen. Dafür kommen Verwandte, die Angehörige suchen, oder Enkel einstiger Kämpfer. „Weil Opa nicht so viel erzählt hat, wollen sie mehr wissen“, sagt Herrmann. Viele suchten auch nach Vermissten. Auch 70 Jahre nach der Schlacht werden noch Opfer im Oderbruch geborgen. Jährlich werden etwa 100 Kriegstote umgebettet, sagt Oliver Breithaupt, Landesgeschäftsführer des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Etwa ein Drittel der Schicksale könne aufgeklärt werden, durch Zuordnung von Erkennungsmarken, Briefen oder Soldbüchern. Wie der Gedenkstättenleiter beobachtet, interessieren sich junge Leute durchaus für die Erinnerung. „Sie müssen aber entsprechend vorbereitet werden“, betont der 64-Jährige. Authentische Orte seien Lernorte. „Hier liegen auch 16-jährige Wehrmachtsangehörige begraben, aber auch 17- und 18-jährige Rotarmisten.“ Entlang der Oder sind die Seelower Höhen nicht der einzige Ort, der mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist. Herrmann verweist auf die gute Zusammenarbeit mit polnischen Historikern. „Es gibt viel Potenzial entlang der Oder, authentische Orte darzustellen“, sagt er.

Ihm schwebt eine Route vor, vom einstigen deutschen Konzentrationslager Sonnenburg und der früheren Festung Küstrin (beides in Polen) bis zu den Seelower Höhen. Steffi Prutean

Steffi Prutean

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