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Brandenburg: Hoffen auf ein Wunder im letzten Haus von Horno

Ihr Dorf ist abgebaggert, aber die Domains harren aus / Am 2. November soll die letzte Instanz entscheiden

Von Sandra Dassler

Ihr Dorf ist abgebaggert, aber die Domains harren aus / Am 2. November soll die letzte Instanz entscheiden Von Sandra Dassler Horno – Wahrscheinlich hat er diese Trotzigkeit von seinem Großvater Friedrich. Der hat auch nicht weggewollt, damals im Frühjahr “45, als fast alle anderen Hornoer aus Angst vor den Russen das Dorf verließen. „Er hatte ein Holzbein und war schon ziemlich alt. Er konnte sich nicht von seinem Haus trennen“, erzählt Walter Domain. Der 70-jährige Hugenotten-Nachfahre sitzt in seinem schlicht eingerichteten Wohnzimmer, dessen einziges Schmuckstück ein in die Jahre gekommenes Klavier ist. Manchmal spielt Domain darauf ein paar Takte – auch um den Lärm vom Braunkohletagebau zu übertönen, der sich bis auf 70 Meter an das Haus heran gefressen hat, in dem er mit seiner Frau Ursula noch immer wohnt. Die Domains sind die letzten Einwohner von Horno, das einmal 320 Menschen zählte. Jahrzehntelang haben sie gegen die Abbaggerung ihres Dorfes gekämpft, am Ende waren die politischen und rechtlichen Mittel ausgeschöpft. Die Leute mussten umziehen. Die meisten von ihnen leben jetzt wenige Kilometer entfernt im neuen Horno bei Forst. Die Domains sind geblieben. Haben sich geweigert, das ehemalige Gasthaus von Horno, das Großvater Friedrich gebaut hatte, zu verkaufen. Und klagen immer noch gegen ihre Umsiedlung. Der Energiekonzern Vattenfall, der den Tagebau Jänschwalde und das gleichnamige Kraftwerk betreibt, musste den Tagebaubagger am vergangenen Donnerstag stoppen – um einen Sicherheitsabstand zum Haus der Domains einzuhalten. Am 2. November soll das Oberverwaltungsgericht in vorerst letzter Instanz über die Klage des Ehepaars entscheiden – bis dahin steht der Betrieb hier still. Es mutet skurril an, wie sich das Gehöft vor der riesigen Grube erhebt, in der die anderen Häuser längst verschwunden sind – eine Einöde ist das hier für die beiden Rentner ganz und gar nicht: Gleich nebenan im großen Garten wächst viel Gemüse, die letzten Äpfel fallen gerade von den Bäumen, eine Katze tobt durchs Kartoffelfeld, Vögel zwitschern. Im Hof fängt eine Badewanne das Regenwasser auf. „Ich brauche kein neues Haus oder Geld“, sagt Walter Domain. „Hier ist meine Heimat, hier fühle ich mich wohl,hier kenne ich jeden Strauch und Baum.“ Ein Wohncontainer beherbergt zwei, drei junge Wachleute, die regelmäßig mit Hunden um das Grundstück der Domains patrouillieren. „Hierher kommen viele Schaulustige“, erklärt einer von ihnen, „obwohl das Betreten des Tagebaugeländes gefährlich und verboten ist“. Die Wachleute lassen nur die durch, die sagen, dass sie zu den Domains wollen: Freunde und Verwandte, die Postfrau, den Zeitungsboten. Dass er ein Querulant sei, wie manche sagen, will Domain nicht gelten lassen. „Wenn man sich im Recht fühlt, muss man dafür auch kämpfen“, sagt er. Zumal wenn „unter Horno nur ganz wenig Kohle liegt, die dazu noch schlechte Qualität hat. Dass dafür ein ganzes Dorf verschwinden muss, mit all“ der Natur – das ist nicht nur Unrecht, sondern der blanke Wahnsinn.“ Doch der Einwand, dass sie mit ihrer Hartnäckigkeit Arbeitsplätze gefährdeten, der macht den Domains schon zu schaffen. Auf dem Markplatz von Forst sind sie deshalb schon angepöbelt worden. „Wie können die Leute nur auf solche plumpe Polemik hereinfallen?“ fragt Ursula Domain. „Dabei werden überall in Deutschland Arbeitsplätze vernichtet, obwohl es da kein altes Ehepaar gibt.“ Die 65-Jährige hat den Abriss ihres Dorfes fotografiert, aber sie blättert nur selten in dem Album. Bei dem Bild von der Sprengung der Kirche kommen ihr jedes Mal die Tränen. Ihr Mann hat Vattenfall inzwischen einen neuen Vorschlag unterbreitet: Der Bagger solle an seinem Haus vorbeifahren und auf dem verschonten Streifen Windräder errichten. Das schone die Umwelt und schaffe neue Arbeitskräfte. Den Vorschlag schickte er auch an alle möglichen Behörden und Zeitungsredaktionen. Und hofft weiter auf ein Wunder. Sein Großvater hat den Einmarsch der Russen vor 60 Jahren schließlich auch überlebt. Und vielleicht entscheiden die Richter am 2. November doch anders als die Vorinstanzen. Dann würde Walter Domain rund um sein Haus Ahornbäumchen pflanzen. Was er bei einer Niederlage tut, will er nicht erzählen: „Das lesen doch die von Vattenfall und denken, jetzt haben sie mich kleingekriegt. Nee, dann werde ich wohl weiter klagen.“

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