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Räder im Überfluss. Während im Potsdamer Stadtgebiet hauptsächlich die Räder vom Anbieter Nextbike sichtbar sind, sind in Berlin mehrere Anbieter an zentralen Punkten zu finden. Wie hier am Askanischen Platz stehen die Räder nicht immer geordnet.

© Mike Wolff

Brandenburg: Haufenweise Stehräder

Bis zu 14 000 Leihräder gibt es mittlerweile in Berlin. Für viele Anwohner sind sie ein Ärgernis

Berlin- Die Räder stehen zwar ordentlich aufgereiht vor dem kleinen Café mitten in Prenzlauer Berg. Aber die Barista Daniela Blümel kann sich an den Anblick nicht gewöhnen. „Das ist optische Umweltverschmutzung“, sagt sie zu den silbernen Fahrrädern mit den orange leuchtenden Speichen. Seit zwei Wochen stehen die Leihräder der chinesischen Firma Mobike in der Berliner Pappelallee. Sie kamen über Nacht, sagt Blümel. Auch an anderen Straßenecken im S-Bahnring stehen die auffälligen Gefährte - und wirken wie bestellt und nicht abgeholt.

Noch 2016 gab es nur zwei Großverleiher in Berlin: Nextbike, der vom Senat geförderte Anbieter, und Lidl-Bike, das einstige Call a Bike der Deutschen Bahn. Der Senat hatte ursprünglich auf ein Unternehmen gesetzt: Nextbike aus Leipzig hatte sich in einer Ausschreibung durchgesetzt. Die Firma soll bis Ende dieses Jahres 5000 Räder an rund 700 Ausleihstationen anbieten. Derzeit sind es 2000 Räder. Das Land unterstützt das Projekt mit jährlich 1,5 Millionen Euro. Überraschend hatte sich der Vorgänger, die Deutsche Bahn, aber nicht zurückgezogen. Sie vermarktet ihr Angebot inzwischen als Lidl-Bike. Der Discounter zahlt für diese Werbung.

Und seit Herbst 2017 sind zudem Konkurrenten aus Fernost, aus Dänemark und ein deutsches Start-Up hinzugekommen. Im November stiegen Mobike und Obike aus Singapur in das Berliner Geschäft ein. Hinzukommen noch Byke aus Berlin und Donkey Republic Bikes aus Dänemark. Lauter kleine Farbtufer: Türkis, Orange, Gelb, Silber. „In zwei Wochen ist erst eines der neuen Räder ausgeliehen worden“, hat Blümels Chefin Barbara Scheiner beobachtet. Anders die Lidl-Räder: Die seien ständig in Betrieb. Scheiner findet Leihfahrräder an sich eine tolle Idee. Aber die Räder, die vor ihren Laden gestellt wurden, sind ein Ärgernis für die 44-Jährige. Das Thema taugt zum Aufreger in dem Café. „Ich frage mich, wer überhaupt damit fahren soll“, sagt Mats Marquardt, der dort gerade zu Mittag ist.

Tatsächlich sind die Räder von Mobike, Obike und Byke so gebaut, dass Menschen über 1,80 Meter nur höchst unbequem darauf sitzen können. Außerdem haben die Stahlräder Vollgummireifen. Marquardt vermutet deshalb, dass die Firmen nicht mit dem Verleih, sondern mit Kundendaten ihr Geld verdienen wollen, die sie für Werbung einsetzen können. Ein Vorwurf, den auch Insider immer wieder erheben. Die Anbieter allerdings bestreiten das.

In China und Singapur boomt das Leihgeschäft auf zwei Rädern seit Jahren. Seitdem Start-Ups aus ganz Asien die Räder 2016 millionenfach verteilten, sind die Chinesen wieder ein Volk der Radfahrer. Allerdings ist der Markt in der Volksrepublik inzwischen so gesättigt, dass sich ungenutzte Fahrräder zu Bergen auftürmen. 2017 fluteten die Anbieter europäische Städte wie Zürich und Wien mit ihren Rädern, wo sie auf wenig Gegenliebe gestoßen sind. Auch in Frankfurt am Main gab es Ärger. In München waren die Obikes im Sommer 2017 schnell als Schrotträder verschrieen. Auf einen Schlag hatte die Firma dort 6000 Räder platziert. Schnell gingen einige kaputt, andere landeten auf einem Haufen im Englischen Garten.

In Berlin gibt es nach Angaben des Senats zwischen 12 000 und 14 000 Leihräder. Mobike, im November mit 700 Stück gestartet, will bald 10 000 Räder in Berlin einsetzen. Und auch das Pekinger Unternehmen Ofo will mit 10 000 Rädern in die Hauptstadt kommen.

Drohen also bald Fahrradhaufen? Ein Problem mit den Mieträdern gebe es bislang nicht, sagt ein Mitarbeiter vom Ordnungsamt in Prenzlauer Berg, zu dessen Revier der Helmholtzplatz gehört. „Ab und zu steht vielleicht mal eines direkt vor einem Laden. Aber ansonsten ist das doch was Schönes.“ Die Gelassenheit hat vermutlich auch etwas mit den breiten Straßen in Prenzlauer Berg zu tun. Selbst wenn einmal ein Rad auf dem Boden liegt, kommen alle noch bequem drum herum.

Die Verkehrsverwaltung arbeite an einem Leitfaden, der den Bezirken helfen soll, gegen das wilde Abstellen von Leihrädern vorzugehen, sagt Sprecher Matthias Tang. Stehen zu viele auf einem Fleck, könne man ein - kostenpflichtiges - Sondernutzungsrecht ableiten. Hamburg ist damit allerdings gescheitert.

Zum eigenen Erstaunen hat die Flut der Räder zumindest Nextbike bisher nicht geschadet. Die Zahl der Ausleihungen sei sogar gestiegen, sagt Sprecherin Mareike Rauchhaus: von 15 146 im Dezember auf 17 948 im Januar. Die bisherigen Februar-Zahlen ließen auf weitere Zunahme schließen. Die Bahn nannte keine Zahlen. Ein Rückgang sei auch bei ihr bisher aber nicht zu spüren, sagte eine Sprecherin.

Die Vielzahl an verfügbaren Leihfahrrädern trage dazu bei, dass Bikesharing stärker wahrgenommen werde. Der aggressive Markteintritt mit einer „über die Maßen hinaus vertretbaren Angebotssteigerung“ drohe aber das bislang gute Image von Leihfahrrädern zu beschädigen.

Rauchhaus führt die steigende Nachfrage auch auf die Qualität der Räder und besseren Service bei Nextbike und Lidl-Bike zurück. Ihr Unternehmen setze in Berlin 20 Mitarbeiter für Pflege und Wartung ein. Zumindest bis alle Stationen aufgebaut sind, können bei Nextbike - wie bei den anderen Firmen - die Räder beliebig abgestellt werden; meist innerhalb des S-Bahn-Rings. Bitten der Unternehmen, die Räder so zu platzieren, dass sie nicht stören, werden aber oft schon beim ersten Aufstellen durch die Firmen missachtet.

Wesentlich enger als in Prenzlauer Berg ist es in Kreuzberg rund um das Kottbusser Tor. Auch hier stehen an jeder Straßenkreuzung Mieträder. Dabei sind die Gehwege schmal, mit Tischen der Lokale vollgestellt und stark frequentiert. „Das ist hier doch wirklich der schlechteste Ort in Berlin, um Räder abzustellen“, sagt Dietmar Höffner, der oft im Kiez unterwegs ist. „Von mir aus kann ja jeder machen, was er will, solange er nicht andere gefährdet. Aber diese Räder hier ragen doch in den Weg rein, das ist nur eine Frage der Zeit, bis jemand darüber stolpert.“

Auch Mustafa Özkan, der ein türkisches Restaurant in der Adalbertstraße leitet, sieht die vier Leihräder vor seinem Laden nicht gern. „Die Leute hier sind nicht besonders aufmerksam“, sagt er. Irgendwann werde jemand die Räder kaputt machen oder mit ihnen die parkenden Autos beschädigen. Der 53-Jährige versteht nicht, warum die Firmen sich ausgerechnet hier ein gutes Geschäft erhoffen. „Das ist doch schade um die schönen Räder. Am Kotti sind so viele verrückte Menschen unterwegs. Die werden sich die Räder unter den Nagel reißen.“

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