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Haasenburg-Skandal: „Ich entschuldige mich“

Brandenburgs Bildungsministerin Münch räumt nach dem Haasenburg-Skandal Fehler bei der Heimaufsicht ein. Weil Kinder jederzeit Opfer werden konnten, ihnen aber niemand geglaubt hat

Sie sprach mit leiser Stimme, aber wie Hammerschläge hallten die Worte durch den Raum. Als Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch (SPD) am Mittwoch in der Staatskanzlei auf einer Pressekonferenz verkündete, welche weiteren Konsequenzen aus dem Haasenburg–Skandal gezogen werden, sagte sie Sätze wie diese: „Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen haben die Erfahrung gemacht, dass sie jederzeit Opfer von Misshandlungen durch Mitarbeiter werden können.“ Kurze Pause. „Und sie haben die Erfahrung machen müssen, dass man ihnen hinterher nicht glaubt.“ Und dann sagte Münch, selbst Mutter von sieben Kindern, das: „Ich entschuldige mich bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen, dass wir sie nicht besser haben schützen können.“ So geschehen mitten in Deutschland in den Jahren 2007 bis 2013 in Brandenburg, im Geltungsbereich des Grundgesetzes.

Der Skandal hatte letztes Jahr bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. In den drei brandenburgischen Heimen der privaten Haasenburg GmbH, in denen zu Hochzeiten rund 114 Kinder und Jugendliche aus der ganzen Bundesrepublik untergebracht waren, hatte es jahrelang Übergriffe gegeben. Bei der Cottbuser Staatsanwaltschaft laufen immer noch rund 70 Verfahren. Die Heime sind mittlerweile dichtgemacht, die Kinder und Jugendlichen von den Jugendämtern zurückgeholt, anderswo untergebracht. Das hat Münch trotz juristischer Risiken durchgesetzt, nachdem eine von ihr eingesetzte externe Expertenkommission im Herbst 2013 feststellt hatte, dass schon das Konzept darauf angelegt war, die Schützlinge zu brechen. Und Münch hatte daraufhin, so wie es die Experten empfohlen hatten, Versäumnisse des Ministeriums und des Landesjugendamtes gesondert unter die Lupe nehmen lassen. Diese Untersuchungsergebnisse stellte die Ministerin nun vor. Ihr Stuhl hatte anfangs wegen des Skandals gewackelt, sie gewann dann aber wegen ihres konsequenten wie auch selbstkritischen Krisenmanagements – es unterscheidet sich von dem ihres Kabinettskollegen Ralf Christoffers – deutlich an Statur.

Danach hat es zwar keine Rechtsverstöße von Landesjugendamt und Ministerium gegeben, sodass nach ihren Worten dienstrechtliche Schritte nicht nötig waren, aber es gab schwere hausgemachte Versäumnisse. So sei das 2009 verhängte Verbot von Fixierliegen, auf denen Kinder und Jugendliche auch als Bestrafung stundenlang festgeschnallt wurden, zwei Jahre zu spät erfolgt, sagte Münch. Denn schon damals habe es Hinweise auf Missbrauch gegeben. Insgesamt sei das rasante Wachstum der Haasenburg-Heime, für den Träger wegen der Tagessätze von teils 500 Euro pro Kind ein erträgliches Geschäft, von der Aufsicht nicht genügend begleitet und kontrolliert worden. Und Hinweisen, dass in der Haasenburg nicht ausreichend Personal eingesetzt wurde, sei nicht konsequent nachgegangen worden. „Die Steuerung durch das Ministerium war nicht hinreichend“, sagte Münch.

Als Konsequenz kündigt sie am Mittwoch an, dass die Heimaufsicht von drei auf fünf Mitarbeiter aufgestockt und reformiert wird. „Dazu zählen dann auch unangemeldete Kontrollen.“ Es werde auf Landesebene eine Beschwerdestelle für Bewohner von Heimen eingerichtet. Und Brandenburg will eine Bundesratsinitiative starten, die Rechtsgrundlagen für geschlossene Heime zu verschärfen. Die Möglichkeiten zur Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen für Jugendliche ohne Haftstrafe im bundesweit geltenden Sozialrecht müssten neu geregelt werden, sagte Münch. Dem bisherigen „Verschiebebahnhof zwischen den Bundesländern“ müsse ein Ende gesetzt werden.

Tatsächlich handeln Behörden und Gerichte bei der geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in einer rechtlichen Grauzone. Es gibt keine Gesetzesvorgaben für die Umsetzung in Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen. Bereits im August hatte Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke) beklagt, dass es keinen rechtlichen Rahmen gebe, wie etwa für Gefängnisse, den Maßregelvollzug, die Psychiatrie oder Jugendhaftanstalten. Wenn man die geschlossene Unterbringung überhaupt wolle, müsse deren Vollzug geregelt werden. Das will Münch nun bundeseinheitlich neu regeln und prüft zudem auch, ob das Land eigene Vollzugsmaßgaben aufstellen kann

Doch prompt begann die politische Debatte, ob dies reicht. Während die Koalitionsfraktionen SPD und Linke mit Respekt auf die Entschuldigung von Münch reagierten, die Maßnahmen begrüßten, gab es von der Opposition allein Kritik.

„Aufklärung sieht anders aus“, sagte die Grünen-Abgeordnete Marie-Luise von Halem. Und sprach vom Versuch der Ministerin, „sich reinzuwachsen und im Dschungel der Zuständigkeiten zu verstecken“, wenn angeblich die Behörden stets formal korrekt gearbeitet haben sollen. „Das heißt im Klartext, es sind Kinder gequält worden und keiner will verantwortlich gewesen sein.“ Fehleranalyse müsse man mit der Lupe suchen. Und der CDU-Bildungsexperte Gordon Hoffmann kritisierte, dass „die Frage der politischen Verantwortung nicht geklärt“ worden sei, obwohl die „staatliche Aufsichts- und Fürsorgepflicht eklatant verletzt“ wurde. Es sei „lächerlich, eine monatelange interne Untersuchung durchzuführen, um dann festzustellen, dass drei Mitarbeiter für 400 Heime nicht ausreichen“. Allerdings hatte die CDU sich anfangs gegen die Schließung der Haasenburg-Heime ausgesprochen und Münch überzogenes Vorgehen vorgeworfen.

Als Aufbewahrungsland für Problemfälle von Jugendämtern der ganzen Bundesrepublik fällt Brandenburg aber künftig aus. Im Land gibt es nur noch eine Einrichtung mit vier Plätzen. Und sollte erneut ein privater Betreiber mit einem Konzept für geschlossene Heime anklopfen, hätte er keine Chance, wie Münch auf der Pressekonferenz sagte: „Wir haben noch einiges aufzuarbeiten, zu klären, zu verändern.“ (mit axf)

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