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Zuhören, trösten, Pflaster drauf. Seit Februar 2017 läuft an 20 Schulen im Land Brandenburg das Modellprojekt mit den Schulkrankenschwestern. 

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: Gesundheit macht schlau

Schulkrankenschwestern? Nicht in Deutschland. Ein Modellversuch in Brandenburg soll das ändern.

Von Sandra Dassler

Cottbus/Potsdam - Der kleine Max (Name geändert) kommt mit schmerzverzerrtem Gesicht ins Krankenzimmer: „Ich hab’ schon wieder Bauchschmerzen“, jammert er. Sybille Rudnik nickt verständnisvoll. „Da wollen wir doch mal sehen, ob unsere Medizin von letzter Woche wieder hilft.“ Max strahlt, als er das angewärmte Kirschkernkissen auf den Bauch und den großen Teddy in den Arm bekommt.

„Ein paar Minuten darf er sich ausruhen“, sagt Sybille Rudnik und widmet sich den Unterlagen für ihr Projekt in der 6. Klasse. „Da geht es um gesunde Ernährung“, sagt sie. „Jetzt im Herbst mit seinen Erkältungskrankheiten werde ich – auch auf Wunsch vieler Lehrer – noch die Hygiene dazunehmen.“ Sie lächelt. „Es gibt da so eine Creme, die leuchtet unter einer UV-Lampe, wenn man die Hände nicht richtig gewaschen hat. Das ist für die Kinder total spannend.“

Deutschland hinkt hinterher

Rudnik ist Schulkrankenschwester – ein Beruf, den es in den USA und in nahezu allen europäischen Ländern längst gibt, nur nicht in Deutschland und Österreich. „In Brandenburg läuft nun seit Februar 2017 an 20 Schulen ein Modellprojekt“, sagt Angela Schweers, Vorstandsvorsitzende des AWOBezirksverbands Potsdam. Seit mehr als zehn Jahren kämpft sie für Schulkrankenschwestern, oder wie es politisch korrekt und gegendert heißt: Schulgesundheitsfachkräfte.

„Seit 2007 treibt mich das Thema Kinderarmut um“, erzählt sie. „Deshalb haben wir damals begonnen, kostenloses Frühstück für Schüler anzubieten, und dabei festgestellt, dass sie eigentlich noch viel mehr brauchen, um wirklich gesund durch den Schultag zu kommen.“ Viele hätten sie unterstützt, sagt Angela Schweers – Wissenschaftler, Schulen und Schulämter, Kliniken, vor allem auch die AOK Nordost und die Unfallkasse. Es war ein langer Weg: So musste ein Tätigkeitsprofil erstellt und nachgewiesen werden, dass es Interessenten gibt. 

Gesundheitsministerium war dem Projekt gegenüber aufgeschlossen

„Das sind vor allem Menschen, die ganz aus der Krankenpflege aussteigen, weil sie aus verschiedenen Gründen keine Schichtarbeit mehr machen können“, sagt die AWO-Chefin. Es folgten Machbarkeitsstudien, Austausch mit Schulkrankenschwestern in Finnland und Polen, Fachtagungen und Beratungen unter anderem mit der Berliner Charité, die das Projekt medizinisch begleitet, und immer wieder Gespräche mit Politikern. Alle Brandenburger Gesundheitsminister seien sehr aufgeschlossen gewesen, doch die Entscheidung fällte Martina Münch, die heute das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur leitet.

Nachdem die ersten Schulgesundheitsfachkräfte ausgebildet worden waren, startete das Projekt im Februar 2017. Sybille Rudnik hatte schon frühzeitig davon gehört und als dreifache Mutter auch selbst immer wieder festgestellt, dass so etwas schlicht fehlte. Die gelernte Krankenschwester sprach selbst Schulleiter in ihrer Heimatstadt Cottbus an und stieß auf großes Interesse. „Die haben bei einer anstehenden Sanierung gleich ein Krankenzimmer mit eingeplant“, sagt sie. Dort ist jetzt ihr Arbeitsplatz – an einer großen Grundschule in einem sozialen Brennpunkt und in einer kleineren Schule, die vor allem Kinder aus Mittelstandsfamilien besuchen.

Hilfe im Kampf gegen Übergewicht

Seither versorgt sie kleine und größere Wunden, kümmert sich um Impfungen, bereitet Schüler auf ärztliche Untersuchungen vor, hält Vorträge und wird oft schon am Schultor begrüßt. „Da gibt es Mädchen, die in der 3. Klasse und schon stark übergewichtig sind, denen ich beim Abnehmen helfe“, erzählt sie: „Drogen habe ich bisher – abgesehen von Zigaretten – noch nicht gehabt. Aber es gibt auch in der Grundschule richtig schlimme Dinge: Kinder, die sich ritzen, um den seelischen Schmerz zu übertönen, den sie eigentlich haben, weil ein Elternteil alkoholkrank oder depressiv ist. Oder Schüler, die regelrecht austicken und nur schwer beruhigt werden können.“ In besonders schwierigen Fällen tauscht sich Sybille Rudnik mit den Schulsozialarbeitern, einem Schul- oder Kinderpsychologen oder auch mit den anderen Schulgesundheitsfachkräften aus – oft anonym.

Viele Eltern seien froh, dass ihr Kind nun von einer ausgebildeten Fachkraft betreut werde – besonders, wenn es um chronisch kranke Schüler geht, beispielsweise Diabetiker. „Die haben oft noch Schwierigkeiten, die richtigen Brot- oder Kohlehydrateinheiten zu berechnen und die Insulinpumpe entsprechend zu dosieren.“

Aber auch Eltern, die wegen einer akuten Verletzung oder Krankheit angerufen werden und nicht gleich losrennen müssen, weil sie ihr Kind im Krankenzimmer gut versorgt wissen, schätzen die Schulkrankenschwester sehr.

Eineinhalb Jahre waren zu kurz

„Wir haben tatsächlich sehr viel positives Feedback von allen Seiten“, sagt Angela Schweers. „Dass wir dennoch das Modellprojekt noch einmal verlängern wollen, liegt daran, dass eineinhalb Jahre zu kurz sind, um alle Bereiche, vor allem die jetzt schon nachweisbaren verbesserten Lernergebnisse, nachhaltig zu belegen. Wir hoffen sehr, dass wir die notwendigen Mittel erhalten, wenn der Landtag im Dezember den neuen Haushalt beschließt. AOK und Unfallkasse haben ihre Unterstützung schon zugesagt. Die dauerhafte Finanzierung können sie nicht leisten.“

Auch Sybille Rudnik hofft, dass aus dem Modellprojekt bald Alltag in ganz Brandenburg und Deutschland wird. „Ich habe gehört, dass sich auch andere Bundesländer dafür interessieren“, sagt sie. Sie schaut auf die Uhr. „So, jetzt müssten die Bauchschmerzen weg sein, oder?“ Max zögert kurz, dann nickt er. „Super, dann schaffst du ja noch die Hälfte der Stunde“, sagt Sybille Rudnik. Max streichelt noch kurz den Teddy, dann geht er tapfer zurück ins Klassenzimmer. „Vor allem Kinder aus sozial schwachen oder zerstrittenen Familien suchen manchmal einfach nur ein wenig Wärme und Streicheleinheiten“, sagt Sybille Rudnik. „Anderen ist wirklich schlecht, weil sie wieder nichts gefrühstückt und oft nicht mal etwas getrunken haben.“ Deshalb hat die Schulkrankenschwester immer Gebäck im Schrank. Und jeden Morgen kocht sie als Erstes eine Kanne Tee.

Mehr Infos zum Thema gibt es auch hier.

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