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Streng bewacht. Im und vor dem Landtag in Potsdam sicherten Polizisten am Montag den NSU-Untersuchungsausschuss. Die Gefahr von Racheakten aus der rechten Szene an dem Zeugen und früheren V-Mann „Piatto“ ist nach wie vor groß.

© Bernd Settnik/dpa

Brandenburg: Gehacktes vom V-Mann-Führer

Im Brandenburger NSU-Ausschuss berichtet Kronzeuge „Piatto“ viel über seine lockere Zeit im Gefängnis und wenig über den versuchten Mord, den er gemeinsam mit anderen Neonazis beging

Potsdam - Er hat eine angenehme Stimme. Nicht zu hoch, nicht zu kratzig, nicht dumpf. Mit der Stimme könnte er auch im Radio die Wetterprognose verlesen. Aussicht: überwiegend heiter. Es ist die Stimme eines wegen versuchten Mordes verurteilten früheren Neonazis. Mit dieser sympathisch klingenden Stimme spricht Carsten Szczepanski im NSU-Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags über den Mordversuch an einem Nigerianer im Jahr 1992 in Wendisch-Rietz (Oder-Spree). Darüber, wie er sich in der anschließenden Haft dem Brandenburger Verfassungsschutz andiente und zum V-Mann „Piatto“ wurde. „Piatto“, der 1998 Hinweise zum späteren Terrortrio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gab, ist der Kronzeuge in dem seit fast zwei Jahren laufenden Brandenburger Untersuchungsausschuss.

Für die Öffentlichkeit ist „Piatto“ am Montag nur „the voice“, die Stimme. Seine Vernehmung wird akustisch in einen anderen Saal des Landtags übertragen. Nur die Ausschussmitglieder können ihn sehen. Aus Sicherheitsgründen. Szczepanski, der mittlerweile einen anderen Namen trägt, ist seit seiner Enttarnung durch einen „Spiegel“-Artikel im Jahr 2000 im Zeugenschutzprogramm. Die Gefahr von Racheakten aus der rechtsextremistischen Szene an dem Seitenwechsler ist zu groß. Mehrere Polizeiwagen stehen vor dem Landtag, der Zugang zum Vernehmungsraum ist mit einem Flexiband abgesperrt, auch hier stehen Polizisten, um Szczepanski von den Augen der Öffentlichkeit abzuschirmen.

Der heutige Endvierziger wächst in Berlin-Neukölln auf, mit 17 fliegt er aus dem sozialdemokratischen Elternhaus. „Ich war nicht der typische Hitler-Fan“, sagt Szczepanski als spreche er über eine jugendliche Schwärmerei, das Sammeln von Panini-Bildchen. Über die rechte Musik- und Skinheadszene in Westberlin sei er schließlich politisiert worden. In den späten 1980ern wird er Mitglied der 1992 verbotenen Nationalistischen Front, einer rechtsextremen Organisation, die seit Mitte der 1980er versuchte, Kontakte in die Skinhead-Szene der DDR aufzubauen. Auch bei der NPD wird er Mitglied. Nach der Wende geht er nach Königs Wusterhausen, etabliert sich dort schnell in der Szene, will einen deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klan aufbauen, was aber nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei. „Die Szene vor Ort fand es eher belustigend, mit Laken durch die Gegend zu laufen“, sagt er mit sanfter Stimme.

Die Stimme passe zu seiner Erscheinung sagen die Abgeordneten, die Mimik und Gestik verfolgen können, in einer Pause. Der frühere militante Neonazi wirke nicht unangenehm. Mit Kapuzenpullover sitze er im Ausschuss. „Der ist nicht doof“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Jan Redmann. Der frühere Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes, Heiner Wegesin, hatte kürzlich im Ausschuss etwas anderes gesagt: Piatto sei „nicht die hellste Kerze auf der V-Mann-Torte“ gewesen.

Diesen Eindruck gewinnen die Zuhörer nicht, auch wenn der Realschulabsolvent schnell betont, in Chemie keine große Leuchte gewesen zu sein. In seinem Schlafzimmer, noch in Berlin, lagerte Flüssigkeit zum Rohrbombenbau. Tatsächlich Sprengstoff herstellen, nein, das habe er nicht vermocht mit seiner 4 in Chemie. Das Verfahren wurde seinerzeit eingestellt.

Szczepanski scheint genau zu wissen, was er preisgeben kann und was nicht. Er redet reflektiert. 2014 hatte er bereits im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München als Zeuge ausgesagt. Was er in Potsdam berichtet, geht, zumindest was den NSU angeht, darüber nicht hinaus. Im Herbst 1998 gab der V-Mann Hinweise über Bewaffnungs- und Überfallpläne eines untergetauchten Neonazi-Trios, das heute als Nationalsozialistischer Untergrund bekannt ist. Ein aus den Medien bekanntes Trio solle versuchen, sich nach Südafrika abzusetzen, soll Szczepanski gemeldet haben. Informationen, die beim Brandenburger Verfassungsschutz versanden, nicht mit Nachdruck weitergegeben worden sein sollen. Seine Kenntnisse erlangte Szczepanski über Kontakte zur Chemnitzer Neonazi-Szene. Als Freigänger machte er ein Praktikum in einem Neonazi-Laden im Erzgebirge, bei einem Ehepaar, das mutmaßlich den NSU unterstützte. Er selbst habe diesen Informationen gar keine so große Bedeutung zugeschrieben, sagt Szczepanski heute. Persönlich getroffen habe er Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nie.

Erhellender sind die Ausführungen, die Szczepanski zu den Zuständen in der JVA Brandenburg/Havel, den nicht stattfindenden Kontrollen, und zum Agieren des Brandenburger Verfassungsschutzes in den 1990ern macht. Er selbst habe sich in einem Brief aus der Haft dem Verfassungsschutz als Informant angeboten, sagt Szczepanski.

Die Angaben zum Zeitpunkt sind widersprüchlich. Das müsse 1991 gewesen sein, sagt er. Aber der Mordversuch an dem Nigerianer fand erst 1992 statt, die Haft für diese Tat trat er 1994 an. Er habe mit seiner Offerte einen Schlussstrich unter seine rechtsextreme Vergangenheit ziehen wollen. Es sei ihm um Wiedergutmachung gegangen, sagt der einstige Top-Informant. Doch zu dem Mordversuch in Wendisch Rietz sagt er mit Wettervorhersagerstimme: „Meine Schuld war, dass ich Teil der Gruppe war. Ich habe nicht versucht, es zu beenden.“ Mehrere Neonazis prügelten den Nigerianer Steve E. in der Dorfdisko fast tot. Sein Anwalt, der Name sei ihm entfallen, habe sich damals bei dem Opfer entschuldigt.

Als V-Mann pflegte Szczepanski weiter beste Kontakte zur rechten Szene, besuchte Neonazi-Konzerte, verfasste in der JVA Brandenburg/Havel unbehelligt ein Fanzine, ein Szenemagazin. Das Verhältnis zu seinem V-Mann-Führer, der ihn etwa einmal pro Woche in der Haft besucht habe, bezeichnet er als ausgesprochen angenehm. „Das hatte mehr so dieses Sozialarbeiterfeeling“, sagt „Piatto“. Sein Vertrauter beim Verfassungsschutz habe ihm Kakaopulver, Schokolade und Gehacktes in die JVA gebracht. Und einmal auch ein T-Shirt der neonazistisch-terroristischen Organisation Combat 18, was so viel bedeutet wie „Kampftruppe Adolf Hitler“. Er, der angeblich Geläuterte, schrieb seinem V-Mann-Führer Briefe, unterzeichnete sie laut Ausschussakten mit „88, Deine Carsten“. Daran könne er sich gar nicht erinnern, sagt der Mann, der nie so der typische Hitler-Fan gewesen und auch über den NSU eigentlich gar nicht viel gewusst haben will.

Er sagt es mit freundlicher Radiomoderatorenstimme.

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