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Gegen den Brandenburg-Trend: OB-Wahl in Potsdam: Wie die SPD ihre Hochburg verteidigen will

In Brandenburg verliert die SPD an Zuspruch. In der Landeshauptstadt will sie ihre kommunale Hochburg verteidigen. Doch in der Stadtpolitik hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.

Potsdam - Am 8. Juli ist Mike Schubert schnell wie nie durchs Potsdamer Rathaus gerannt. Der Mann, den er beerben will, Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), gab im neuen Lustgarten den Startschuss. Beim Urban Trail ging es mitten durch Potsdam, die Laufstrecke führte durch wichtige Gebäude wie das Museum Barberini, auch durchs Stadthaus. „Läuft für Potsdam!“ stand auf dem roten Trikot, mit dem SPD-Kandidat Mike Schubert durch die Stadt gestürmt ist, deren Oberhaupt er in acht Wochen werden will.

Am 23. September wird in der Landeshauptstadt ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Seit der Wende regieren die Sozialdemokraten unangefochten in Potsdam. Auf Landesebene läuft es nicht mehr gut für die SPD. Die Umfragewerte der selbsternannten „Brandenburg-Partei“ sind auf dem Tiefpunkt. Gegen diesen Trend rennt Schubert an. Und gegen die Kandidaten von CDU, Linke, Grünen, AfD und der linksalternativen Wählergruppe Die Andere. Die müssen sich aber erst warmlaufen, die heiße Phase des Wahlkampfs hat noch nicht begonnen.

Die Potsdamer Probleme sind aus Sicht anderer kreisfreier Städte in Brandenburg eigentlich keine

Der 44-jährige Schubert rennt nicht nur im Sporttrikot, auch im Anzug saust der Potsdamer Sozialbeigeordnete durch die Stadt, von einem Termin zum nächsten, immer dokumentiert bei Facebook und Twitter. Von Parteigenossen wird er - schon seit der Zeit der parteiinternen Vornominierung, als sich Schubert gegen Kämmerer Burkhard Exner durchsetzte - hinter vorgehaltener Hand „Speedy Gonzales“ genannt. Nach jener Zeichentrick-Maus, die sich immer wieder mit dem Ausruf „Arriba! Arriba! Andale! Andale!“ selbst anfeuert, bevor sie davonflitzt. Bewunderung spricht daraus ob des Pensums, das Schubert absolviert. Aber auch leicht genervtes Kopfschütteln über womöglich übertriebenen Ehrgeiz. Aber am Ende siegt doch die Hoffnung, dass „Speedy“ das Rennen macht, die Landeshauptstadt rot bleibt.

Jann Jakobs, der 2002 Matthias Platzeck nach dessen Aufstieg ins Ministerpräsidentenamt beerbte, hört nach 16 Jahren auf. Nachdem in Brandenburg die Altersgrenze für Bürgermeister gekippt wurde, hätte der 64-Jährige weitermachen können. Doch im März 2017 kündigte er - für viele überraschend zu diesem frühen Zeitpunkt - seinen Rückzug an. Jakobs, der auch Präsident des Städte- und Gemeindebundes in Brandenburg ist und schon wegen der räumlichen Nähe gute Kontakte zur Landespolitik hat, läuft sich gerade aus, dreht die letzten Runden, macht den entspannten Startschussgeber für nette Events wie den Urban Trail. Es sei eine persönliche Entscheidung gewesen, hatte er bei seiner Rückzugsankündigung erklärt. Die Partei habe ihn überreden wollen, noch einmal anzutreten. Aber aus seiner Sicht ist das Feld bestellt. In der Tat sind die Potsdamer Probleme aus Sicht anderer Kommunen, der klammen kreisfreien Städte etwa, eigentlich keine. In Frankfurt (Oder) setzte sich im März René Wilke, der erst 33 Jahre alte Landtagsabgeordnete der Linken, in seiner Heimatstadt gegen den parteilosen Amtsinhaber Martin Wilke durch. Diesem wurden vor allem die wirtschaftlichen Misserfolge der Stadt angekreidet. Der SPD-Bewerber holte in Frankfurt nur blamable fünf Prozent, lag deutlich hinter AfD und CDU.

Von Wechselstimmung ist bislang nichts zu spüren

Das wie Brandenburg/Havel CDU-regierte Cottbus wiederum kämpft spätestens seit Jahresanfang mit dem Image, die teils gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Migranten und Einheimischen nicht in den Griff zu bekommen, eine Stadt ohne die viel beschworene Willkommenskultur zu sein.

In Potsdam setzt sich seit Jahren ein Bündnis von Parteien und Institutionen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ein - angeführt vom SPD-Oberbürgermeister. Das Bündnis demonstrierte so lange, bis der örtliche Pegida-Ableger Pogida irgendwann seine Aktionen in der Stadt aufgab. Potsdam gibt sich weltoffen, ein Credo Jakobs. Dafür stand er. Potsdam ist beliebt bei Familien, Kreativen, Wissenschaftlern, Menschen aus anderen Kulturen. Doch das, was Potsdam ausmacht, ist gleichzeitig das Problem der Stadt: Zuzug, Zuzug und nochmal Zuzug. Mit den bekannten Begleiterscheinungen, seit Jahren: zu viel Verkehr, zu wenig bezahlbare Wohnungen, fehlende Kita- und Schulplätze. Aktuell zählt die größte Stadt Brandenburgs 177 114 Einwohner, 1999 waren es nur 129 000.

Aber, und daran kann auch das beste Wahlprogramm nichts ändern: Potsdam ist eine Insel. Die Möglichkeiten der Ausdehnung ins Umland, der Verkehrsumfahrungen etwa, sind begrenzt. Die Lösungen, die die Kandidaten für die Verkehrsproblematik anbieten werden, dürften für den Wähler kaum unterscheidbar sein. Auf öffentlichen Personennahverkehr setzen - eine Binse. „Sie werden von allen Ähnliches hören. Wir unterscheiden uns allenfalls in Nuancen“, bekundete die Kandidatin der Grünen, Janny Armbruster, neulich auf einer Podiumsdiskussion mit allen OB-Kandidaten. Und - da neigt der Potsdamer zum Pragmatismus - wenn eh alle Ähnliches bieten, dann kann auch alles so bleiben, wie es ist. Von Wechselstimmung ist bislang nichts zu spüren.

Wachstum der Stadt und Kitas als Wahlkampfthemen

Zum Wahlkampfthema dürfte neben der Zuzugsproblematik der Streit um die Kitagebühren werden. Bei dem Thema lag Schubert anfangs qua Amt als Sozialdezernent vorn. Das könnte sich nun ändern. Zum einen geht es um Rückzahlungen an Eltern wegen seitens der Stadt falsch berechneter Beiträge. Schubert hat diese Rückzahlungen versprochen. Passiert ist bislang nichts. Zum anderen geht es um von Schubert vorangetriebene Vorleistungen der Stadt für bessere Betreuungsqualität in den Kitas. Dafür sollten für 2018 viereinhalb Millionen Euro fließen. Passiert ist, wie Linke und CDU kritisieren, auch hier lange nichts. Inzwischen steht das Geld im Haushalt bereit, kann von den Kita-Trägern abgerufen werden. Die Stadt hatte den Plan, sich das Geld vom Land zurückzuholen, aber das denkt gar nicht daran, freiwillig einen Kotau zu machen. „Da haben wir mit Zitronen gehandelt“, erklärte der amtierende OB Jakobs unlängst bei einer Pressekonferenz des Städte- und Gemeindebundes. Das kann man als leise Kritik an Schubert deuten, der mal wieder den Speedy gab. Schubert ist in mehrfacher Hinsicht ein Schnellläufer. Erst im September 2016 wurde der frühere SPD-Stadtfraktionschef zum Sozialdezernenten ernannt. Zuvor arbeitete er im Innenministerium als Referatsleiter für Brand- und Katastrophenschutz. Dass er den wichtigen Dezernentenposten nun schon wieder verlassen will, nach Höherem strebt, wurde ihm, auch innerhalb der SPD, nicht nur positiv ausgelegt.

Speedys Gegner im Trickfilm sind die cholerische Ente Daffy Duck und der gierige, tollpatschige Kater Sylvester. Ähnlichkeiten mit real existierenden Kandidaten sind nicht zu erkennen. Bislang hieß das Duell in Potsdam traditionell SPD gegen Linke. Dreimal gab es eine Stichwahl zwischen Rot-Rot, jedes Mal setzte sich der SPD-Kandidat durch, wenn auch zweimal denkbar knapp. CDU und Grüne kamen nie auch nur in die Reichweite - obwohl Potsdam, die Zuzugsstadt, kein schlechtes Pflaster wäre. Es gibt Unternehmer in Potsdam genauso wie eine Klientel für die Grünen, die in Brandenburg in Städten mehr Anhänger haben als in ländlichen Regionen. Und trotzdem: Potsdam blieb rot.

Schadet Die Andere der Linken?

Die Linke setzt nach zwei Anläufen mit dem Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Scharfenberg diesmal auf eine Frau, parteilos, schickt die Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth ins Rennen. Das könnte man als Mangel an Parteipersonal auslegen, wird bei der Linken aber als Zeichen der Öffnung verkauft. Mal was anderes, keiner aus der alten Garde. Problem nur: Mit Lutz Boede geht für die linksalternative Wählergruppe „Die Andere“ ein stadtbekannter Aktivist, der sich zum Beispiel für die Erhaltung von DDR-Bauten in der Potsdamer Mitte einsetzte, in den Wahlkampf. Er dürfte so manche Stimmen der in Potsdam ausgeprägten jungen alternativen Szene auf sich vereinen, die sonst wohl die Linke gewählt hätte. Deswegen dürfte die spannendste Frage bei dieser Wahl sein: Gibt es wieder die traditionelle Stichwahl zwischen SPD und Linke oder werden die Karten doch einmal etwas anders gemischt?

Mit Janny Armbruster, die an der Uni Potsdam für Alumni-Arbeit und Fundraising zuständig ist, haben auch die Grünen eine Frau aufgestellt, die in der Stadtpolitik versiert ist. Eine jüngere Frau, das hätten sich, so heißt es zumindest, auch manche in der CDU gewünscht, aber die setzt nun auf Götz Friederich, Jahrgang 1962, Mitinhaber einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei, der zumindest beim Twitter-Rennen meist hinter Schubert liegt, der hier ein Foto postet und da ein Event kommentiert, sodass man sich manchmal im Wettrennen von Hase und Igel wähnt: „Ich bin schon hier!“

AfD und Linkspartei in Potsdam fast gleichauf

Bei der Umfrage von infratest dimap im Auftrag des rbb im April lagen SPD und CDU in Brandenburg gleichauf bei 23 Prozent. CDU-Landeschef Ingo Senftleben will neuer Ministerpräsident werden, doch diese Kampfansage der Union dürfte Friederich wenig nutzen - anders als Schubert ist er landespolitisch wenig vernetzt.

Für die AfD tritt der 28 Jahre alte Stadtverordnete Dennis Hohloch an, ein Geografie- und Geschichtslehrer. Früher - und das zeigt vielleicht, warum sich Schubert trotz aller Wählerbehäbigkeit nicht ausruhen kann - war Hohloch Sozialdemokrat. Die SPD habe er im Jahr 2013 enttäuscht verlassen, erklärte Hohloch jüngst in einem PNN-Interview. Zusehends hätten ihn „antideutsche Parolen und Haltungen, vor allem in den Reihen der Jusos“ angewidert. Auch im roten Potsdam, das sich einst gegen Pogida stellte, gewinnt die AfD an Zulauf, wenn auch nicht vergleichbar mit anderen Regionen Brandenburgs. Wäre aktuell Bundestagswahl, wäre der Direktkandidat im Potsdamer Wahlkreis auf Platz drei gelandet - hinter den Kandidaten von SPD und CDU, ergab die jüngste Umfrage der Plattform wahlprognose.de. Die AfD vor der Linkspartei in Potsdam - das wäre noch vor Kurzem unvorstellbar gewesen.

Doch wenn nicht einer der anderen Kandidaten einen grandiosen Spurt hinlegt, auf den letzten Metern eine Wechselstimmung erzeugt, dürfte in Potsdam politisch alles so bleiben wie es ist - dem schlechten Brandenburg-Trend der SPD zum Trotz. Warum, das trägt ihr Kandidat Schubert plakativ auf seinem Shirt vor sich her: „Läuft für Potsdam!“ Die ganz großen Probleme anderer Regionen gibt es ja nicht. Aber ein Selbstläufer wie bei Comic-Speedy, das dürfte Team Schubert klar sein, ist dieser Wahlkampf trotz allem nicht.

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