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Demonstration vor dem Gerichtsgebäude.

© Sebastian Gabsch

Update

Frauen demonstrieren in Potsdam: Verfassungsgericht Brandenburg verhandelt über Paritätsgesetz

Parteien in Brandenburg sind verpflichtet, die Wahllisten zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. AfD und NPD gehen dagegen vor. Vor dem Gericht gibt es Proteste.

Potsdam - Vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg wurde am Donnerstag über das Paritätsgesetz verhandelt, das vorsieht, Kandidatenlisten vor Wahlen im Wechsel mit Männern und Frauen zu besetzen. Die Fraktionen von NPD und AfD hatten Organklage erhoben, zudem hatten die AfD-Landtagsabgeordneten Lena Duggen, Birgit Bessin, Andreas Kalbitz und Daniel Freiherr von Lützow Verfassungsbeschwerden eingelegt. Sie sehen ihr passives Wahlrecht durch das Gesetz beeinträchtigt. Das Gericht will sein Urteil am 23. Oktober verkünden.

NPD fürchtet um Chancengleichheit

m Kern rügen die Gegner des Paritätsgesetzes, dass die Grundsätze der freien Wahl verletzt würden; Parteien könnten nicht mehr frei disponieren, wen sie auf die Listenplätze setzen. Im Gegenteil würde die Aufstellungsversammlung zu einem bestimmten Wahlverhalten genötigt und müsse Kandidatinnen unterstützen, die vielleicht gar nicht die Fähigkeiten hätten und auch mit niemandem um den Listenplatz konkurrieren müssten. Die NPD sieht besonders im Hinblick auf ihren geringen Frauenanteil ihre Chancengleichheit verletzt. Der Verfahrensbevollmächtigte der NPD, Rechtsanwalt Peter Richter, sagte, es gehe nicht um Ergebnisgleichheit, sondern um Chancengleichheit. „Unsere These lautet: Männer und Frauen sind bereits gleichberechtigt, jede Frau kann kandidieren und hat Zugang zu allen Listen“, sagte Richter.

Wenn ein Landtag mit nur 38 Prozent Frauen ein solches Gesetz beschließe, zeige das schon, dass auch ein von Männern dominierter Landtag Fraueninteressen in den Blick nehme. Außerdem könnte man laut Richter sonst endlos weitermachen: Ärzte, Anwälte, Arbeitslose – alle müssten nach ihrer Anzahl im Volk auf den Listen repräsentiert werden.

AfD sieht Würde des Menschen in Gefahr

Für die AfD bezog sich ihr Verfahrensbevollmächtigter Karl Albrecht Schachtschneider gar auf die Würde des Menschen. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung versuche, die Würde des Menschen zu leben. Ob Mann oder Frau spiele keine Rolle, es spiele auch keine Rolle, wer mehr Verstand habe oder intelligenter sei. Die Kernfrage sei, wem man als Wähler sein Vertrauen gebe. Das müsse ein Mensch sein. Freiheit und Gleichheit der Wahlen seien zwingend, damit der Mensch an der Gesetzgebung teilhaben könne.

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Gegner im Organstreitverfahren ist der Landtag, dort vertritt man eine andere Rechtsauffassung. Ohne Wahlgesetz gebe es keine demokratische Wahl, sagte die Verfahrensbevollmächtigte, Jelena von Achenbach. Der Gesetzgeber treffe dabei Entscheidungen: über die Wahlkreise, deren Zuschnitt, wer zur Wahl zugelassen werde, wer davon ausgeschlossen werde, ob es eine Fünf-Prozent-Hürde gebe. Der Gesetzgeber dürfe das Wahlgesetz ändern: „Es gibt keinen Besitzstand im Wahlrecht.“ Durch die Entscheidung des Gesetzgebers könne sich die Wettbewerbsposition einzelner Kandidaten oder Parteien verändern.

Natürlich enthalte eine solche gesetzgeberische Entscheidung auch politische Weichenstellungen. Mit dem Paritätsgesetz würden verfassungsrechtliche Ziele verfolgt, etwa die Gleichstellung von Frauen, die Integrationsfunktion von Wahlen. Auch Parteien wie Grüne und Linke hätten nur gut ein Drittel Frauen unter den Mitgliedern und würden es trotzdem schaffen, Parität herzustellen. Die NPD hat allerdings nur 18 Prozent weibliche Mitglieder.

Auch Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke verteidigte das Paritätsgesetz am Donnerstag in der mündlichen Verhandlung. Die Einflussnahme des Volkes auf die repräsentative Demokratie sei erst dann gesichert, wenn sie im vollen Umfang auch von Frauen wahrgenommen werde, betonte Liedtke. „Wenn die Hälfte der Bevölkerung Frauen sind, ist die gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen ein demokratisches Gebot“, sagte die SPD-Politikerin. „Jetzt brauchen wir dieses Paritätsgesetz, das dafür sorgen soll, dass mehr Frauen in den Parlamenten vertreten sind.“

Vor dem Gerichtsgebäude gab es Proteste

Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich schon am Morgen rund drei Dutzend Frauen und ein paar Männer zur Demonstration versammelt. Sie sehen Frauen noch längst nicht dort angekommen, wo Gleichberechtigung herrscht. Das Gericht ist mit neun Richtern besetzt. Acht davon sind Juristen, sieben arbeiten auch als solche, nämlich vier als Richter und drei als Anwälte, Julia Barbara Finck, besser bekannt als Juli Zeh, ist Schriftstellerin. Kein Jurist ist Filmemacher Andreas Dresen. Das Gericht wollte noch den ganzen Tag weiter verhandeln.

Ein ähnliches Gesetz ist in Thüringen im Juli vom dortigen Verfassungsgericht gekippt worden. Das Gesetz beeinträchtige das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit, erklärten die Richter. Mit einer reinen Männerpartei gäbe es kein Problem, sie wäre frei, einfach nur Männer als Kandidaten zur Wahl zu stellen. Eine solche Partei gibt es aus nahe liegenden Gründen zwar nicht, erlaubt wäre sie aber.

Fatina Keilani

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