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Brandenburg: Forensik mit Gelatine

Philipp Cachée hat eine Methode entwickelt, um biologische Täterspuren aus Schusswaffen zu gewinnen

Potsdam - Wer einmal einen schweren Löffel in die Suppe fallen ließ, kennt das Phänomen: Es spritzt. Über Spritzspuren auf dem Pulli ist der Täter leicht zu überführen. Auch Philipp Cachée hat sich dieses Prinzip zunutze gemacht. Der Schusswaffensachverständige aus einer kleinen Gemeinde bei Potsdam – seinen genauen Wohnort möchte er aus Sicherheitsgründen nicht nennen – forscht zum Thema „Backsplatter“. Das ist der internationale Terminus, wenn es um Rückschleuderspuren an und in Schusswaffen geht.

Cachée hat nun ein Verfahren und eine Vorrichtung entwickelt, mit der man solches Material, versteckt im Waffenlauf, finden, sichern und auswerten kann. In dieser Woche stellt er das Patent auf der Ipomex, der Internationalen Polizeifachmesse in Münster, vor. Denn die Erfindung könnte das Entdeckungsririko bei Schusswaffendelikten signifikant erhöhen, ist Philipp Cachée überzeugt. Viele ungeklärte Mordfälle ließen sich so möglicherweise aufklären.

„Ich verbinde Täter, Opfer und Waffe“, sagt Cachée. Denn selbst aus kleinsten biologischen Rückständen im Waffenlauf könne Opfer-DNA-Material gewonnen werden. Über einen Abgleich mit der DNA-Datenbank kann dann nach einem Opfer gefahndet oder dieses zu Fahndung ausgeschrieben werden. Das funktioniere auch, wenn die Tat schon Jahre zurückliegt oder sich mehrere Spuren vermischen. Seit Ende Februar sind dazu praktische, benutzerfreundliche Test-Kits im Handel erhältlich, die gründlicher und verlässlicher als ein handelsübliches Wattestäbchen funktionieren. Anfragen und Bestellungen gab es schon aus Afrika und Neuseeland.

Wie es funktioniert, zeigt Cachée im Obergeschoss des Wiener Cafés in Potsdam – Lieblingscaféhaus des Experten, der aus Österreich stammt und seit einigen Jahren im Potsdamer Umland zu Hause ist. Harmlos sieht es aus, wie ein Flaschenputzer, was Cachée dann auspackt. Doch damit wurden bereits Täter überführt. Das Testzubehör zur Spurensicherung kommt verpackt wie ein Medizinprodukt, ethylenoxid-begast und steril, ein himmelblaues Tütchen, so groß wie ein Briefumschlag, in dem man auch OP-Besteck oder einen Spatel zum Rachenabstrich vermuten könnte.

„GunSwab C1 – Forensische Vorrichtung zur Sammlung von biologischen Spuren in Waffen nach Cachée“ ist die offizielle Bezeichnung für ein metallenes Zugseil, an dem drei Filzpfropfen mit unterschiedlichen Kratz-, Lösungs- und Reinigungseigenschaften befestigt sind. Werden sie durch den Waffenlauf gezogen, bleibt biologisches Material daran hängen. Dessen DNA gibt Aufschluss über die Identität der Person, die RNA, und auch das ist neu, über das getroffene Körperteil – wichtige Indizien für den detaillierten Tathergang.

In Berlin hat Philipp Cachée das Verfahren kürzlich auf einem Spurenworkshop Rechtsmedizinern und Kriminaltechnikern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgestellt: Mehrere Landeskriminalämter haben bereits Interesse bekundet, heißt es von der Vertriebsfirma Coloprint.

Die Beamten wollen die Erfindung nun für den praktischen Gebrauch testen. Derzeit sind Sets für 18 verschiedene Kaliber erhältlich – für einen Stückpreis von etwa 20 Euro. Wenn es um die Aufklärung von Tötungsdelikten geht, sollte Geld allerdings keine Rolle spielen. „Mord verjährt nie. Der GunSwab gehört in jedes LKA-Labor und rechtsmedizinische Institut“, sagt Cachée nachdrücklich. Das Argument, auch ein Wattestäbchen erfülle diesen Zweck, kennt er. Und sagt: Damit erwischt man nur oberflächliche Spuren, und für einen Gewehrlauf ist es zu kurz.

Acht Monate arbeitete er an diesem Patent. Für Schusswaffen interessiert sich der demnächst 32-Jährige bereits seit seiner Kindheit. Neun Jahre war er alt, als er mit Luftgewehrschießen im Sportverein begann. Mit 15 Jahren gewann er die österreichischen Meisterschaften im Kleinkaliberschießen. „Ich bin dabei immer ein Einzelkämpfer“, sagt er, das gefalle ihm.

Waffen grundsätzlich zu verteufeln, davon hält er, der selbst Familienvater ist und auf strengste Sicherheitsregeln im Umgang mit seinen Waffen achtet, allerdings gar nichts. „Wir haben ein verzerrtes Verhältnis zu diesem Thema“, sagt er. Es gebe sogar Studien, die nahelegen, dass Schießsport eine ideale Therapie für Kinder mit ADHS-Syndrom ist. „Man muss sich dabei nämlich konzentrieren und zur Ruhe kommen.“

Philipp Cachée studierte sozioökonomsiches und psychosoziales Krisen- und Katastrophenmanagement, arbeitete jahrelang weltweit bei humanitären Hilfseinsätzen in Krisengebieten, wurde dafür sogar ausgezeichnet. „Aber immer wieder Leichen irgendwo rausfitzeln“, wie er es mit seinem charmant schnarrendem österreichischem Akzent bildhaft formuliert – das konnte er nicht ewig tun.

Jetzt berät er als Sachverständiger für Waffen und Munition – einer von einer Handvoll im Land Brandenburg – Gerichtsmediziner und Kriminalisten. Er entwickelte die künstliche DNA, die seit drei Jahren von der Telekom und der Deutschen Bahn verwendet wird, um Kabeldiebe zu überführen. Den GunSwab entwickelte er gemeinsam mit der Rechtsmedizin der Universität Bonn und dem Leiter der forensischen Genetik, Cornelius Courts, weltweit führend auf diesem Forschungsgebiet. Dort finden auch die aufwendigen Versuchsreihen statt.

Dabei werden verschiedene Tathergänge nachgestellt und ausgewertet. Variable Komponenten gibt es viele: Art der Schusswaffe und Kaliber, Art des Projektils, Entfernung vom Opfer, Richtung des Schusses. Das „Opfer“ bastelt sich Cachée selbst zusammen. Grundlage ist eine Art Boxsack aus Gelatine, der den menschlichen Körper mit seinen Eigenschaften darstellt. Daran klebt ein Tütchen mit menschlichem Gewebe und Blut. Nach dem Beschuss werden Spuren und Videoaufnahmen gründlich ausgewertet. „Nichts für empfindliche Gemüter“, sagt er.

Irgendwann könnte es eine Art Formel geben, die aufgrund der gewonnenen Spuren Rückschlüsse auf Tatwaffe und Projektil, Entfernung, Opfer und Kleidung ermöglicht. Für welche Entfernung das Verfahren grundsätzlich noch anwendbar ist, darf er nicht sagen. Aber es lohne sich. Erfahrungsgemäß spielen sich die meisten kriminellen Handlungen im Nahbereich ab: Die Kassiererin wird quer über den Ladentisch bedroht, der Rocker im Kneipenhinterzimmer. „Das alles hinterlässt Spuren“, sagt Cachée, im Übrigen auch vom Täter. „Wer trägt denn seine Waffe im Halfter? Die verschwindet doch immer schön im Hosensackerl und sammelt Täter-DNA.“

Als Beweismittel sei das allein zwar nicht ausreichend – es weise aber auf einen möglichen Täter hin. Wenn es gelänge, aufgrund dieser neuen Analyse versteckter Spuren Täter abzuschrecken, wäre das großartig. „Ich heiße nicht umsonst Cachée, auf Deutsch: verborgen“, sagt er, lächelt sanft und siegessicher.

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