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Metzgerei im veganen Epizentrum. Die Tiere, die in der Kreuzberger Fleischerei „Kumpel & Keule“ verarbeitet werden, besucht Hendrik Haase regelmäßig. Dafür muss er aber weit in den Süden fahren, denn in Brandenburg ist das Angebot knapp.

© Mike Wolff

"Food-Aktivismus": Brandenburg und sein Bio-Problem: Für mehr Fleisch von nebenan

Brandenburg setzt kaum auf Bio-Lebensmittel. Hendrik Haase kämpft für mehr Regionales und Qualität auf dem Teller. In seiner Berliner Metzgerei bietet er hohe Qualität und Fleischer zum Anfassen.

Potsdam - Wer im Lokal von Hendrik Haase einen Burger isst, wird dabei von Schweinen beobachtet, die irgendwann auch mal im Burger landen werden. Es sind nicht irgendwelche Schweine, die auf den Fotos in dem Restaurant zu sehen sind, sondern Schwäbisch-Hällische Landschweine aus der Eichelmast in Baden-Württemberg. Die Tiere wachsen langsam, haben je fast 300 Quadratmeter Auslauf und werden doppelt so alt wie konventionell gehaltene Artgenossen. Bei der Wahl ihrer Produkte für das Restaurant "Speisewirtschaft" in Berlin-Kreuzberg achten Haase und sein Partner Jörg Förstera auf jedes Detail: Getreide für die Burgerbrötchen beziehen sie aus Italien, Lamm aus Mecklenburg-Vorpommern, Käse aus Schleswig-Holstein. Aus dem Berliner Umland ordert Haase dagegen lediglich etwas Wild und Rind.

„Ich würde gerne mehr regionale Produkte verwenden, aber die Strukturen dafür sind in Brandenburg weggebrochen.“ Gerade bei der Fleischproduktion hätten die märkischen Betriebe – gefördert von der Politik – nur auf Masse statt Qualität gesetzt. „Dabei haben die Brandenburger den größten Markt für Qualität direkt vor der Haustüre“, sagt Haase, eigentlich gelernter Designer, am Freitag nach seinem Vortrag bei der vom Wirtschaftsministerium organisierten Brandenburger Designkonferenz in Potsdam. Vor rund 100 Zuhörern wirbt er dafür, mehr auf Qualität und die Möglichkeiten der Digitalisierung zu setzen. Auf der Veranstaltung sollen Kreative und Unternehmer zusammengebracht werden, um die Designwirtschaft des Landes zu fördern, deren Umsatz zwischen 2010 und 2015 um 32 Prozent auf 145 Millionen Euro gestiegen ist.

Brandenburg tut sich schwer mit dem Bio-Thema

Haases Eindruck, in Brandenburg herrsche bei Lebensmitteln das Motto Masse statt Qualität, lässt sich mit Zahlen belegen. Wie aus der Antwort des Landwirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen hervorgeht, wird landesweit lediglich auf 380 Hektar Bio-Gemüse angebaut. Zum Vergleich: Allein konventionelle Möhren und Karotten werden auf rund 515 Hektar angebaut, die Gesamtanbaufläche von herkömmlichem Gemüse beträgt 6400 Hektar. Zur Bioproduktion von Fleisch konnte das Ministerium nicht einmal Angaben machen. Einen Antrag der Grünen, dafür zu sorgen, dass in Brandenburgs Kantinen mehr regionale Lebensmittel verwendet werden, wurde im Landtag am Donnerstag mit den Stimmen von SPD und Linken abgelehnt.

Brandenburg tue sich bei dem Thema traditionell schwer, sagt Martin Stock, Geschäftsführer des Fleischerverbands Berlin-Brandenburg. „Die Landwirtschaft ist dort überhaupt nicht auf regionale Märkte eingestellt“, sagt er den PNN. Er beklagt, dass der Fleischpreis viel zu niedrig sei und spricht sich für bessere Qualität aus. „Wer für eine Schachtel Zigaretten 6,20 Euro zahlen kann, der kann sich auch ein- bis zweimal pro Woche ein Stück Fleisch für 4 Euro leisten.“ Er freut sich, dass es in immer größeren Teilen der Gesellschaft einen Trend zum bewussteren Umgang mit Lebensmitteln gebe. „Die Politik kann dabei wichtige Impulse geben“, sagt er und verweist auf den Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats in Berlin. Darin bekennt man sich zu Produktion und Verzehr von regionalen und saisonalen (Bio-)Lebensmitteln.

Ein Trend zum bewussteren Essen

In Brandenburg bezeichnet das Landwirtschaftsministerium eine qualitativ hochwertige Fleischproduktion dagegen als „Nischenstrategie“. Für Hendrik Haase ist das nicht nachvollziehbar. Eigentlich ist er gelernter Grafiker und Designer. Als jedoch im Dorf seiner Großmutter eine lokale Wurst auszusterben drohte, weil die benötigten Schweine nicht mehr gezüchtet wurden, widmete er sich dem Thema in seiner Abschlussarbeit. Seither beschäftigt er sich mit Fleisch, schreibt Bücher und berät die Politik. „Food-Aktivist“ nennt man ihn inzwischen. 2015 eröffnete er in der Markthalle IX eine Metzgerei – mitten im Epizentrum der veganen Berliner Hipsterszene. Doch der Laden hatte Erfolg, Anfang des Jahres eröffnete er das Fleischlokal „Kumpel & Keule“. Haase sieht sich als kommunikative Brücke zwischen Acker und Teller. In seiner Metzgerei können Kunden die Fleischer hinter einer Scheibe beobachten.

Vor Haase berichtet bei der Konferenz ein Professor aus Stanford, wie man Form und Geschmack von Essen verändert hat. In Japan habe man französische Brioche quadratisch gebacken, um sie effektiver stapeln zu können. Mit Kaffee habe man experimentiert und Kaviar, Rosinen, sogar Kontaktlinsen hergestellt. Ein Plädoyer, mutige Wege zu gehen, um neue Produkte zu entdecken.

Haase interessiert das wenig. Es gehe nicht um den neusten Avocado-Trend, sondern darum, zu erkennen, dass Menschen bewusster essen würden. „Früher gingen Menschen gegen Kriege auf die Straße, heute wegen ihres Essens.“ Für Produzenten sei das eine Chance, schließlich könnten sie durch die Digitalisierung und mit immer mehr Start-ups ihre Kunden direkt, ohne Großhandel erreichen. Für Konsumenten sei entscheidend, die Produkte zu kennen, sagt Haase überzeugt. Neulich war er wieder im Süden. Zu Besuch bei seinen Landschweinen.

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