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Der Lockdown hat viele Familien belastet. 

© Getty Images/iStockphoto

Folgen der Pandemie: Corona-Hilfe vom Familienmobil

Der Familienbeirat hat der Landesregierung Empfehlung für den Umgang mit Pandemiefolgen vorgelegt. Bedürftige Familien sollen in den Blick genommen werden. 

Potsdam - Erschöpfung, Depressionen, Angstzustände, Essstörungen, Suchtprobleme, Gewalterfahrungen: Die Pandemie hat auch auf Kinder und Jugendliche in Brandenburg teils gravierende Auswirkungen, wie mehrere Studien gezeigt haben. Der vor einem Jahr gegründete Familienbeirat, ein unabhängiges, ehrenamtliches Expertengremium, hat nun Handlungsempfehlungen an die Landesregierung vorgelegt, um psychische und physische Corona-Folgen für Eltern und Kinder abfedern zu können. 

Vor allem benachteiligte Familien – alleinerziehende, kinderreiche oder arbeitslose Eltern und ihre Kinder – sollen durch einen Ausbau vorhandener Hilfsstrukturen unterstützt werden, fasste Familienministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) die Kernaussage bei einer Vorstellung des Familienbeirats am Freitag zusammen. 

Studien belegen Auswirkungen auf Kinder 

„Manche Familien waren und sind überfordert mit den Belastungen“, sagt Dietmar Sturzbecher, Direktor des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam und einer der beiden Vorsitzenden des neuen Familienbeirates. Sturzbecher legte im Februar 2021 selbst eine Analyse zu Brandenburger Jugendlichen in der Pandemie vor. 

Demnach antworteten zwar knapp 94 Prozent der Befragten im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren, dass sie sich „völlig“ oder „teilweise“ auf ihre Familie verlassen können. Von den Jugendlichen, die oft von mindestens einem Elternteil geschlagen werden, berichteten aber 35,7 Prozent von einer Zunahme der Gewalt während der Coronakrise. Auch die im März veröffentlichte COPSY-Studie zur seelischen Gesundheit von Kindern während der Pandemie enthielt alarmierende Zahlen. Demnach leidet fast jedes dritte Kind im Land psychisch unter den Corona-Folgen. Was also tun? 

Mehr Personal für Familienzentren 

Die kommunale Ebene müsse gestärkt werden, so Sturzbecher, denn eine wirkungsvolle Hilfe für Familien könne nur vor Ort geleistet werden, „von qualifizierten und gerecht bezahlten Fachkräften“, so der Familienpsychologe und -soziologe. Konkret spricht sich der Expertenbeirat dafür aus, die derzeit 36 Mehrgenerationenhäuser und 31 Familienzentren im Land durch mehr Fachkräfte zu stärken. Die Personalkapazitäten in den vom Land geförderten Familienzentren müssten verdoppelt werden. 

Bis zu 20 000 Euro pro Jahr und Zentrum müsse dafür einkalkuliert werden. Zudem müssten die Familienzentren, die Beratung bieten, in der Fläche des Landes ausgebaut, das bisherige Förderprogramm ausgeweitet werden. „Mittelfristig sollte es in jeder Kommune eine Erstanlaufstelle für alle Familien betreffende Fragen geben“, so der Beirat. Die Zentren sollten zudem mehr über die Folgen von Gewalt und Sucht informieren. Eine fehlende öffentliche Verkehrsanbindung dürfe nicht dazu führen, dass Familien keinen Zugang zu den Einrichtungen haben. Deswegen sollten zusätzlich mobile Angebote gemacht werden, ein „Familienmobil“ durchs Land touren. 

Vergünstigte Freizeitangebote und Ferienreisen 

„Familien haben viel geleistet und aufgefangen in der Corona-Zeit“, sagt Sarah Häseler-Bestmann, Professorin für Theorien und Methoden Sozialer Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und Co-Vorsitzende des Brandenburger Familienbeirats. Nun müsse ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, sich zu erholen. Kostenlose Freizeitangebote für Familien mit geringem Einkommen und höhere Ferienzuschüsse seien Wege, um Eltern und Kinder zu entlasten. 

Zusätzliches Geld für diese Maßnahmen werde es unter dem allgemeinen Spardruck nicht geben, räumt Ministerin Nonnemacher ein. Es gehe darum, die vorhandenen Mittel dort einzusetzen, wo sie den Familien am besten helfen.  

Die Schulkrankenschwestern sehen Nonnemacher und auch der Beirat nicht auf der Prioritätenliste. Das von Eltern, Schülern und Lehrern als sehr hilfreich bewertete, von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Potsdam organisierte Modellprojekt an zwei Dutzend Brandenburger Schulen war Ende 2021 unter Protest der Linken beendet worden. Die Debatte „über diese 18 Stellen“ sei „politisch überhöht worden“, so Nonnemacher am Freitag. Wenn mit dem Geld vorhandene Fachkräfte besser bezahlt und damit gehalten werden könnten, sei der Nutzen für die Familien größer. 

In Brandenburg fehlen Kinderpsychiater 

Ein massives Problem in Brandenburg lässt sich auch mit den Empfehlungen des Beirats nicht lösen: Wie berichtet fehlt es an Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, auch Psychotherapeutenplätze sind im Zuge von Corona noch rarer als sonst – und durch den Hilfebedarf ukrainischer Geflüchteter nun zusätzlich gefragt. 

Hier könne man vorerst nur versuchen, mit niedrigschwelligen Angeboten etwa in den Familienzentren den Beratungsbedarf etwas aufzufangen, so die Ministerin. 

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