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Auf gut Glück. Sardar Kalash floh 2015 aus Syrien nach Deutschland und wohnt derzeit in einem Heim in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming). Seiner Frau und den Kindern wollte er die Strapazen der Flucht ersparen und sie später nachholen.

© Sandra Calvez

Flüchtlingsnachzug in Brandenburg: Im Wartemodus

Der Flüchtling Sardar Kalash versucht seit drei Jahren, Frau und Kinder nach Ludwigsfelde nachzuholen.

Ludwigsfelde - Seit fast drei Jahren hat Sardar Kalash seine Familie nicht gesehen. In seinem Wohnheimzimmer in Ludwigsfelde (Teltow-Fläming) sitzt er auf dem Bett und zeigt Fotos. Von seinen drei Töchtern im Glitzerkleid, die nun ohne ihn in Syrien drei Jahre älter geworden sind. Von seinem Sohn, der mit Sonnenbrille posiert. Und von seiner Frau, die noch immer mit den Kindern in der Heimatstadt Qamischli im äußersten Norden Syriens ausharrt.

Der 46-jährige Familienvater floh im Herbst 2015 vor den Bomben und der Angst, zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester. Strapaziöse Wochen, zu Fuß, mit dem Schiff, mit Bus und Zug über die Türkei, Griechenland, Mazedonien. Seine Frau und die vier Kinder ließ er schweren Herzens in Syrien, wollte sie nicht den Risiken der Flucht aussetzen. Der Schlepper der ersten Etappe wollte keine Kinder an Bord, auch hätte Kalash die mehreren Tausend Euro für den Weg bis nach Europa nicht für fünf weitere Personen aufbringen können. Sein Ziel: Frau und Kinder möglichst schnell nachzuholen.

In Brandenburg leben 4500 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus

Doch bisher hat sich dieser Wunsch nicht erfüllt. Ende März 2016 bekam er den ersten Termin, um die Anträge zu stellen – wenige Tage nach der Aussetzung des Familiennachzugs durch die Große Koalition. CDU/CSU und SPD hatten sich Anfang 2016 im Rahmen eines Asylpakets darauf geeinigt, den Nachzug von Angehörigen für alle jene mit subsidiärem Schutzstatus für zwei Jahre auszusetzen. Die also, die keinen Flüchtlings- oder Asylstatus bekommen, denen aber in der Heimat ernsthafter Schaden droht. Diese Sperre wurde bis Ende Juli 2018 verlängert.

Ab 1. August soll es für diese Gruppe wieder möglich sein, Familien nachzuholen, allerdings nur eingeschränkt. Das hat der Bundestag Mitte Juni beschlossen. 1000 Ehegatten, minderjährige Kinder oder Eltern von Minderjährigen sollen bundesweit pro Monat nachziehen dürfen. Die Entscheidungen trifft das Bundesverwaltungsamt, laut Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gemäß „einer humanitären Auswahl nach klaren Kriterien“. In Brandenburg leben 4500 Flüchtlinge mit subsidiärem Schutzstatus. Wie viele ihre Familien nachholen wollen, ist ungewiss.

Sardar Kalash ist einer von denen, die warten. Er zeigt all die ordentlich verstauten Papiere, die er ausgefüllt hat. Kalash berichtet gestenreich mithilfe einer Übersetzerin von der Flucht, sein Deutsch ist noch rudimentär. Er und seine Frau arbeiteten in Syrien im Krankenhaus, sie als Krankenschwester, er in der Röntgenabteilung. Die kurdische Familie war gut situiert, hatte zwei Häuser. „Das wollte ich nicht aufgeben und darum habe ich lange gezögert, zu fliehen“, sagt Kalash.

„30 Kollegen von mir sind verbrannt“

Doch dann habe sich das Land zunehmend gespalten. Es fielen Bomben, immer wieder. Wer genau sie geworfen hat, weiß er nicht. Aber er sah die Folgen, jeden Tag, bei seiner Arbeit im Krankenhaus. „Das Schlimmste waren die Kinder, die mit zerfetzten Beinen zu uns kamen“, erzählt Kalash, dem die Sorgen tiefe Ringe unter die Augen gemalt haben. Er hatte Angst vor der Flucht, mehrere Freunde von ihm kamen auf dem Weg um, ertranken im Mittelmeer oder erfroren im bulgarischen Winter. Doch dann wurde ein kleines Krankenhaus in der Nähe von außen abgesperrt und angezündet. „30 Kollegen von mir sind verbrannt“, berichtet Kalash, noch immer entsetzt. Also brach er auf, in das Gewirr aus Schleppern und Gerüchten. Sein Ziel war Deutschland, dorthin waren schon Verwandte geflohen, außerdem hatte er gehört, dass dort Diplome etwas zählten.

Seither wohnt er in Ludwigsfelde, in einem grauen Wohnheim nicht weit vom Bahnhof Birkengrund. Gegenüber ein Industriepark mit Dutzenden Lastwagen, sonst ist dort nicht viel. Ein Bolzplatz vor dem Haus, in den Gängen trocknet Wäsche. Kalashs Mutter serviert Tee und Kekse, man baut sich einen Alltag auf.

So weit das eben geht, wenn man den Tag mit Warten verbringt. Warten auf einen Bescheid, auf den nächsten Termin. Während viele aus dem Heim weiterziehen, als Flüchtlinge anerkannt werden und einige ihre Familien nachholen, sitzt Kalash immer noch hier, so beschreibt er es. „Warum? Ich verstehe das nicht“, sagt er frustriert. „Ich bin aus Syrien geflohen, weil es dort keine Demokratie gab, hier gibt es zu viel Bürokratie.“ Auch eine Klage nützte nichts. „Ich habe das Gefühl, alles ist hier mit Glück verbunden“, sagt er. Mit der Neuregelung, die Anfang August in Kraft tritt, verbindet er neue Hoffnung – zugleich aber auch Angst. Angst, dass die Willkür weitergeht. „Meine Frau ist mittlerweile krank, muss operiert werden. Ich warte seit über zwei Jahren“, sagt er.

Für eine bessere Zukunft

Mit der Kritik ist er nicht alleine. Die Grünen-Bundesvorsitzende und Potsdamer Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock bezeichnet das Gesetz als „Lotteriespiel“. Die Koalition verwandle ein zentrales Grundrecht in ein Gnadenrecht, das nicht mehr universell gelte. „Das ist völkerrechtswidrig und ein klarer Vertrauensbruch gegenüber den Menschen, die zwei Jahre lang auf das Versprechen gesetzt haben, sie könnten ihre Familien jetzt nachholen“, sagte sie den PNN.

Kritik kommt auch von Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl. „Angesichts des im Gesetz angelegten Kontingents kann die Auswahl der Menschen, die nachziehen dürfen, nur willkürlich erfolgen“, kommentiert der Flüchtlingsrat Brandenburg. Die lange Trennung führe zu einer „dauerhaft verzweifelten Lage der Betroffenen, die psychisch schwer belastend ist und Ankommen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verhindert“.

Brandenburgs Innenministerium hält sich bedeckt. Noch sei laut einem Sprecher unklar, wie das Gesetz auf Landesebene im Detail umgesetzt wird. Deshalb wolle man noch keine Stellung beziehen.

Sardar Kalash wartet unterdessen weiter. Seine Gedanken kreisen ständig um die Familie in der Ferne. Aus seiner Stimme klingt Resignation: „Eigentlich bin ich für meine Kinder nach Deutschland geflüchtet, weil ich ihnen eine bessere Zukunft ermöglichen wollte. Aber bisher konnte ich gar nichts für sie tun.“

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