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Anna Claßen und Thomas Janoschka (r.) sprechen mit einem Iraner, der sich vor drohender Abschiebung versteckt.

© Patrick Pleul/dpa

Flüchtlinge in Brandenburg: Wie Barnimer Bürger illegale Anti-Abschiebe-Hilfe leisten

Eine Brandenburger Initiative will Flüchtlinge vor Abschiebung schützen. Dass diese Hilfe illegal ist, nimmt sie in Kauf - um aus ihrer Sicht Unmenschliches zu verhindern.

Berlin/Eberswalde - Er wurde als konvertierter Christ in seiner Heimat Iran verhaftet und drangsaliert, wie er berichtet. Daraufhin entschied sich der 30-Jährige für die Flucht. Über die Türkei und Italien gelangte der studierte Ingenieur im September 2018 nach Deutschland, in die zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg nach Eisenhüttenstadt (Landkreis Oder-Spree). Von dort sollte er zurück nach Italien, wo er erstmals als Flüchtling innerhalb der Europäischen Union registriert worden war. So sieht es die EU-Verordnung Dublin III vor.

Die Initiative empfindet Abschiebungen als unmenschlich

„Dort hatte man mich damals ins Gefängnis gesteckt, mir meine Ersparnisse weggenommen. Dahin wollte ich keinesfalls zurück“, sagt der Iraner. Mit Schlaftabletten unternahm der Flüchtling einen Suizidversuch. „Wir haben ihn dann aus dem Krankenhaus abgeholt und privat untergebracht“, erzählt Anna Claßen. Die Sozialarbeiterin gehört wie gut 70 andere zum „Barnimer Bürgerasyl“. Die Initiative im Kreis Barnim in Brandenburg will Asylbewerber vor Abschiebung schützen, weil sie dieses Prozedere als unmenschlich ansieht. Der Iraner wurde vor den Behörden versteckt, lebt seitdem mehr oder weniger illegal in Deutschland.

Eine wachsende Zahl von Initiativen will Flüchtlinge vor Abschiebung schützen – zum Beispiel auch in Berlin, Göttingen oder Köln. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat für solche Aktionen kein Verständnis: Ein „Bürgerasyl“ sei im deutschen Recht nicht vorgesehen, erklärte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage. „Es ist nicht akzeptabel, dass es eigenmächtig zur Verhinderung von Dublin-Überstellungen oder Rückführungen durchgeführt wird.“ Nach der Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber dort registriert werden, wo sie die EU zuerst betreten haben. Nach Ansicht des Fördervereins Pro Asyl gibt es mehr Aufrufe von Initiativen für „Bürgerasyl“ als konkrete Fälle. Laufende Fälle würden normalerweise nicht veröffentlicht.

Innenminister Schröter warnt vor Strafen

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) warnt vor rechtlichen Konsequenzen eines „Bürgerasyls“. „Eine vollziehbar ausreisepflichtige Person, die nicht freiwillig ausreist und sich der dann anderweitigen Aufenthaltsbeendigung, also der Abschiebung, entzieht, macht sich strafbar wegen illegalen Aufenthalts“, sagt Schröter. „Wenn eine solche Straftat vorliegt, können diejenigen Personen, die hierbei Hilfe leisten, wegen Beihilfe zum illegalen Aufenthalt strafrechtlich belangt werden.“ Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern erklärt, es obliege etwaigen Bürgerinitiativen nicht, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns abschließend zu beurteilen – dies sei Sache der Gerichte.

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD).
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD).

© Ralf Hirschberger/dpa

Das niedersächsische Innenministerium verweist nach Angaben eines Sprechers darauf, dass der europarechtlichen Pflicht zur Abschiebung durch das Land das im Grundgesetz gesicherte Recht des Bürgers auf freie Meinungsäußerung gegenübersteht. De facto sei es damit nicht strafbar, jemand anderen ohne Gewaltanwendung vor der Abschiebung zu schützen. In Bayern mühen sich Flüchtlingsverbände wie Pro Asyl oder der Flüchtlingsrat darum, Abzuschiebende vorzuwarnen, das ist aber noch nicht strafbar. Dies könnte sich mit einem Gesetz ändern, dessen Entwurf Seehofer im Februar vorgelegt hat – das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“.

Aktuell gibt es vier Hilfe-Fälle

Das „Barnimer Bürgerasyl“ berichtet von vier aktuellen Fällen der Hilfe. „Wir sind mehrere kleinere Gruppen in unterschiedlichen Orten des Landkreises, die die konkrete Hilfe leisten und weitaus mehr Unterstützer und Sponsoren“, sagt Claßens Kollege, Bildungsreferent Thomas Janoschka. Einen Flüchtling eigenverantwortlich zu versorgen, gehe ganz schön ins Geld. Vor allem Abschiebungen im Zusammenhang mit dem Dublin-III-Abkommen sind den Helfern ein Dorn im Auge.

Claßen, Janoschka und ihre Mitstreiter suchen inzwischen verstärkt den Kontakt zu Kirchengemeinden, wohl wissend, dass das Kirchenasyl von der Bundesregierung in der Regel geduldet wird. Das Bundesinnenministerium hält einen Vergleich des „Bürgerasyls“ mit dem Kirchenasyl nicht für angebracht. Beim Kirchenasyl existiere ein zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) abgestimmtes Vorgehen, sagt der Ministeriumssprecher. Dies sei „im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien entwickelt worden“ und werde praktiziert, „um im Einzelfall besonderen Härten Rechnung zu tragen“.

Auch Pfarrerin sieht die Initiativen kritisch

Auch die Pfarrerin Katharina Falkenhagen aus Frankfurt (Oder) warnt vor solchen Initiativen. „Wenn Flüchtlinge untertauchen, werden sie automatisch illegal. Ich wage zu bezweifeln, dass man ihnen damit wirklich einen guten Dienst erweist“, sagt sie. Falkenhagen hat bereits mehrfach Asylbewerber im Frankfurter Kirchenasyl betreut. „Die rechtlichen Konsequenzen für die Unterstützer sind nicht angenehm – Ermittlungsverfahren, empfindliche Geldstrafen.“ Sobald die untergetauchten Flüchtlinge wieder auftauchen, würden sie ebenfalls strafrechtlich verfolgt und letztlich abgeschoben.

Derartige Konsequenzen haben die Initiatoren des „Barnimer Bürgerasyls“ bisher nicht erlebt, versichern sie. Mit ihrem umstrittenen Engagement wollen die Helfer auch gegen die deutsche Asylpolitik protestieren und haben ihr Wirken bewusst öffentlich gemacht. „Es wird einfach zu viel abgeschoben, dagegen leisten wir aus moralischer Sicht zivilen Ungehorsam“, betont Janoschka. Der Landrat des Kreises Barnim, Daniel Kurth (SPD), sagt: „Wenn wir damit anfangen, die Moral anzuführen, um uns über geltendes Recht hinwegzusetzen, werden wir in eine ganz schwierige Situation kommen.“ (dpa)

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